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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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"Untertanen"

Rechtseite ist er Bürger des Staates. Schon Rousseau spricht in diesem Sinne
von 8ujet8 und Litauens.

In der modernen Staatsrechtswissenschaft herrscht volle Übereinstimmung,
daß dem Staatsbürgerrecht die Staatsuntertanenpflicht gegenübersteht. Auch der
Staatsrechtslehrer Haenel, dessen liberale Gesinnung niemand in Frage ziehen
wird, vertritt diesen Standpunkt.

Jellinek bemerkt im Einklange mit der herrschenden Lehre: Das Verhältnis
der Subjektion sei das Primäre. Nur dadurch, daß das Ganze den einzelnen
dauernd binde, werde er zu einem Gliede desselben. Der Versuch der fran¬
zösischen Konstituante, die Mitgliedschaft am Staate als ein in erster Linie den
einzelnen berechtigendes Verhältnis zu normieren, scheiterte an der Erkenntnis
der Natur des Staates.

Aus der Natur des Staates folgt, daß er Gewalt, Herrschaft, Imperium
besitzt, das heißt, daß er die Freiheit der Menschen durch Befehl und Zwang
beschränken darf. Der Staatsangehörige steht unter der Gerichtsbarkeit, Polizei,
Militärgewalt, Finanzhoheit des Staates und ist seinen Zwangsmitteln unter¬
worfen. Dieses Verhältnis kann nicht zutreffender bezeichnet werden als durch
das Wort Untertanschaft.

Der Kunstwart wendet ein: Gerade zur Stärkung des Bewußtseins von
der Verantwortlichkeit gegenüber dem Staate, gerade zum Bewußtmachen der
Pflichten gegen den Staat sei das Wort Untertan zu vermeiden.

Es ist dabei außer Acht gelassen, daß die Pflicht des Untertan, seine
Militärdienstpflicht, seine Steuerpflicht, seine Gerichtsdienstpflicht als Schöffe und
Geschworener, nicht freiwillig, vertragsmäßig übernommen, sondern einseitig
vom Staate auferlegt ist. Der Untertan erfüllt seine Pflicht nicht, weil er
will, sondern weil er muß. Laband sagt zutreffend: es gibt keine Rechtspflicht,
sich der Staatsgewalt zu unterwerfen, sondern nur einen Zustand des Unter¬
worfenseins. Der Ernst, die Strenge dieses Verhältnisses läßt sich nicht besser
zum Ausdruck bringen als durch das Wort Untertan.

Richtig ist, daß nicht der Untertan, sondern der Staatsbürger wühlt. Und
es empfiehlt sich gewiß, das Bewußtsein von der Verantwortlichkeit zu stärken,
das mit der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte verknüpft ist. Aber es
bleibt doch dabei, daß der Staatsangehörige nicht bloß Staatsbürger ist. sondern
auch und zwar in erster Linie Staatsuntertan.

Die Untertanschaft ist das notwendige Gegenstück zur Staatsgewalt, zur
Herrschaft des Staates; auch in Republiken gibt es deshalb Untertanen.

Natürlich kann der Staat seine Aufgaben nicht lediglich durch Ausübung
heikler Herrschaftsrechte erfüllen, er macht von ihnen nur Gebrauch, soweit es
notwendig und nützlich ist. Als Fiskus insbesondere stellt er sich oft seinen
Angehörigen im Privatrechtsverkehr an die Seite. Im Verhältnisse von Herrschaft
und Unterwerfung erschöpfen sich die Beziehungen zwischen dem Staate und
seinen Angehörigen nicht.


„Untertanen"

Rechtseite ist er Bürger des Staates. Schon Rousseau spricht in diesem Sinne
von 8ujet8 und Litauens.

In der modernen Staatsrechtswissenschaft herrscht volle Übereinstimmung,
daß dem Staatsbürgerrecht die Staatsuntertanenpflicht gegenübersteht. Auch der
Staatsrechtslehrer Haenel, dessen liberale Gesinnung niemand in Frage ziehen
wird, vertritt diesen Standpunkt.

Jellinek bemerkt im Einklange mit der herrschenden Lehre: Das Verhältnis
der Subjektion sei das Primäre. Nur dadurch, daß das Ganze den einzelnen
dauernd binde, werde er zu einem Gliede desselben. Der Versuch der fran¬
zösischen Konstituante, die Mitgliedschaft am Staate als ein in erster Linie den
einzelnen berechtigendes Verhältnis zu normieren, scheiterte an der Erkenntnis
der Natur des Staates.

Aus der Natur des Staates folgt, daß er Gewalt, Herrschaft, Imperium
besitzt, das heißt, daß er die Freiheit der Menschen durch Befehl und Zwang
beschränken darf. Der Staatsangehörige steht unter der Gerichtsbarkeit, Polizei,
Militärgewalt, Finanzhoheit des Staates und ist seinen Zwangsmitteln unter¬
worfen. Dieses Verhältnis kann nicht zutreffender bezeichnet werden als durch
das Wort Untertanschaft.

Der Kunstwart wendet ein: Gerade zur Stärkung des Bewußtseins von
der Verantwortlichkeit gegenüber dem Staate, gerade zum Bewußtmachen der
Pflichten gegen den Staat sei das Wort Untertan zu vermeiden.

Es ist dabei außer Acht gelassen, daß die Pflicht des Untertan, seine
Militärdienstpflicht, seine Steuerpflicht, seine Gerichtsdienstpflicht als Schöffe und
Geschworener, nicht freiwillig, vertragsmäßig übernommen, sondern einseitig
vom Staate auferlegt ist. Der Untertan erfüllt seine Pflicht nicht, weil er
will, sondern weil er muß. Laband sagt zutreffend: es gibt keine Rechtspflicht,
sich der Staatsgewalt zu unterwerfen, sondern nur einen Zustand des Unter¬
worfenseins. Der Ernst, die Strenge dieses Verhältnisses läßt sich nicht besser
zum Ausdruck bringen als durch das Wort Untertan.

Richtig ist, daß nicht der Untertan, sondern der Staatsbürger wühlt. Und
es empfiehlt sich gewiß, das Bewußtsein von der Verantwortlichkeit zu stärken,
das mit der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte verknüpft ist. Aber es
bleibt doch dabei, daß der Staatsangehörige nicht bloß Staatsbürger ist. sondern
auch und zwar in erster Linie Staatsuntertan.

Die Untertanschaft ist das notwendige Gegenstück zur Staatsgewalt, zur
Herrschaft des Staates; auch in Republiken gibt es deshalb Untertanen.

Natürlich kann der Staat seine Aufgaben nicht lediglich durch Ausübung
heikler Herrschaftsrechte erfüllen, er macht von ihnen nur Gebrauch, soweit es
notwendig und nützlich ist. Als Fiskus insbesondere stellt er sich oft seinen
Angehörigen im Privatrechtsverkehr an die Seite. Im Verhältnisse von Herrschaft
und Unterwerfung erschöpfen sich die Beziehungen zwischen dem Staate und
seinen Angehörigen nicht.


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[0171] „Untertanen" Rechtseite ist er Bürger des Staates. Schon Rousseau spricht in diesem Sinne von 8ujet8 und Litauens. In der modernen Staatsrechtswissenschaft herrscht volle Übereinstimmung, daß dem Staatsbürgerrecht die Staatsuntertanenpflicht gegenübersteht. Auch der Staatsrechtslehrer Haenel, dessen liberale Gesinnung niemand in Frage ziehen wird, vertritt diesen Standpunkt. Jellinek bemerkt im Einklange mit der herrschenden Lehre: Das Verhältnis der Subjektion sei das Primäre. Nur dadurch, daß das Ganze den einzelnen dauernd binde, werde er zu einem Gliede desselben. Der Versuch der fran¬ zösischen Konstituante, die Mitgliedschaft am Staate als ein in erster Linie den einzelnen berechtigendes Verhältnis zu normieren, scheiterte an der Erkenntnis der Natur des Staates. Aus der Natur des Staates folgt, daß er Gewalt, Herrschaft, Imperium besitzt, das heißt, daß er die Freiheit der Menschen durch Befehl und Zwang beschränken darf. Der Staatsangehörige steht unter der Gerichtsbarkeit, Polizei, Militärgewalt, Finanzhoheit des Staates und ist seinen Zwangsmitteln unter¬ worfen. Dieses Verhältnis kann nicht zutreffender bezeichnet werden als durch das Wort Untertanschaft. Der Kunstwart wendet ein: Gerade zur Stärkung des Bewußtseins von der Verantwortlichkeit gegenüber dem Staate, gerade zum Bewußtmachen der Pflichten gegen den Staat sei das Wort Untertan zu vermeiden. Es ist dabei außer Acht gelassen, daß die Pflicht des Untertan, seine Militärdienstpflicht, seine Steuerpflicht, seine Gerichtsdienstpflicht als Schöffe und Geschworener, nicht freiwillig, vertragsmäßig übernommen, sondern einseitig vom Staate auferlegt ist. Der Untertan erfüllt seine Pflicht nicht, weil er will, sondern weil er muß. Laband sagt zutreffend: es gibt keine Rechtspflicht, sich der Staatsgewalt zu unterwerfen, sondern nur einen Zustand des Unter¬ worfenseins. Der Ernst, die Strenge dieses Verhältnisses läßt sich nicht besser zum Ausdruck bringen als durch das Wort Untertan. Richtig ist, daß nicht der Untertan, sondern der Staatsbürger wühlt. Und es empfiehlt sich gewiß, das Bewußtsein von der Verantwortlichkeit zu stärken, das mit der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte verknüpft ist. Aber es bleibt doch dabei, daß der Staatsangehörige nicht bloß Staatsbürger ist. sondern auch und zwar in erster Linie Staatsuntertan. Die Untertanschaft ist das notwendige Gegenstück zur Staatsgewalt, zur Herrschaft des Staates; auch in Republiken gibt es deshalb Untertanen. Natürlich kann der Staat seine Aufgaben nicht lediglich durch Ausübung heikler Herrschaftsrechte erfüllen, er macht von ihnen nur Gebrauch, soweit es notwendig und nützlich ist. Als Fiskus insbesondere stellt er sich oft seinen Angehörigen im Privatrechtsverkehr an die Seite. Im Verhältnisse von Herrschaft und Unterwerfung erschöpfen sich die Beziehungen zwischen dem Staate und seinen Angehörigen nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/171>, abgerufen am 03.07.2024.