Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Zum böhmischen Ausgleich schließlichen Mißlingen alle Eingeweihten überzeugt sind. Wenn von einem Zum böhmischen Ausgleich schließlichen Mißlingen alle Eingeweihten überzeugt sind. Wenn von einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321910"/> <fw type="header" place="top"> Zum böhmischen Ausgleich</fw><lb/> <p xml:id="ID_597" prev="#ID_596"> schließlichen Mißlingen alle Eingeweihten überzeugt sind. Wenn von einem<lb/> Teil der beteiligten Parteien der Schein ernster Ausgleichsverhandlungen trotz¬<lb/> dem immer wieder aufrecht erhalten wird, so liegt der Grund dafür haupt¬<lb/> sächlich in finanztechnischen Fragen. Böhmen steht vor dem Landesbankerott<lb/> und nur so lange die Ausgleichsverhandlungen nicht endgültig abgebrochen sind,<lb/> lassen sich neue Anleihen aufnehmen und die alten Steuern einHeben, was<lb/> zwar beides verfassungswidrig ist, wie so vieles offizielles Geschehen in Österreich,<lb/> aber man kann es doch mit Hinweis auf die Verhandlungen beschönigen, die<lb/> im jedesmaligen Bedarfsfall optimistisch gefärbt erscheinen, obzwar sie um<lb/> keinen Schritt vorwärts kommen können. Erst mit dem endgilltigen Abbruch<lb/> der Verhandlungen fällt dieses Feigenblatt weg, mit dem man sich nun schon<lb/> jahrelang fortwurstelt und weiter fortwursteln wird und muß. Anderseits gibt<lb/> die Regierung die Hoffnung nicht auf, die deutschen Abgeordneten, die Gründen<lb/> wie Staatsnotwendigkeiten und Rücksicht auf die Gesamtpolitik nicht so unzugänglich<lb/> sind wie die anderen Völker Österreichs, wieder einmal zu einem Scheinausgleich<lb/> oder Etappenausgleich, wie es jetzt heißt, zu bewegen, der die Lage der<lb/> Deutschen in Böhmen zwar in keiner Weise sicher stellt, keinen der alten Streit¬<lb/> punkte aus der Welt schafft und nur wieder neue Ausgleichsverhandlungen not¬<lb/> wendig macht; aber schon die kleinste verhandlungsfähige Sitzung des böhmischen<lb/> Landtages, und wenn sie noch so ergebnislos wäre, würde dem nach wie vor<lb/> verfassungswidrigen finanziellen Fortwursteln einen neuen auf Jahre hin<lb/> vorhaltenden Schwung geben. Das ist der ganze Sinn des jetzigen mit<lb/> so viel Geheimnistuerei umgebenen Stadiums der böhmischen Ausgleichs¬<lb/> verhandlungen. Sollten aber die deutschen Abgeordneten der Volksstimmung<lb/> folgen und sich aus diese Pläne der leitenden Kreise nicht weiter einlassen, als<lb/> es schon geschehen, sondern sich auch ihrerseits von den für ihre wesentlichen<lb/> Forderungen eingestandenermaßen aussichtslosen Ausgleichsverhandlungen zurück¬<lb/> ziehen, so fällt der Schein. Es wird der Regierungskommissar kommen<lb/> müssen, mit dem verschiedene offiziöse und halboffiziöse Blätter schon geraume<lb/> Zeit drohen. Der ist aber auch nicht verfassungswidriger als das bisherige<lb/> Spiel und unter ihm wird fortgewurstelt werden wie bisher — was das<lb/> Wahrscheinlichste ist; oder er wird auch neue Wege gehen wollen. Tut er<lb/> das für die Deutschen, dann fegen ihn die Tschechen hinweg; will er es gegen<lb/> die Deutschen, dann wird er diesen eine neue Grundlage ihrer Politik aufnötigen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
Zum böhmischen Ausgleich
schließlichen Mißlingen alle Eingeweihten überzeugt sind. Wenn von einem
Teil der beteiligten Parteien der Schein ernster Ausgleichsverhandlungen trotz¬
dem immer wieder aufrecht erhalten wird, so liegt der Grund dafür haupt¬
sächlich in finanztechnischen Fragen. Böhmen steht vor dem Landesbankerott
und nur so lange die Ausgleichsverhandlungen nicht endgültig abgebrochen sind,
lassen sich neue Anleihen aufnehmen und die alten Steuern einHeben, was
zwar beides verfassungswidrig ist, wie so vieles offizielles Geschehen in Österreich,
aber man kann es doch mit Hinweis auf die Verhandlungen beschönigen, die
im jedesmaligen Bedarfsfall optimistisch gefärbt erscheinen, obzwar sie um
keinen Schritt vorwärts kommen können. Erst mit dem endgilltigen Abbruch
der Verhandlungen fällt dieses Feigenblatt weg, mit dem man sich nun schon
jahrelang fortwurstelt und weiter fortwursteln wird und muß. Anderseits gibt
die Regierung die Hoffnung nicht auf, die deutschen Abgeordneten, die Gründen
wie Staatsnotwendigkeiten und Rücksicht auf die Gesamtpolitik nicht so unzugänglich
sind wie die anderen Völker Österreichs, wieder einmal zu einem Scheinausgleich
oder Etappenausgleich, wie es jetzt heißt, zu bewegen, der die Lage der
Deutschen in Böhmen zwar in keiner Weise sicher stellt, keinen der alten Streit¬
punkte aus der Welt schafft und nur wieder neue Ausgleichsverhandlungen not¬
wendig macht; aber schon die kleinste verhandlungsfähige Sitzung des böhmischen
Landtages, und wenn sie noch so ergebnislos wäre, würde dem nach wie vor
verfassungswidrigen finanziellen Fortwursteln einen neuen auf Jahre hin
vorhaltenden Schwung geben. Das ist der ganze Sinn des jetzigen mit
so viel Geheimnistuerei umgebenen Stadiums der böhmischen Ausgleichs¬
verhandlungen. Sollten aber die deutschen Abgeordneten der Volksstimmung
folgen und sich aus diese Pläne der leitenden Kreise nicht weiter einlassen, als
es schon geschehen, sondern sich auch ihrerseits von den für ihre wesentlichen
Forderungen eingestandenermaßen aussichtslosen Ausgleichsverhandlungen zurück¬
ziehen, so fällt der Schein. Es wird der Regierungskommissar kommen
müssen, mit dem verschiedene offiziöse und halboffiziöse Blätter schon geraume
Zeit drohen. Der ist aber auch nicht verfassungswidriger als das bisherige
Spiel und unter ihm wird fortgewurstelt werden wie bisher — was das
Wahrscheinlichste ist; oder er wird auch neue Wege gehen wollen. Tut er
das für die Deutschen, dann fegen ihn die Tschechen hinweg; will er es gegen
die Deutschen, dann wird er diesen eine neue Grundlage ihrer Politik aufnötigen.
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