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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der uationcrlliberalcn Partei

im bildlichen Sinne verstanden werden. Man hat ihn entlehnt aus dem Ver¬
hältnisse des Krieges zwischen Gegnern, die aus den körperlichen oder doch
wenigstens wirtschaftlichen Untergang des anderen Teiles hinarbeiten. Davon
kann bei politischen Gegnern, die dem nämlichen Staatsorganismus angehören,
keine Rede sein, denn damit würden eben diesem Organismus selbst die tiefsten
Wunden geschlagen werden. Es sollte daher in den Ehrenkodex sämtlicher
Parteien das strengste Verbot aufgenommen werden, sich wegen der politischen
Gesinnung gegenseitig das wirtschaftliche Grab zu graben. Wenn die Sozial¬
demokraten zu dieser Höhe der Auffassung vom Gedeihen des Staates aus
grundsätzlichen Haß gegen diesen sich nicht aufzuschwingen vermögen, so sollten
es wenigstens diejenigen Parteien tun, die ein übereinstimmendes Interesse an
der Erhaltung des Staatsgebäudes haben. Und zwar nicht nur untereinander,
sondern auch den sozialdemokratischen Wählern gegenüber, damit diese für ihre
schlechten und staatsgefährlichen Sitten sich nicht auf das schlechte Beispiel der
sogenannten bürgerlichen Parteien berufen können. Es ist stets und überall so,
daß der edlere Teil dem weniger edlen mit dem guten Beispiel vorangehen
muß, selbst auf die Gefahr hin eines vorübergehenden Nächtens im gegenseitigen
Kampfe. Schon mit dieser Einsicht wäre manches gewonnen, wenn man sich
erinnert, mit welcher blinden Wut bei den letzten Wahlen in gewissen Kreisen
mit dem wirtschaftlichen Boykott frevelhaft gespielt worden ist und zwar auch
innerhalb der Reihen der bürgerlichen Parteien. Was aber die Bekämpfung
der Sozialdemokratie anbetrifft, so wünscht, abgesehen von einigen verblendeten
Scharfmachern, niemand mehr die Methode des Sozialistengesetzes herbei. Welche
Mittel können also in diesem Kampf nur noch in Frage kommen? Es sind drei:
entweder die Einigung aller anderen Parteien gegen die eine, oder die Beschaffung
neuer Stimmkräfte, d. h. die Erwerbung politischen Rentamtes, die politische
Mobilisierung bisher gleichgültiger wahlfähiger Männer, die ihre Wahlstimme
garnicht oder sinnlos abgaben, oder endlich die Entziehung der Wahl¬
stimmen der Sozialdemokratie durch deren Gewinnung sür andere Parteien,
am besten für die eigene Partei. Das erste Mittel, die Einigung mit
anderen Parteien, ist das roheste und am wenigsten verläßliche: einer hängt
von dem anderen ab und sobald einer Partei ein anderes Ziel wichtiger
erscheint, wird die Verbindung gelöst, die Wirkung hört mit einem Schlage
auf. Wir haben die Geschichte des Bülowblocks noch in frischester Er¬
innerung. Der Fürstreichskanzler nannte sein Gedankenkind: "Konservativ-
liberale Paarung." Sehr bezeichnend! er hat sich gehütet, von einer
konservativ-liberalen Ehe zu sprechen. Er wählte sein Bild aus der agrarisch¬
animalischen Vorstellungsweise, um anzudeuten, daß es sich um kein auf die
Dauer berechnetes Verhältnis, sondern um eine vorübergehende, mehr instinkt¬
mäßige Vereinigung handle, die man gegebenenfalls auch wieder schmerzlos
aufgeben könne. Der Fürst war ein viel zu gebildeter Politiker, um nicht zu
wissen, daß die konservative und die liberale Weltanschauung zwei Gegensätze


Die Zukunft der uationcrlliberalcn Partei

im bildlichen Sinne verstanden werden. Man hat ihn entlehnt aus dem Ver¬
hältnisse des Krieges zwischen Gegnern, die aus den körperlichen oder doch
wenigstens wirtschaftlichen Untergang des anderen Teiles hinarbeiten. Davon
kann bei politischen Gegnern, die dem nämlichen Staatsorganismus angehören,
keine Rede sein, denn damit würden eben diesem Organismus selbst die tiefsten
Wunden geschlagen werden. Es sollte daher in den Ehrenkodex sämtlicher
Parteien das strengste Verbot aufgenommen werden, sich wegen der politischen
Gesinnung gegenseitig das wirtschaftliche Grab zu graben. Wenn die Sozial¬
demokraten zu dieser Höhe der Auffassung vom Gedeihen des Staates aus
grundsätzlichen Haß gegen diesen sich nicht aufzuschwingen vermögen, so sollten
es wenigstens diejenigen Parteien tun, die ein übereinstimmendes Interesse an
der Erhaltung des Staatsgebäudes haben. Und zwar nicht nur untereinander,
sondern auch den sozialdemokratischen Wählern gegenüber, damit diese für ihre
schlechten und staatsgefährlichen Sitten sich nicht auf das schlechte Beispiel der
sogenannten bürgerlichen Parteien berufen können. Es ist stets und überall so,
daß der edlere Teil dem weniger edlen mit dem guten Beispiel vorangehen
muß, selbst auf die Gefahr hin eines vorübergehenden Nächtens im gegenseitigen
Kampfe. Schon mit dieser Einsicht wäre manches gewonnen, wenn man sich
erinnert, mit welcher blinden Wut bei den letzten Wahlen in gewissen Kreisen
mit dem wirtschaftlichen Boykott frevelhaft gespielt worden ist und zwar auch
innerhalb der Reihen der bürgerlichen Parteien. Was aber die Bekämpfung
der Sozialdemokratie anbetrifft, so wünscht, abgesehen von einigen verblendeten
Scharfmachern, niemand mehr die Methode des Sozialistengesetzes herbei. Welche
Mittel können also in diesem Kampf nur noch in Frage kommen? Es sind drei:
entweder die Einigung aller anderen Parteien gegen die eine, oder die Beschaffung
neuer Stimmkräfte, d. h. die Erwerbung politischen Rentamtes, die politische
Mobilisierung bisher gleichgültiger wahlfähiger Männer, die ihre Wahlstimme
garnicht oder sinnlos abgaben, oder endlich die Entziehung der Wahl¬
stimmen der Sozialdemokratie durch deren Gewinnung sür andere Parteien,
am besten für die eigene Partei. Das erste Mittel, die Einigung mit
anderen Parteien, ist das roheste und am wenigsten verläßliche: einer hängt
von dem anderen ab und sobald einer Partei ein anderes Ziel wichtiger
erscheint, wird die Verbindung gelöst, die Wirkung hört mit einem Schlage
auf. Wir haben die Geschichte des Bülowblocks noch in frischester Er¬
innerung. Der Fürstreichskanzler nannte sein Gedankenkind: „Konservativ-
liberale Paarung." Sehr bezeichnend! er hat sich gehütet, von einer
konservativ-liberalen Ehe zu sprechen. Er wählte sein Bild aus der agrarisch¬
animalischen Vorstellungsweise, um anzudeuten, daß es sich um kein auf die
Dauer berechnetes Verhältnis, sondern um eine vorübergehende, mehr instinkt¬
mäßige Vereinigung handle, die man gegebenenfalls auch wieder schmerzlos
aufgeben könne. Der Fürst war ein viel zu gebildeter Politiker, um nicht zu
wissen, daß die konservative und die liberale Weltanschauung zwei Gegensätze


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[0016] Die Zukunft der uationcrlliberalcn Partei im bildlichen Sinne verstanden werden. Man hat ihn entlehnt aus dem Ver¬ hältnisse des Krieges zwischen Gegnern, die aus den körperlichen oder doch wenigstens wirtschaftlichen Untergang des anderen Teiles hinarbeiten. Davon kann bei politischen Gegnern, die dem nämlichen Staatsorganismus angehören, keine Rede sein, denn damit würden eben diesem Organismus selbst die tiefsten Wunden geschlagen werden. Es sollte daher in den Ehrenkodex sämtlicher Parteien das strengste Verbot aufgenommen werden, sich wegen der politischen Gesinnung gegenseitig das wirtschaftliche Grab zu graben. Wenn die Sozial¬ demokraten zu dieser Höhe der Auffassung vom Gedeihen des Staates aus grundsätzlichen Haß gegen diesen sich nicht aufzuschwingen vermögen, so sollten es wenigstens diejenigen Parteien tun, die ein übereinstimmendes Interesse an der Erhaltung des Staatsgebäudes haben. Und zwar nicht nur untereinander, sondern auch den sozialdemokratischen Wählern gegenüber, damit diese für ihre schlechten und staatsgefährlichen Sitten sich nicht auf das schlechte Beispiel der sogenannten bürgerlichen Parteien berufen können. Es ist stets und überall so, daß der edlere Teil dem weniger edlen mit dem guten Beispiel vorangehen muß, selbst auf die Gefahr hin eines vorübergehenden Nächtens im gegenseitigen Kampfe. Schon mit dieser Einsicht wäre manches gewonnen, wenn man sich erinnert, mit welcher blinden Wut bei den letzten Wahlen in gewissen Kreisen mit dem wirtschaftlichen Boykott frevelhaft gespielt worden ist und zwar auch innerhalb der Reihen der bürgerlichen Parteien. Was aber die Bekämpfung der Sozialdemokratie anbetrifft, so wünscht, abgesehen von einigen verblendeten Scharfmachern, niemand mehr die Methode des Sozialistengesetzes herbei. Welche Mittel können also in diesem Kampf nur noch in Frage kommen? Es sind drei: entweder die Einigung aller anderen Parteien gegen die eine, oder die Beschaffung neuer Stimmkräfte, d. h. die Erwerbung politischen Rentamtes, die politische Mobilisierung bisher gleichgültiger wahlfähiger Männer, die ihre Wahlstimme garnicht oder sinnlos abgaben, oder endlich die Entziehung der Wahl¬ stimmen der Sozialdemokratie durch deren Gewinnung sür andere Parteien, am besten für die eigene Partei. Das erste Mittel, die Einigung mit anderen Parteien, ist das roheste und am wenigsten verläßliche: einer hängt von dem anderen ab und sobald einer Partei ein anderes Ziel wichtiger erscheint, wird die Verbindung gelöst, die Wirkung hört mit einem Schlage auf. Wir haben die Geschichte des Bülowblocks noch in frischester Er¬ innerung. Der Fürstreichskanzler nannte sein Gedankenkind: „Konservativ- liberale Paarung." Sehr bezeichnend! er hat sich gehütet, von einer konservativ-liberalen Ehe zu sprechen. Er wählte sein Bild aus der agrarisch¬ animalischen Vorstellungsweise, um anzudeuten, daß es sich um kein auf die Dauer berechnetes Verhältnis, sondern um eine vorübergehende, mehr instinkt¬ mäßige Vereinigung handle, die man gegebenenfalls auch wieder schmerzlos aufgeben könne. Der Fürst war ein viel zu gebildeter Politiker, um nicht zu wissen, daß die konservative und die liberale Weltanschauung zwei Gegensätze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/16>, abgerufen am 01.07.2024.