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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Zum böhmischen Ausgleich

Jahre wird offen gegen die Deutschen in Böhmen regiert. 1884 stellt der
liberale Dr. Herbst den Antrag auf Zweiteilung, der abgelehnt wird, worauf
die Deutschen bis 1890 dem böhmischen Landtag fern bleiben. 1887 bahnte
Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz wieder Verständigungsversuche an; die
Deutschen machten jeden Schritt von der Aufhebung der Stromayrschen Sprachen¬
verordnungen und von der nationalen Abgrenzung der Bezirke abhängig. 1890
mußte sich endlich Graf Taaffe, der sich wenig um die Beschwerden der Deutschen
in Böhmen gekümmert hatte, entschließen, Ausgleichsverhandlungen anzubahnen,
die in Wien zwischen Deutschen. Alttschechen und Feudalen stattfanden. Die
Jungtschechen, die eben ihre ersten großen Wahlerfolge errangen, hatte man
nicht zur Teilnahme eingeladen. Man einigte sich mit Hilfe der Negierung
Taaffe auf folgende Punkte: 1. Teilung des Landcsschulrates; 2. Teilung des
Landeskulturrates; 3. Minoritätsschulen auf Kosten der Gemeinde, wenn vierzig
fremdsprachige Kinder durch fünf Jahre oder achtzig durch drei Jahre in der
-Gemeinde vorhanden sind; 4. nationale Abgrenzung der Bezirks- und Kreis¬
gerichtssprengel; 5. von den einundvierzig Rathskeller beim Landesgericht in
Prag müssen sechsundzwanzig beider Landessprachen, fünfzehn brauchen bloß
der deutscheu Sprache kundig sein; 6. getrennte Personal- und Disziplinar-
kommissionen für die Gerichte; 7. Revision der Sprachenverordnungen, in bezug
auf welche aber Deutsche und Tschechen ihren grundsätzlichen Standpunkt fest¬
hielten; 8. drei Kurier im Landtag: Großgrundbesitz, Deutsche, Tschechen, jede
mit Vetorecht. -- Aber in den diesen Ausgleichsabmachungen folgenden Landtags¬
beratungen konnten bloß die ersten drei Punkte, die für die Deutschen am
wenigsten wesentlichen, von denen der dritte sogar einen großen Nachteil für
sie bedeutete, durchgeführt werden, da die Jungtschechen obstruierten und dann
auch die Alttschechen, sobald sie das den Tschechen allein zugute kommende
Minoritätsschulengesetz durchgebracht hatten, wortbrüchig wurden. 1898 ver¬
ließen die Deutschen wiederum den Landtag und erst 1902 fanden unter Körber
neue Verhandlungen statt. Körber schlug eine Dreiteilung Böhmens in einen
rein deutschen, einen rein tschechischen und einen gemischtsprachigen Teil mit
entsprechendem Sprachengebrauch bei den Behörden vor. Die Vorschläge wurden
aber von den Tschechen zu Falle gebracht, woraus weitere vergebliche Ausgleichs¬
versuche stattfanden. 1905 wurde unter Ganthas der Ausgleich in Mähren
durchgeführt, der infolge persönlichen Eingreifens des Kaisers zustande kam, und
zwar so, daß die Deutschen gegen die Schaffung eines nationalen Katasters die
von ihnen bisher im Landtage innegehabte Mehrheit in einer Landtagswahl¬
reform den Tschechen überließen. In Böhmen waren inzwischen wieder manche
Verständigungsversuche zwar nicht an der Nachgiebigkeit der Deutschen sondern
an der Unersättlichkeit der Tschechen gescheitert, die ohne Aufgabe des geringsten
Teiles ihrer ungerechten Machtstellung nur weitere Vorteile auf dem Gebiete
der Minoritätsschulen und des Sprachengebrauchs bei den Behörden erlangen
wollten, oder wenigstens Aufgeben der deutschen Obstruktion gegen das Budget,


Zum böhmischen Ausgleich

Jahre wird offen gegen die Deutschen in Böhmen regiert. 1884 stellt der
liberale Dr. Herbst den Antrag auf Zweiteilung, der abgelehnt wird, worauf
die Deutschen bis 1890 dem böhmischen Landtag fern bleiben. 1887 bahnte
Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz wieder Verständigungsversuche an; die
Deutschen machten jeden Schritt von der Aufhebung der Stromayrschen Sprachen¬
verordnungen und von der nationalen Abgrenzung der Bezirke abhängig. 1890
mußte sich endlich Graf Taaffe, der sich wenig um die Beschwerden der Deutschen
in Böhmen gekümmert hatte, entschließen, Ausgleichsverhandlungen anzubahnen,
die in Wien zwischen Deutschen. Alttschechen und Feudalen stattfanden. Die
Jungtschechen, die eben ihre ersten großen Wahlerfolge errangen, hatte man
nicht zur Teilnahme eingeladen. Man einigte sich mit Hilfe der Negierung
Taaffe auf folgende Punkte: 1. Teilung des Landcsschulrates; 2. Teilung des
Landeskulturrates; 3. Minoritätsschulen auf Kosten der Gemeinde, wenn vierzig
fremdsprachige Kinder durch fünf Jahre oder achtzig durch drei Jahre in der
-Gemeinde vorhanden sind; 4. nationale Abgrenzung der Bezirks- und Kreis¬
gerichtssprengel; 5. von den einundvierzig Rathskeller beim Landesgericht in
Prag müssen sechsundzwanzig beider Landessprachen, fünfzehn brauchen bloß
der deutscheu Sprache kundig sein; 6. getrennte Personal- und Disziplinar-
kommissionen für die Gerichte; 7. Revision der Sprachenverordnungen, in bezug
auf welche aber Deutsche und Tschechen ihren grundsätzlichen Standpunkt fest¬
hielten; 8. drei Kurier im Landtag: Großgrundbesitz, Deutsche, Tschechen, jede
mit Vetorecht. — Aber in den diesen Ausgleichsabmachungen folgenden Landtags¬
beratungen konnten bloß die ersten drei Punkte, die für die Deutschen am
wenigsten wesentlichen, von denen der dritte sogar einen großen Nachteil für
sie bedeutete, durchgeführt werden, da die Jungtschechen obstruierten und dann
auch die Alttschechen, sobald sie das den Tschechen allein zugute kommende
Minoritätsschulengesetz durchgebracht hatten, wortbrüchig wurden. 1898 ver¬
ließen die Deutschen wiederum den Landtag und erst 1902 fanden unter Körber
neue Verhandlungen statt. Körber schlug eine Dreiteilung Böhmens in einen
rein deutschen, einen rein tschechischen und einen gemischtsprachigen Teil mit
entsprechendem Sprachengebrauch bei den Behörden vor. Die Vorschläge wurden
aber von den Tschechen zu Falle gebracht, woraus weitere vergebliche Ausgleichs¬
versuche stattfanden. 1905 wurde unter Ganthas der Ausgleich in Mähren
durchgeführt, der infolge persönlichen Eingreifens des Kaisers zustande kam, und
zwar so, daß die Deutschen gegen die Schaffung eines nationalen Katasters die
von ihnen bisher im Landtage innegehabte Mehrheit in einer Landtagswahl¬
reform den Tschechen überließen. In Böhmen waren inzwischen wieder manche
Verständigungsversuche zwar nicht an der Nachgiebigkeit der Deutschen sondern
an der Unersättlichkeit der Tschechen gescheitert, die ohne Aufgabe des geringsten
Teiles ihrer ungerechten Machtstellung nur weitere Vorteile auf dem Gebiete
der Minoritätsschulen und des Sprachengebrauchs bei den Behörden erlangen
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[0159] Zum böhmischen Ausgleich Jahre wird offen gegen die Deutschen in Böhmen regiert. 1884 stellt der liberale Dr. Herbst den Antrag auf Zweiteilung, der abgelehnt wird, worauf die Deutschen bis 1890 dem böhmischen Landtag fern bleiben. 1887 bahnte Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz wieder Verständigungsversuche an; die Deutschen machten jeden Schritt von der Aufhebung der Stromayrschen Sprachen¬ verordnungen und von der nationalen Abgrenzung der Bezirke abhängig. 1890 mußte sich endlich Graf Taaffe, der sich wenig um die Beschwerden der Deutschen in Böhmen gekümmert hatte, entschließen, Ausgleichsverhandlungen anzubahnen, die in Wien zwischen Deutschen. Alttschechen und Feudalen stattfanden. Die Jungtschechen, die eben ihre ersten großen Wahlerfolge errangen, hatte man nicht zur Teilnahme eingeladen. Man einigte sich mit Hilfe der Negierung Taaffe auf folgende Punkte: 1. Teilung des Landcsschulrates; 2. Teilung des Landeskulturrates; 3. Minoritätsschulen auf Kosten der Gemeinde, wenn vierzig fremdsprachige Kinder durch fünf Jahre oder achtzig durch drei Jahre in der -Gemeinde vorhanden sind; 4. nationale Abgrenzung der Bezirks- und Kreis¬ gerichtssprengel; 5. von den einundvierzig Rathskeller beim Landesgericht in Prag müssen sechsundzwanzig beider Landessprachen, fünfzehn brauchen bloß der deutscheu Sprache kundig sein; 6. getrennte Personal- und Disziplinar- kommissionen für die Gerichte; 7. Revision der Sprachenverordnungen, in bezug auf welche aber Deutsche und Tschechen ihren grundsätzlichen Standpunkt fest¬ hielten; 8. drei Kurier im Landtag: Großgrundbesitz, Deutsche, Tschechen, jede mit Vetorecht. — Aber in den diesen Ausgleichsabmachungen folgenden Landtags¬ beratungen konnten bloß die ersten drei Punkte, die für die Deutschen am wenigsten wesentlichen, von denen der dritte sogar einen großen Nachteil für sie bedeutete, durchgeführt werden, da die Jungtschechen obstruierten und dann auch die Alttschechen, sobald sie das den Tschechen allein zugute kommende Minoritätsschulengesetz durchgebracht hatten, wortbrüchig wurden. 1898 ver¬ ließen die Deutschen wiederum den Landtag und erst 1902 fanden unter Körber neue Verhandlungen statt. Körber schlug eine Dreiteilung Böhmens in einen rein deutschen, einen rein tschechischen und einen gemischtsprachigen Teil mit entsprechendem Sprachengebrauch bei den Behörden vor. Die Vorschläge wurden aber von den Tschechen zu Falle gebracht, woraus weitere vergebliche Ausgleichs¬ versuche stattfanden. 1905 wurde unter Ganthas der Ausgleich in Mähren durchgeführt, der infolge persönlichen Eingreifens des Kaisers zustande kam, und zwar so, daß die Deutschen gegen die Schaffung eines nationalen Katasters die von ihnen bisher im Landtage innegehabte Mehrheit in einer Landtagswahl¬ reform den Tschechen überließen. In Böhmen waren inzwischen wieder manche Verständigungsversuche zwar nicht an der Nachgiebigkeit der Deutschen sondern an der Unersättlichkeit der Tschechen gescheitert, die ohne Aufgabe des geringsten Teiles ihrer ungerechten Machtstellung nur weitere Vorteile auf dem Gebiete der Minoritätsschulen und des Sprachengebrauchs bei den Behörden erlangen wollten, oder wenigstens Aufgeben der deutschen Obstruktion gegen das Budget,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/159>, abgerufen am 03.07.2024.