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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der nationalliberalen Partei

stimmig an und der auf den 12. Mai d. Is. nach Berlin einberufene Vertreterrag
der Partei, beschickt mit mehr als elfhundert Delegierten -- ein Zeichen dafür,
für wie wichtig in allen Teilen Deutschlands man diese Tagung hielt -- nahm
den Antrag ebenso einstimmig an. Damit schienen die Gegensätze in der Partei
ausgeglichen, und dies um so mehr, als der Neichstagsabgeordnete Bassermann
in einem trefflichen Gesamtbericht erklärte, daß zwischen ihm und seinem Freunde
Friedberg vom preußischen Abgeordnetenhause niemals elementare Widersprüche
bestanden hätten und es tief zu beklagen sei, wenn ihre beiden Namen in den
öffentlichen Erörterungen fortgesetzt als die Drehpunkte bei dem ganzen Streite
genannt seien. Freilich blieb es angesichts dieser Erklärung dem gewöhnlichen
Parteisterblichen rätselhaft, weshalb und woher denn bei der Wahl zum Vor¬
sitzenden im Zentralvorstande die dreißig weißen Zettel kamen, die nicht für
Bassermann abgegeben waren.

Die Rede Bassermanns schlug so ein, daß die Mehrheit der bewegten
Versammlung den Schluß der Tagung verlangte. Es ist das Verdienst des als
Vorsitzender amtierenden Abg. Dr. Paasche, daß er der Minderheit nachgab und
die Weiterberatung zuließ. Denn erst im Verlauf dieser mußte allen zum
vollen Bewußtsein kommen, daß der Zwiespalt in der Partei nur scheinbar in
dem Gegensatze von Jung und Alt bestanden habe, in Wahrheit aber viel
tiefer ruhe.

Mit vollem Recht drückte daher bereits der Abg. Dr. Krause, dem der
Bericht über die Änderung der Statuten oblag, seinen Zweifel aus, ob nunmehr
der Gottesfriede in der Partei gesichert sei. Dieser Zweifel war um so mehr
berechtigt, als bereits auf dem Parteitage zu Berlin vor den letzten Neichstags-
wahlen ebenfalls die herrlichste Einmütigkeit unter den Parteiangehörigen zu
herrschen schien, und Dr. Krause damals als Vorsitzender der Befriedigung
Ausdruck leihen konnte, daß noch kein Parteitag so harmonisch verlaufen sei wie
dieser. Und unmittelbar danach entbrannte gerade der Kampf im Schoße der
Partei, dessen Ende man jetzt herbeizuführen gesonnen schien. Freilich mag bei
diesen Bestrebungen schon manchem nicht ganz geheuer gewesen sein. Denn die
Drohung war laut geworden, daß man innerhalb der Partei trotz des ver¬
änderten Organisationsstatuts ein Gegengewicht gegen die jungliberalen Elemente
schaffen müsse. Der Verlauf der Verhandlungen auf dem Vertretertag ließ denn
auch schließlich gar keinen Zweifel mehr darüber, daß der einmal hervorgetretene
Zwiespalt auf diese Art überhaupt nicht beseitigt werden kann, weil er in Ver¬
hältnissen begründet ist, die zurzeit jedenfalls mächtiger sind, als der Wille
unserer Führer. Um es mit einem Worte zu sagen: es ist die Duplizität der
völlig inkongruenten parlamentarischen Verhältnisse im Reiche und in Preußen.
Das ist das Ergebnis, das man aus den Ausführungen Bassermanns und
des badischen Parteiführers Rebmann einerseits und Friedbergs anderseits ent¬
nehmen mußte.




Die Zukunft der nationalliberalen Partei

stimmig an und der auf den 12. Mai d. Is. nach Berlin einberufene Vertreterrag
der Partei, beschickt mit mehr als elfhundert Delegierten — ein Zeichen dafür,
für wie wichtig in allen Teilen Deutschlands man diese Tagung hielt — nahm
den Antrag ebenso einstimmig an. Damit schienen die Gegensätze in der Partei
ausgeglichen, und dies um so mehr, als der Neichstagsabgeordnete Bassermann
in einem trefflichen Gesamtbericht erklärte, daß zwischen ihm und seinem Freunde
Friedberg vom preußischen Abgeordnetenhause niemals elementare Widersprüche
bestanden hätten und es tief zu beklagen sei, wenn ihre beiden Namen in den
öffentlichen Erörterungen fortgesetzt als die Drehpunkte bei dem ganzen Streite
genannt seien. Freilich blieb es angesichts dieser Erklärung dem gewöhnlichen
Parteisterblichen rätselhaft, weshalb und woher denn bei der Wahl zum Vor¬
sitzenden im Zentralvorstande die dreißig weißen Zettel kamen, die nicht für
Bassermann abgegeben waren.

Die Rede Bassermanns schlug so ein, daß die Mehrheit der bewegten
Versammlung den Schluß der Tagung verlangte. Es ist das Verdienst des als
Vorsitzender amtierenden Abg. Dr. Paasche, daß er der Minderheit nachgab und
die Weiterberatung zuließ. Denn erst im Verlauf dieser mußte allen zum
vollen Bewußtsein kommen, daß der Zwiespalt in der Partei nur scheinbar in
dem Gegensatze von Jung und Alt bestanden habe, in Wahrheit aber viel
tiefer ruhe.

Mit vollem Recht drückte daher bereits der Abg. Dr. Krause, dem der
Bericht über die Änderung der Statuten oblag, seinen Zweifel aus, ob nunmehr
der Gottesfriede in der Partei gesichert sei. Dieser Zweifel war um so mehr
berechtigt, als bereits auf dem Parteitage zu Berlin vor den letzten Neichstags-
wahlen ebenfalls die herrlichste Einmütigkeit unter den Parteiangehörigen zu
herrschen schien, und Dr. Krause damals als Vorsitzender der Befriedigung
Ausdruck leihen konnte, daß noch kein Parteitag so harmonisch verlaufen sei wie
dieser. Und unmittelbar danach entbrannte gerade der Kampf im Schoße der
Partei, dessen Ende man jetzt herbeizuführen gesonnen schien. Freilich mag bei
diesen Bestrebungen schon manchem nicht ganz geheuer gewesen sein. Denn die
Drohung war laut geworden, daß man innerhalb der Partei trotz des ver¬
änderten Organisationsstatuts ein Gegengewicht gegen die jungliberalen Elemente
schaffen müsse. Der Verlauf der Verhandlungen auf dem Vertretertag ließ denn
auch schließlich gar keinen Zweifel mehr darüber, daß der einmal hervorgetretene
Zwiespalt auf diese Art überhaupt nicht beseitigt werden kann, weil er in Ver¬
hältnissen begründet ist, die zurzeit jedenfalls mächtiger sind, als der Wille
unserer Führer. Um es mit einem Worte zu sagen: es ist die Duplizität der
völlig inkongruenten parlamentarischen Verhältnisse im Reiche und in Preußen.
Das ist das Ergebnis, das man aus den Ausführungen Bassermanns und
des badischen Parteiführers Rebmann einerseits und Friedbergs anderseits ent¬
nehmen mußte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/14>, abgerufen am 01.07.2024.