Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum böhmischen Ausgleich

in welchem dem deutschen Teil Böhmens ein Viertel der Gesamtausgaben
zukamen, während über die Hälfte der Landessteuern aus deutschem Gebiete
stammen.

Die durch die deutsche Obstruktion hervorgerufene Finanznot des Landes
Böhmen, dann die Schwierigkeiten, die sich aus der Ungelöstheit der böhmischen
Frage für die Reichspolitik ergaben, brachten im Jahre 1910 aufs neue Aus¬
gleichsverhandlungen von feiten der Regierung zustande. Ausschlaggebend für
die ungewöhnlich energische Durchführung dieser Verhandlungen war der aus¬
gesprochene Wille des Kaisers, beziehungsweise des Thronfolgers, der selber
hinter den Verhandlungen stand, da die Vermittlung diesmal von den Mit¬
gliedern des Feudaladels unternommen wurde, die mit ihm in enger Fühlung
stehen, besonders vom Grafen Thun, der ja dann schließlich auch ausdrücklich
als Ausgleichsstatthalter an die Spitze Böhmens gestellt und auf Vorschuß in
den Fürstenstand erhoben wurde, als es Coudenhove nicht gelingen wollte, den
Ausgleich durchzuführen. Die ganze Art, wie die Verhandlungen eingeleitet und
geführt wurden, wie sich die klerikale Presse und auch viele früher oppositionelle
deutschfreiheitliche Blätter verhielten, und wie sogar die radikalen Tschechen zur
Teilnahme an den Verhandlungen gebracht wurden, zeigten eine tadellose Orga¬
nisation und einen entschiedenen Willen.

Aber gegen Verhältnisse, die in der Natur der Dinge selbst liegen, kommt
auch ein energischer Wille nicht so leicht auf, und so sah man denn die Ver¬
handlungen, die durch die Berufung und Fürstung des Grafen Thun wieder
einmal weithin von sich reden machten, bald denselben kläglichen Verlauf nehmen
wie alle früheren Ausgleichsverhandlungen. Und diese Verhandlungen, die sich
ja heute noch ergebnislos dahinziehen, werden schließlich mit derselben Natur¬
notwendigkeit scheitern, wie alle früheren gescheitert sind. Man pflegt sich,
besonders in der Regierungspresse, für die gegenteilige Ansicht auf den mährischen
Ausgleich von 1905 zu berufen, wo ja auch eine Verständigung zwischen Deutschen
und Tschechen erzielt werden konnte. Aber in Mähren lag die Sache 1905
noch so, wie sie in Böhmen vor 1870 lag. Die Deutschen hatten kraft ihrer
Steuerleistung die Mehrheit im Landtag, obzwar sie nur 28 Prozent der
mährischen Bevölkerung bildeten, und die Tschechen, die naturgemäß mit solcher
Machtverteilung nicht zufrieden waren, legten den Landtag durch Obstruktion
lahm. Als dann die Regierung unter persönlichem Eingreifen des Kaisers die
Deutschen in den Ausgleichsverhandlungen dahin zu bringen vermochte, daß sie
ihre bisherige Vormachtstellung im Landtage gegen gewisse Sicherstellungen an
die Tschechen abtraten, da griffen die Tschechen natürlich zu. In Böhmen aber
hatte die Regierung mit Hilfe des Feudaladels schon im Jahre 1870 die
Mehrheit des Landtags ohne jegliche Sicherstellung der Deutschen den Tschechen
in die Hände gespielt, die nun bald ihre Macht rücksichtslos ausnützten und die
Deutschen, soweit es in der Macht des Landtages lag, auf allen Gebieten ver¬
gewaltigten. Hier sind es die Deutschen, welche die Tätigkeit eines Landtages


Zum böhmischen Ausgleich

in welchem dem deutschen Teil Böhmens ein Viertel der Gesamtausgaben
zukamen, während über die Hälfte der Landessteuern aus deutschem Gebiete
stammen.

Die durch die deutsche Obstruktion hervorgerufene Finanznot des Landes
Böhmen, dann die Schwierigkeiten, die sich aus der Ungelöstheit der böhmischen
Frage für die Reichspolitik ergaben, brachten im Jahre 1910 aufs neue Aus¬
gleichsverhandlungen von feiten der Regierung zustande. Ausschlaggebend für
die ungewöhnlich energische Durchführung dieser Verhandlungen war der aus¬
gesprochene Wille des Kaisers, beziehungsweise des Thronfolgers, der selber
hinter den Verhandlungen stand, da die Vermittlung diesmal von den Mit¬
gliedern des Feudaladels unternommen wurde, die mit ihm in enger Fühlung
stehen, besonders vom Grafen Thun, der ja dann schließlich auch ausdrücklich
als Ausgleichsstatthalter an die Spitze Böhmens gestellt und auf Vorschuß in
den Fürstenstand erhoben wurde, als es Coudenhove nicht gelingen wollte, den
Ausgleich durchzuführen. Die ganze Art, wie die Verhandlungen eingeleitet und
geführt wurden, wie sich die klerikale Presse und auch viele früher oppositionelle
deutschfreiheitliche Blätter verhielten, und wie sogar die radikalen Tschechen zur
Teilnahme an den Verhandlungen gebracht wurden, zeigten eine tadellose Orga¬
nisation und einen entschiedenen Willen.

Aber gegen Verhältnisse, die in der Natur der Dinge selbst liegen, kommt
auch ein energischer Wille nicht so leicht auf, und so sah man denn die Ver¬
handlungen, die durch die Berufung und Fürstung des Grafen Thun wieder
einmal weithin von sich reden machten, bald denselben kläglichen Verlauf nehmen
wie alle früheren Ausgleichsverhandlungen. Und diese Verhandlungen, die sich
ja heute noch ergebnislos dahinziehen, werden schließlich mit derselben Natur¬
notwendigkeit scheitern, wie alle früheren gescheitert sind. Man pflegt sich,
besonders in der Regierungspresse, für die gegenteilige Ansicht auf den mährischen
Ausgleich von 1905 zu berufen, wo ja auch eine Verständigung zwischen Deutschen
und Tschechen erzielt werden konnte. Aber in Mähren lag die Sache 1905
noch so, wie sie in Böhmen vor 1870 lag. Die Deutschen hatten kraft ihrer
Steuerleistung die Mehrheit im Landtag, obzwar sie nur 28 Prozent der
mährischen Bevölkerung bildeten, und die Tschechen, die naturgemäß mit solcher
Machtverteilung nicht zufrieden waren, legten den Landtag durch Obstruktion
lahm. Als dann die Regierung unter persönlichem Eingreifen des Kaisers die
Deutschen in den Ausgleichsverhandlungen dahin zu bringen vermochte, daß sie
ihre bisherige Vormachtstellung im Landtage gegen gewisse Sicherstellungen an
die Tschechen abtraten, da griffen die Tschechen natürlich zu. In Böhmen aber
hatte die Regierung mit Hilfe des Feudaladels schon im Jahre 1870 die
Mehrheit des Landtags ohne jegliche Sicherstellung der Deutschen den Tschechen
in die Hände gespielt, die nun bald ihre Macht rücksichtslos ausnützten und die
Deutschen, soweit es in der Macht des Landtages lag, auf allen Gebieten ver¬
gewaltigten. Hier sind es die Deutschen, welche die Tätigkeit eines Landtages


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321907"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum böhmischen Ausgleich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_589" prev="#ID_588"> in welchem dem deutschen Teil Böhmens ein Viertel der Gesamtausgaben<lb/>
zukamen, während über die Hälfte der Landessteuern aus deutschem Gebiete<lb/>
stammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_590"> Die durch die deutsche Obstruktion hervorgerufene Finanznot des Landes<lb/>
Böhmen, dann die Schwierigkeiten, die sich aus der Ungelöstheit der böhmischen<lb/>
Frage für die Reichspolitik ergaben, brachten im Jahre 1910 aufs neue Aus¬<lb/>
gleichsverhandlungen von feiten der Regierung zustande. Ausschlaggebend für<lb/>
die ungewöhnlich energische Durchführung dieser Verhandlungen war der aus¬<lb/>
gesprochene Wille des Kaisers, beziehungsweise des Thronfolgers, der selber<lb/>
hinter den Verhandlungen stand, da die Vermittlung diesmal von den Mit¬<lb/>
gliedern des Feudaladels unternommen wurde, die mit ihm in enger Fühlung<lb/>
stehen, besonders vom Grafen Thun, der ja dann schließlich auch ausdrücklich<lb/>
als Ausgleichsstatthalter an die Spitze Böhmens gestellt und auf Vorschuß in<lb/>
den Fürstenstand erhoben wurde, als es Coudenhove nicht gelingen wollte, den<lb/>
Ausgleich durchzuführen. Die ganze Art, wie die Verhandlungen eingeleitet und<lb/>
geführt wurden, wie sich die klerikale Presse und auch viele früher oppositionelle<lb/>
deutschfreiheitliche Blätter verhielten, und wie sogar die radikalen Tschechen zur<lb/>
Teilnahme an den Verhandlungen gebracht wurden, zeigten eine tadellose Orga¬<lb/>
nisation und einen entschiedenen Willen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> Aber gegen Verhältnisse, die in der Natur der Dinge selbst liegen, kommt<lb/>
auch ein energischer Wille nicht so leicht auf, und so sah man denn die Ver¬<lb/>
handlungen, die durch die Berufung und Fürstung des Grafen Thun wieder<lb/>
einmal weithin von sich reden machten, bald denselben kläglichen Verlauf nehmen<lb/>
wie alle früheren Ausgleichsverhandlungen. Und diese Verhandlungen, die sich<lb/>
ja heute noch ergebnislos dahinziehen, werden schließlich mit derselben Natur¬<lb/>
notwendigkeit scheitern, wie alle früheren gescheitert sind. Man pflegt sich,<lb/>
besonders in der Regierungspresse, für die gegenteilige Ansicht auf den mährischen<lb/>
Ausgleich von 1905 zu berufen, wo ja auch eine Verständigung zwischen Deutschen<lb/>
und Tschechen erzielt werden konnte. Aber in Mähren lag die Sache 1905<lb/>
noch so, wie sie in Böhmen vor 1870 lag. Die Deutschen hatten kraft ihrer<lb/>
Steuerleistung die Mehrheit im Landtag, obzwar sie nur 28 Prozent der<lb/>
mährischen Bevölkerung bildeten, und die Tschechen, die naturgemäß mit solcher<lb/>
Machtverteilung nicht zufrieden waren, legten den Landtag durch Obstruktion<lb/>
lahm. Als dann die Regierung unter persönlichem Eingreifen des Kaisers die<lb/>
Deutschen in den Ausgleichsverhandlungen dahin zu bringen vermochte, daß sie<lb/>
ihre bisherige Vormachtstellung im Landtage gegen gewisse Sicherstellungen an<lb/>
die Tschechen abtraten, da griffen die Tschechen natürlich zu. In Böhmen aber<lb/>
hatte die Regierung mit Hilfe des Feudaladels schon im Jahre 1870 die<lb/>
Mehrheit des Landtags ohne jegliche Sicherstellung der Deutschen den Tschechen<lb/>
in die Hände gespielt, die nun bald ihre Macht rücksichtslos ausnützten und die<lb/>
Deutschen, soweit es in der Macht des Landtages lag, auf allen Gebieten ver¬<lb/>
gewaltigten.  Hier sind es die Deutschen, welche die Tätigkeit eines Landtages</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Zum böhmischen Ausgleich in welchem dem deutschen Teil Böhmens ein Viertel der Gesamtausgaben zukamen, während über die Hälfte der Landessteuern aus deutschem Gebiete stammen. Die durch die deutsche Obstruktion hervorgerufene Finanznot des Landes Böhmen, dann die Schwierigkeiten, die sich aus der Ungelöstheit der böhmischen Frage für die Reichspolitik ergaben, brachten im Jahre 1910 aufs neue Aus¬ gleichsverhandlungen von feiten der Regierung zustande. Ausschlaggebend für die ungewöhnlich energische Durchführung dieser Verhandlungen war der aus¬ gesprochene Wille des Kaisers, beziehungsweise des Thronfolgers, der selber hinter den Verhandlungen stand, da die Vermittlung diesmal von den Mit¬ gliedern des Feudaladels unternommen wurde, die mit ihm in enger Fühlung stehen, besonders vom Grafen Thun, der ja dann schließlich auch ausdrücklich als Ausgleichsstatthalter an die Spitze Böhmens gestellt und auf Vorschuß in den Fürstenstand erhoben wurde, als es Coudenhove nicht gelingen wollte, den Ausgleich durchzuführen. Die ganze Art, wie die Verhandlungen eingeleitet und geführt wurden, wie sich die klerikale Presse und auch viele früher oppositionelle deutschfreiheitliche Blätter verhielten, und wie sogar die radikalen Tschechen zur Teilnahme an den Verhandlungen gebracht wurden, zeigten eine tadellose Orga¬ nisation und einen entschiedenen Willen. Aber gegen Verhältnisse, die in der Natur der Dinge selbst liegen, kommt auch ein energischer Wille nicht so leicht auf, und so sah man denn die Ver¬ handlungen, die durch die Berufung und Fürstung des Grafen Thun wieder einmal weithin von sich reden machten, bald denselben kläglichen Verlauf nehmen wie alle früheren Ausgleichsverhandlungen. Und diese Verhandlungen, die sich ja heute noch ergebnislos dahinziehen, werden schließlich mit derselben Natur¬ notwendigkeit scheitern, wie alle früheren gescheitert sind. Man pflegt sich, besonders in der Regierungspresse, für die gegenteilige Ansicht auf den mährischen Ausgleich von 1905 zu berufen, wo ja auch eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen erzielt werden konnte. Aber in Mähren lag die Sache 1905 noch so, wie sie in Böhmen vor 1870 lag. Die Deutschen hatten kraft ihrer Steuerleistung die Mehrheit im Landtag, obzwar sie nur 28 Prozent der mährischen Bevölkerung bildeten, und die Tschechen, die naturgemäß mit solcher Machtverteilung nicht zufrieden waren, legten den Landtag durch Obstruktion lahm. Als dann die Regierung unter persönlichem Eingreifen des Kaisers die Deutschen in den Ausgleichsverhandlungen dahin zu bringen vermochte, daß sie ihre bisherige Vormachtstellung im Landtage gegen gewisse Sicherstellungen an die Tschechen abtraten, da griffen die Tschechen natürlich zu. In Böhmen aber hatte die Regierung mit Hilfe des Feudaladels schon im Jahre 1870 die Mehrheit des Landtags ohne jegliche Sicherstellung der Deutschen den Tschechen in die Hände gespielt, die nun bald ihre Macht rücksichtslos ausnützten und die Deutschen, soweit es in der Macht des Landtages lag, auf allen Gebieten ver¬ gewaltigten. Hier sind es die Deutschen, welche die Tätigkeit eines Landtages

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/160>, abgerufen am 03.07.2024.