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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Zum böhmischen Ausgleich

lahm legen, der ihnen ihr nationales Lebensrecht verkümmert, und die Tschechen
sind es, welche Zugeständnisse machen müßten, wenn die Deutschen ein Weiter¬
arbeiten des Landtages ermöglichen sollen.

Das aber können die tschechischen Abgeordneten nicht. Das tschechische Volk
ist durch die Staatsrechtsideen und durch eine Schulbildung, die sich an Chau¬
vinismus nur noch mit der magyarischen vergleichen kann, in einem solchen
nationalen Größenwahn befangen, daß es die Deutschen nur als Räuber und
Eindringlinge betrachtet, die in seinem heiligen dreieinigen Königreich (Böhmen,
Mähren, Schlesien) keine Daseinsberechtigung haben; und das ganze Volk nimmt
es mit solchen Ansichten so bitter ernst, daß jeder Abgeordnete und jede Partei,
die es wagen wollten, den Deutschen auch nur ein bißchen entgegenzukommen,
sofort hinweggefegt würden, wie es ja den Alttschechen im Jahre 1890 ergangen
ist, obgleich die Folgen der chauvinistischen Schulbildung damals noch nicht so
hervortreten konnten wie heute, wo sie doppelt solange am Werke ist wie 1890,
und obgleich die Alttschechen den Ausgleich gar nicht einmal durchführten, den
sie versprochen hatten, da sie nach dem Minoritätsschulengesetz wortbrüchig
wurden. Und wie im Jahre 1890 die Jungtschechen, so ziehen sich jetzt wieder
die noch radikaleren tschechischen Parteien auf Drängen ihrer Wähler von den
Ausgleichsverhandlungen zurück, obgleich erst einige unverbindliche Zugeständnisse
der Tschechen in rein formalen Dingen vorliegen. Das sind elementare Mächte
im tschechischen Volk, die uns anderen unvernünftig erscheinen, die aber wie
blinde Naturgewalten für Vernunft- oder Billigkeitsgründe unzugänglich sind.
Durch parlamentarische Mittel wird sich dieses Ausgleichshindernis nie mehr
beseitigen lassen, es sei denn, daß die Deutschen in Böhmen auf den Anspruch
verzichten, ihren nationalen Besitzstand aufrechterhalten zu wollen. Zu solchem
Verzicht braucht es aber keinen Ausgleich, das Zurückdrängen der Deutschen
vollzieht sich unter den bestehenden Rechts- und Steuerverhältnissen von selbst.
Aber eben weil sich die Deutschen Böhmens nicht nur materiell benachteiligt,
sondern auch in ihrem nationalen Besitzstand bedroht fühlen, legen sie den
böhmischen Landtag lahm, den sie mit seiner jetzigen Verfassung für einen
mächtigen Förderer der Tschechisierung halten. Ihre Forderungen lassen sich in
drei Punkten zusammenfassen: 1. eine deutsche Kurie im Landtag mit Vetorecht;
2. nationale Abgrenzung der Verwaltungsbezirke; 3. Verwendung der deutschen
Landessteuern für die deutschen Interessen in Böhmen, d. i. Trennung der
Finanzen. Wenn nun auch die deutschen Landtagsabgeordneten mit ihrem
althergebrachten gesamtstaatlichen Verantwortlichkeitsgefühl, das den Tschechen
und den anderen Völkern Österreichs so ganz abgeht, leichter geneigt sind als
die tschechischen Abgeordneten, einen Teil der nationalen und wirtschaftlichen
Forderungen ihrer Wählerschaft in den Verhandlungen aufzugeben, so werden
sie doch den Tschechen nie so weit entgegenkommen können, daß sie sich auf den
Standpunkt stellen, den diese ihren Wählern gegenüber nicht aufgeben dürfen,
auf den Standpunkt des tschechischen Nationalstaates in Böhmen.


Zum böhmischen Ausgleich

lahm legen, der ihnen ihr nationales Lebensrecht verkümmert, und die Tschechen
sind es, welche Zugeständnisse machen müßten, wenn die Deutschen ein Weiter¬
arbeiten des Landtages ermöglichen sollen.

Das aber können die tschechischen Abgeordneten nicht. Das tschechische Volk
ist durch die Staatsrechtsideen und durch eine Schulbildung, die sich an Chau¬
vinismus nur noch mit der magyarischen vergleichen kann, in einem solchen
nationalen Größenwahn befangen, daß es die Deutschen nur als Räuber und
Eindringlinge betrachtet, die in seinem heiligen dreieinigen Königreich (Böhmen,
Mähren, Schlesien) keine Daseinsberechtigung haben; und das ganze Volk nimmt
es mit solchen Ansichten so bitter ernst, daß jeder Abgeordnete und jede Partei,
die es wagen wollten, den Deutschen auch nur ein bißchen entgegenzukommen,
sofort hinweggefegt würden, wie es ja den Alttschechen im Jahre 1890 ergangen
ist, obgleich die Folgen der chauvinistischen Schulbildung damals noch nicht so
hervortreten konnten wie heute, wo sie doppelt solange am Werke ist wie 1890,
und obgleich die Alttschechen den Ausgleich gar nicht einmal durchführten, den
sie versprochen hatten, da sie nach dem Minoritätsschulengesetz wortbrüchig
wurden. Und wie im Jahre 1890 die Jungtschechen, so ziehen sich jetzt wieder
die noch radikaleren tschechischen Parteien auf Drängen ihrer Wähler von den
Ausgleichsverhandlungen zurück, obgleich erst einige unverbindliche Zugeständnisse
der Tschechen in rein formalen Dingen vorliegen. Das sind elementare Mächte
im tschechischen Volk, die uns anderen unvernünftig erscheinen, die aber wie
blinde Naturgewalten für Vernunft- oder Billigkeitsgründe unzugänglich sind.
Durch parlamentarische Mittel wird sich dieses Ausgleichshindernis nie mehr
beseitigen lassen, es sei denn, daß die Deutschen in Böhmen auf den Anspruch
verzichten, ihren nationalen Besitzstand aufrechterhalten zu wollen. Zu solchem
Verzicht braucht es aber keinen Ausgleich, das Zurückdrängen der Deutschen
vollzieht sich unter den bestehenden Rechts- und Steuerverhältnissen von selbst.
Aber eben weil sich die Deutschen Böhmens nicht nur materiell benachteiligt,
sondern auch in ihrem nationalen Besitzstand bedroht fühlen, legen sie den
böhmischen Landtag lahm, den sie mit seiner jetzigen Verfassung für einen
mächtigen Förderer der Tschechisierung halten. Ihre Forderungen lassen sich in
drei Punkten zusammenfassen: 1. eine deutsche Kurie im Landtag mit Vetorecht;
2. nationale Abgrenzung der Verwaltungsbezirke; 3. Verwendung der deutschen
Landessteuern für die deutschen Interessen in Böhmen, d. i. Trennung der
Finanzen. Wenn nun auch die deutschen Landtagsabgeordneten mit ihrem
althergebrachten gesamtstaatlichen Verantwortlichkeitsgefühl, das den Tschechen
und den anderen Völkern Österreichs so ganz abgeht, leichter geneigt sind als
die tschechischen Abgeordneten, einen Teil der nationalen und wirtschaftlichen
Forderungen ihrer Wählerschaft in den Verhandlungen aufzugeben, so werden
sie doch den Tschechen nie so weit entgegenkommen können, daß sie sich auf den
Standpunkt stellen, den diese ihren Wählern gegenüber nicht aufgeben dürfen,
auf den Standpunkt des tschechischen Nationalstaates in Böhmen.


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[0161] Zum böhmischen Ausgleich lahm legen, der ihnen ihr nationales Lebensrecht verkümmert, und die Tschechen sind es, welche Zugeständnisse machen müßten, wenn die Deutschen ein Weiter¬ arbeiten des Landtages ermöglichen sollen. Das aber können die tschechischen Abgeordneten nicht. Das tschechische Volk ist durch die Staatsrechtsideen und durch eine Schulbildung, die sich an Chau¬ vinismus nur noch mit der magyarischen vergleichen kann, in einem solchen nationalen Größenwahn befangen, daß es die Deutschen nur als Räuber und Eindringlinge betrachtet, die in seinem heiligen dreieinigen Königreich (Böhmen, Mähren, Schlesien) keine Daseinsberechtigung haben; und das ganze Volk nimmt es mit solchen Ansichten so bitter ernst, daß jeder Abgeordnete und jede Partei, die es wagen wollten, den Deutschen auch nur ein bißchen entgegenzukommen, sofort hinweggefegt würden, wie es ja den Alttschechen im Jahre 1890 ergangen ist, obgleich die Folgen der chauvinistischen Schulbildung damals noch nicht so hervortreten konnten wie heute, wo sie doppelt solange am Werke ist wie 1890, und obgleich die Alttschechen den Ausgleich gar nicht einmal durchführten, den sie versprochen hatten, da sie nach dem Minoritätsschulengesetz wortbrüchig wurden. Und wie im Jahre 1890 die Jungtschechen, so ziehen sich jetzt wieder die noch radikaleren tschechischen Parteien auf Drängen ihrer Wähler von den Ausgleichsverhandlungen zurück, obgleich erst einige unverbindliche Zugeständnisse der Tschechen in rein formalen Dingen vorliegen. Das sind elementare Mächte im tschechischen Volk, die uns anderen unvernünftig erscheinen, die aber wie blinde Naturgewalten für Vernunft- oder Billigkeitsgründe unzugänglich sind. Durch parlamentarische Mittel wird sich dieses Ausgleichshindernis nie mehr beseitigen lassen, es sei denn, daß die Deutschen in Böhmen auf den Anspruch verzichten, ihren nationalen Besitzstand aufrechterhalten zu wollen. Zu solchem Verzicht braucht es aber keinen Ausgleich, das Zurückdrängen der Deutschen vollzieht sich unter den bestehenden Rechts- und Steuerverhältnissen von selbst. Aber eben weil sich die Deutschen Böhmens nicht nur materiell benachteiligt, sondern auch in ihrem nationalen Besitzstand bedroht fühlen, legen sie den böhmischen Landtag lahm, den sie mit seiner jetzigen Verfassung für einen mächtigen Förderer der Tschechisierung halten. Ihre Forderungen lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: 1. eine deutsche Kurie im Landtag mit Vetorecht; 2. nationale Abgrenzung der Verwaltungsbezirke; 3. Verwendung der deutschen Landessteuern für die deutschen Interessen in Böhmen, d. i. Trennung der Finanzen. Wenn nun auch die deutschen Landtagsabgeordneten mit ihrem althergebrachten gesamtstaatlichen Verantwortlichkeitsgefühl, das den Tschechen und den anderen Völkern Österreichs so ganz abgeht, leichter geneigt sind als die tschechischen Abgeordneten, einen Teil der nationalen und wirtschaftlichen Forderungen ihrer Wählerschaft in den Verhandlungen aufzugeben, so werden sie doch den Tschechen nie so weit entgegenkommen können, daß sie sich auf den Standpunkt stellen, den diese ihren Wählern gegenüber nicht aufgeben dürfen, auf den Standpunkt des tschechischen Nationalstaates in Böhmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/161>, abgerufen am 03.07.2024.