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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Zum böhmischen Ausgleich

Nun laufen aber neben den eigentlichen böhmischen Ausgleichsverhandlungen
in Prag noch Verhandlungen in Wien, die sich mit den Angelegenheiten befassen,
die in den Bereich der Reichsgesetzgebung fallen, Verhandlungen über den
Sprachengebrauch bei den staatlichen Behörden in Böhmen. Die verschiedenen
Regierungen hatten schon öfter versucht, im Verordnungswege, ohne Berück¬
sichtigung der deutschen Wünsche (als Preis für den Eintritt der Tschechen in
die Regierungsmehrheit) diese Seite der Sprachenfrage zu regeln; so durch die
schon erwähnten Stromayrschen und die noch berühmter gewordenen Badenischen
Sprachenverordnungen, ohne daß sie je damit Glück gehabt hätten, denn die
Deutschen betrachten jeden Versuch, tschechische Amtierung im geschlossenen deutschen
Sprachgebiet einzuführen, als einen Kriegsfall, da damit der Tschechisierung
Deutschböhmens die Tore noch weiter geöffnet würden. Da sich eine Regelung
dieser Sprachenfrage im Verordnungswege gegen den geschlossenen Willen der
Deutschen nicht durchführen läßt, wie die bisherigen Versuche zur Genüge
gezeigt haben, so leitete die Regierung Bienerth Verhandlungen in Wien zur
reichsgesetzlichen Regelung dieser Fragen ein, die heute noch fortgesetzt werden,
ebenfalls ohne jede Möglichkeit einer Verständigung, es sei denn, daß die
Deutschen in allen Punkten nachgeben. Denn aus denselben Gründen wie bei
den Prager Landtagsverhandlungen, wollen und können die Tschechen auf die
zweisprachige Amtierung der staatlichen Behörden in Deutschböhmcn nicht ver¬
zichten; die Deutschen aber müssen für jedes Zugeständnis in dieser Richtung
verlangen, daß ein nationaler Schlüssel für die Besetzung der Staatsbeamten¬
posten in Böhmen festgelegt werde, denn sonst würde es in Deutschböhmen
bald keinen deutschen Staatsbeamten mehr geben. In diesem Punkt wäre von
den Tschechen am ehesten noch ein Zugeständnis zu erreichen, aber gerade in
diesem Punkt kann die Regierung nichts bewilligen, da sie, mit Recht oder
Unrecht, auf dem Standpunkte steht, daß durch gesetzliche Festlegung der nationalen
Zugehörigkeit der Staatsbeamten aus österreichischen Staatsbeamten bald Beamte
des betreffenden Volksstammes würden, und daß damit der nationale Zerfall
Österreichs, der ihr schon so genug zu schaffen macht, mächtig gefördert würde.

So verschränken sich die Verhältnisse allseitig derart, daß alle Ausgleichs¬
verhandlungen aussichtslos sind und auch in Zukunft immer aussichtslos bleiben
werden, so lange nicht einer oder zwei der beteiligten Faktoren ihr freies Ver¬
handlungsrecht verlieren, d. h. durch eine vis major zum Verzicht oder zum
Verstummen gebracht werden. Denn freiwillig werden die Tschechen nie ihre
Staatsrechtsträume, ihre völkische Überhebung und ihre unbillige Machtstellung
im Prager Landtag aufgeben, freiwillig können aber auch die Deutschen nie
auf ihr völkisches Daseinsrecht in Böhmen verzichten, und freiwillig wird die
Regierung und die Dynastie nie auf die Gesamtstaatsidee verzichten.

Das sind natürlich Dinge, die den meisten der an den Verhandlungen
beteiligten Unterhändlern nicht verborgen sind und die alle Ausgleichsverhand¬
lungen von vornherein zu einem unaufrichtigen Schauspiel stempeln, von dessem


Zum böhmischen Ausgleich

Nun laufen aber neben den eigentlichen böhmischen Ausgleichsverhandlungen
in Prag noch Verhandlungen in Wien, die sich mit den Angelegenheiten befassen,
die in den Bereich der Reichsgesetzgebung fallen, Verhandlungen über den
Sprachengebrauch bei den staatlichen Behörden in Böhmen. Die verschiedenen
Regierungen hatten schon öfter versucht, im Verordnungswege, ohne Berück¬
sichtigung der deutschen Wünsche (als Preis für den Eintritt der Tschechen in
die Regierungsmehrheit) diese Seite der Sprachenfrage zu regeln; so durch die
schon erwähnten Stromayrschen und die noch berühmter gewordenen Badenischen
Sprachenverordnungen, ohne daß sie je damit Glück gehabt hätten, denn die
Deutschen betrachten jeden Versuch, tschechische Amtierung im geschlossenen deutschen
Sprachgebiet einzuführen, als einen Kriegsfall, da damit der Tschechisierung
Deutschböhmens die Tore noch weiter geöffnet würden. Da sich eine Regelung
dieser Sprachenfrage im Verordnungswege gegen den geschlossenen Willen der
Deutschen nicht durchführen läßt, wie die bisherigen Versuche zur Genüge
gezeigt haben, so leitete die Regierung Bienerth Verhandlungen in Wien zur
reichsgesetzlichen Regelung dieser Fragen ein, die heute noch fortgesetzt werden,
ebenfalls ohne jede Möglichkeit einer Verständigung, es sei denn, daß die
Deutschen in allen Punkten nachgeben. Denn aus denselben Gründen wie bei
den Prager Landtagsverhandlungen, wollen und können die Tschechen auf die
zweisprachige Amtierung der staatlichen Behörden in Deutschböhmcn nicht ver¬
zichten; die Deutschen aber müssen für jedes Zugeständnis in dieser Richtung
verlangen, daß ein nationaler Schlüssel für die Besetzung der Staatsbeamten¬
posten in Böhmen festgelegt werde, denn sonst würde es in Deutschböhmen
bald keinen deutschen Staatsbeamten mehr geben. In diesem Punkt wäre von
den Tschechen am ehesten noch ein Zugeständnis zu erreichen, aber gerade in
diesem Punkt kann die Regierung nichts bewilligen, da sie, mit Recht oder
Unrecht, auf dem Standpunkte steht, daß durch gesetzliche Festlegung der nationalen
Zugehörigkeit der Staatsbeamten aus österreichischen Staatsbeamten bald Beamte
des betreffenden Volksstammes würden, und daß damit der nationale Zerfall
Österreichs, der ihr schon so genug zu schaffen macht, mächtig gefördert würde.

So verschränken sich die Verhältnisse allseitig derart, daß alle Ausgleichs¬
verhandlungen aussichtslos sind und auch in Zukunft immer aussichtslos bleiben
werden, so lange nicht einer oder zwei der beteiligten Faktoren ihr freies Ver¬
handlungsrecht verlieren, d. h. durch eine vis major zum Verzicht oder zum
Verstummen gebracht werden. Denn freiwillig werden die Tschechen nie ihre
Staatsrechtsträume, ihre völkische Überhebung und ihre unbillige Machtstellung
im Prager Landtag aufgeben, freiwillig können aber auch die Deutschen nie
auf ihr völkisches Daseinsrecht in Böhmen verzichten, und freiwillig wird die
Regierung und die Dynastie nie auf die Gesamtstaatsidee verzichten.

Das sind natürlich Dinge, die den meisten der an den Verhandlungen
beteiligten Unterhändlern nicht verborgen sind und die alle Ausgleichsverhand¬
lungen von vornherein zu einem unaufrichtigen Schauspiel stempeln, von dessem


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[0162] Zum böhmischen Ausgleich Nun laufen aber neben den eigentlichen böhmischen Ausgleichsverhandlungen in Prag noch Verhandlungen in Wien, die sich mit den Angelegenheiten befassen, die in den Bereich der Reichsgesetzgebung fallen, Verhandlungen über den Sprachengebrauch bei den staatlichen Behörden in Böhmen. Die verschiedenen Regierungen hatten schon öfter versucht, im Verordnungswege, ohne Berück¬ sichtigung der deutschen Wünsche (als Preis für den Eintritt der Tschechen in die Regierungsmehrheit) diese Seite der Sprachenfrage zu regeln; so durch die schon erwähnten Stromayrschen und die noch berühmter gewordenen Badenischen Sprachenverordnungen, ohne daß sie je damit Glück gehabt hätten, denn die Deutschen betrachten jeden Versuch, tschechische Amtierung im geschlossenen deutschen Sprachgebiet einzuführen, als einen Kriegsfall, da damit der Tschechisierung Deutschböhmens die Tore noch weiter geöffnet würden. Da sich eine Regelung dieser Sprachenfrage im Verordnungswege gegen den geschlossenen Willen der Deutschen nicht durchführen läßt, wie die bisherigen Versuche zur Genüge gezeigt haben, so leitete die Regierung Bienerth Verhandlungen in Wien zur reichsgesetzlichen Regelung dieser Fragen ein, die heute noch fortgesetzt werden, ebenfalls ohne jede Möglichkeit einer Verständigung, es sei denn, daß die Deutschen in allen Punkten nachgeben. Denn aus denselben Gründen wie bei den Prager Landtagsverhandlungen, wollen und können die Tschechen auf die zweisprachige Amtierung der staatlichen Behörden in Deutschböhmcn nicht ver¬ zichten; die Deutschen aber müssen für jedes Zugeständnis in dieser Richtung verlangen, daß ein nationaler Schlüssel für die Besetzung der Staatsbeamten¬ posten in Böhmen festgelegt werde, denn sonst würde es in Deutschböhmen bald keinen deutschen Staatsbeamten mehr geben. In diesem Punkt wäre von den Tschechen am ehesten noch ein Zugeständnis zu erreichen, aber gerade in diesem Punkt kann die Regierung nichts bewilligen, da sie, mit Recht oder Unrecht, auf dem Standpunkte steht, daß durch gesetzliche Festlegung der nationalen Zugehörigkeit der Staatsbeamten aus österreichischen Staatsbeamten bald Beamte des betreffenden Volksstammes würden, und daß damit der nationale Zerfall Österreichs, der ihr schon so genug zu schaffen macht, mächtig gefördert würde. So verschränken sich die Verhältnisse allseitig derart, daß alle Ausgleichs¬ verhandlungen aussichtslos sind und auch in Zukunft immer aussichtslos bleiben werden, so lange nicht einer oder zwei der beteiligten Faktoren ihr freies Ver¬ handlungsrecht verlieren, d. h. durch eine vis major zum Verzicht oder zum Verstummen gebracht werden. Denn freiwillig werden die Tschechen nie ihre Staatsrechtsträume, ihre völkische Überhebung und ihre unbillige Machtstellung im Prager Landtag aufgeben, freiwillig können aber auch die Deutschen nie auf ihr völkisches Daseinsrecht in Böhmen verzichten, und freiwillig wird die Regierung und die Dynastie nie auf die Gesamtstaatsidee verzichten. Das sind natürlich Dinge, die den meisten der an den Verhandlungen beteiligten Unterhändlern nicht verborgen sind und die alle Ausgleichsverhand¬ lungen von vornherein zu einem unaufrichtigen Schauspiel stempeln, von dessem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/162>, abgerufen am 03.07.2024.