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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der nationalliberalen Partei

Äußerlich betrachtet, bestimmt sich der tiefere Gegensatz zwischen der national¬
liberalen Politik im Reichstag und der im preußischen Landtage nach dem Ver¬
hältnis zu den Konservativen. Der Abg. Bassermann führte widerspruchlos
aus, daß die im Bülowblock vereinigten Parteien durch das Verhalten der
Konservativen bei der Neichsfinanzreform wieder auseinandergetrieben worden
und den Nationalliberalen der Kampf gegen die Konservativen aufgenötigt
worden sei. nachdem diese durch den Bund der Landwirte unter Führung
Dieterich Hahns den alten Besitzstand der Partei in Hannover bedroht und für
sich beansprucht hatten. Ein Zusammengehen mit den Konservativen in den
inneren Fragen des Reiches verbiete sich daher von selbst und zwar um so
entschiedener, als die Konservativen sich in eine enge Verbindung mit dem
Zentrum eingelassen hätten, während der Kampf gegen den Ultramontanismus
gerade ein wesentliches Moment des nationalliberalen Parteiprogramms darstelle.
Demgegenüber bemerkte der Abg. Friedberg, daß die parlamentarische Lage im
preußischen Abgeordnetenhause eine wesentlich andere sei. Hier sei eine Fühlung
mit den Konservativen dringend geboten, wenn man nicht gewärtig sein
wolle, daß dort die konservativ-klerikale Mehrheit schließlich allein die innere
Politik mache zum Schaden des gesamten Liberalismus. Dabei ließ der Abg.
Friedberg sehr deutlich das Gefühl des Ekels durchblicken gegenüber dem formalen
Verhalten der sechs Sozialoemokraten, durch welches die Verhandlungen im
Abgeordnetenhause in unerträglicher Weise gestört und der Parlamentarismus
entwürdigt werde. Im Gegensatze hierzu erklärte dann aber der badische Partei¬
führer Rebmann, daß er es für das größte Unglück des deutschen Volkes halten
würde, wenn es nicht gelänge, die Sozialdemokraten mit ihren vicrundeinhcilb
Millionen Stimmen wieder zu positiver politischer Arbeit zu gewinnen. In
eindrucksvollster Weise prägte er den Satz: "Man kann ganz gut sagen: mich
cheidet eine tiefe Kluft von dir und doch schmiedet mich das Schicksal zu täg¬
licher Arbeit mit dir zusammen!" Und nun vergleiche man: der Süddeutsche
faßt die vierundeinhalb Millionen sozialdemokratischer Wähler des Deutschen Reiches
ins Auge, der norddeutsche die sechs sozialdemokratischen Abgeordneten Preußens
im Landtage. Dies ist der wahre Gegensatz: der eine Politiker bleibt bei dem
Entsetzen über das halbe Dutzend wild gewordener Volksvertreter stehen, der
andere will den sozialdemokratisch wählenden dritten Teil des deutscheu Volkes
wiedergewinnen zur ersprießlichen Mitarbeit an dem Wohlergehen der Nation.
Der Zwiespalt innerhalb der nationalliberalen Partei liegt also in letzter Linie
in der Behandlung der Frage der Stellungnahme zur Sozialdemokratie. Man
darf dieser Frage nicht aus dem Wege gehen, sie ist zu ernst, es handelt sich
dabei nicht um die in die Parlamente gewählten Sozialoemokraten, sondern um
die Millionen Wähler, welche die Abgeordneten in die Parlamente schicken.
Der norddeutsche und der süddeutsche Politiker sind sich einig in der Bekämpfung
der sozialdemokratischen Prinzipien, aber sie sind sich nicht einig in der Be¬
kämpfung der sozialdemokratischen Wähler. Der Ausdruck Kampf darf hier nur


Die Zukunft der nationalliberalen Partei

Äußerlich betrachtet, bestimmt sich der tiefere Gegensatz zwischen der national¬
liberalen Politik im Reichstag und der im preußischen Landtage nach dem Ver¬
hältnis zu den Konservativen. Der Abg. Bassermann führte widerspruchlos
aus, daß die im Bülowblock vereinigten Parteien durch das Verhalten der
Konservativen bei der Neichsfinanzreform wieder auseinandergetrieben worden
und den Nationalliberalen der Kampf gegen die Konservativen aufgenötigt
worden sei. nachdem diese durch den Bund der Landwirte unter Führung
Dieterich Hahns den alten Besitzstand der Partei in Hannover bedroht und für
sich beansprucht hatten. Ein Zusammengehen mit den Konservativen in den
inneren Fragen des Reiches verbiete sich daher von selbst und zwar um so
entschiedener, als die Konservativen sich in eine enge Verbindung mit dem
Zentrum eingelassen hätten, während der Kampf gegen den Ultramontanismus
gerade ein wesentliches Moment des nationalliberalen Parteiprogramms darstelle.
Demgegenüber bemerkte der Abg. Friedberg, daß die parlamentarische Lage im
preußischen Abgeordnetenhause eine wesentlich andere sei. Hier sei eine Fühlung
mit den Konservativen dringend geboten, wenn man nicht gewärtig sein
wolle, daß dort die konservativ-klerikale Mehrheit schließlich allein die innere
Politik mache zum Schaden des gesamten Liberalismus. Dabei ließ der Abg.
Friedberg sehr deutlich das Gefühl des Ekels durchblicken gegenüber dem formalen
Verhalten der sechs Sozialoemokraten, durch welches die Verhandlungen im
Abgeordnetenhause in unerträglicher Weise gestört und der Parlamentarismus
entwürdigt werde. Im Gegensatze hierzu erklärte dann aber der badische Partei¬
führer Rebmann, daß er es für das größte Unglück des deutschen Volkes halten
würde, wenn es nicht gelänge, die Sozialdemokraten mit ihren vicrundeinhcilb
Millionen Stimmen wieder zu positiver politischer Arbeit zu gewinnen. In
eindrucksvollster Weise prägte er den Satz: „Man kann ganz gut sagen: mich
cheidet eine tiefe Kluft von dir und doch schmiedet mich das Schicksal zu täg¬
licher Arbeit mit dir zusammen!" Und nun vergleiche man: der Süddeutsche
faßt die vierundeinhalb Millionen sozialdemokratischer Wähler des Deutschen Reiches
ins Auge, der norddeutsche die sechs sozialdemokratischen Abgeordneten Preußens
im Landtage. Dies ist der wahre Gegensatz: der eine Politiker bleibt bei dem
Entsetzen über das halbe Dutzend wild gewordener Volksvertreter stehen, der
andere will den sozialdemokratisch wählenden dritten Teil des deutscheu Volkes
wiedergewinnen zur ersprießlichen Mitarbeit an dem Wohlergehen der Nation.
Der Zwiespalt innerhalb der nationalliberalen Partei liegt also in letzter Linie
in der Behandlung der Frage der Stellungnahme zur Sozialdemokratie. Man
darf dieser Frage nicht aus dem Wege gehen, sie ist zu ernst, es handelt sich
dabei nicht um die in die Parlamente gewählten Sozialoemokraten, sondern um
die Millionen Wähler, welche die Abgeordneten in die Parlamente schicken.
Der norddeutsche und der süddeutsche Politiker sind sich einig in der Bekämpfung
der sozialdemokratischen Prinzipien, aber sie sind sich nicht einig in der Be¬
kämpfung der sozialdemokratischen Wähler. Der Ausdruck Kampf darf hier nur


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[0015] Die Zukunft der nationalliberalen Partei Äußerlich betrachtet, bestimmt sich der tiefere Gegensatz zwischen der national¬ liberalen Politik im Reichstag und der im preußischen Landtage nach dem Ver¬ hältnis zu den Konservativen. Der Abg. Bassermann führte widerspruchlos aus, daß die im Bülowblock vereinigten Parteien durch das Verhalten der Konservativen bei der Neichsfinanzreform wieder auseinandergetrieben worden und den Nationalliberalen der Kampf gegen die Konservativen aufgenötigt worden sei. nachdem diese durch den Bund der Landwirte unter Führung Dieterich Hahns den alten Besitzstand der Partei in Hannover bedroht und für sich beansprucht hatten. Ein Zusammengehen mit den Konservativen in den inneren Fragen des Reiches verbiete sich daher von selbst und zwar um so entschiedener, als die Konservativen sich in eine enge Verbindung mit dem Zentrum eingelassen hätten, während der Kampf gegen den Ultramontanismus gerade ein wesentliches Moment des nationalliberalen Parteiprogramms darstelle. Demgegenüber bemerkte der Abg. Friedberg, daß die parlamentarische Lage im preußischen Abgeordnetenhause eine wesentlich andere sei. Hier sei eine Fühlung mit den Konservativen dringend geboten, wenn man nicht gewärtig sein wolle, daß dort die konservativ-klerikale Mehrheit schließlich allein die innere Politik mache zum Schaden des gesamten Liberalismus. Dabei ließ der Abg. Friedberg sehr deutlich das Gefühl des Ekels durchblicken gegenüber dem formalen Verhalten der sechs Sozialoemokraten, durch welches die Verhandlungen im Abgeordnetenhause in unerträglicher Weise gestört und der Parlamentarismus entwürdigt werde. Im Gegensatze hierzu erklärte dann aber der badische Partei¬ führer Rebmann, daß er es für das größte Unglück des deutschen Volkes halten würde, wenn es nicht gelänge, die Sozialdemokraten mit ihren vicrundeinhcilb Millionen Stimmen wieder zu positiver politischer Arbeit zu gewinnen. In eindrucksvollster Weise prägte er den Satz: „Man kann ganz gut sagen: mich cheidet eine tiefe Kluft von dir und doch schmiedet mich das Schicksal zu täg¬ licher Arbeit mit dir zusammen!" Und nun vergleiche man: der Süddeutsche faßt die vierundeinhalb Millionen sozialdemokratischer Wähler des Deutschen Reiches ins Auge, der norddeutsche die sechs sozialdemokratischen Abgeordneten Preußens im Landtage. Dies ist der wahre Gegensatz: der eine Politiker bleibt bei dem Entsetzen über das halbe Dutzend wild gewordener Volksvertreter stehen, der andere will den sozialdemokratisch wählenden dritten Teil des deutscheu Volkes wiedergewinnen zur ersprießlichen Mitarbeit an dem Wohlergehen der Nation. Der Zwiespalt innerhalb der nationalliberalen Partei liegt also in letzter Linie in der Behandlung der Frage der Stellungnahme zur Sozialdemokratie. Man darf dieser Frage nicht aus dem Wege gehen, sie ist zu ernst, es handelt sich dabei nicht um die in die Parlamente gewählten Sozialoemokraten, sondern um die Millionen Wähler, welche die Abgeordneten in die Parlamente schicken. Der norddeutsche und der süddeutsche Politiker sind sich einig in der Bekämpfung der sozialdemokratischen Prinzipien, aber sie sind sich nicht einig in der Be¬ kämpfung der sozialdemokratischen Wähler. Der Ausdruck Kampf darf hier nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/15>, abgerufen am 01.07.2024.