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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Heimatmuseen

machte viel Eindruck. Ebenso wurden vom Leiter des Museums ab und zu
kleine Zeitungsartikel in den kleinen Blättern veröffentlicht, die Wert und Be¬
deutung des Museums und der einzelnen Fundstücke erläuterten. Die kleine
Presse ist eine Macht. Sie wirkt gerade in den Kreisen, die sonst schwer
zugänglich sind. Wer hier den rechten Ton und das rechte Wort findet, schafft
sich eine große Einflußsphäre.

Bald wurde auch ersichtlich, welchen Wert die allgemeine Teilnahme für
die Forschung selbst besaß. Die Prignitz hatte bis dahin prähistorisch für .
ziemlich uninteressant gegolten. Funde waren freilich auch früher gemacht worden,
aber mehr Zufalls- und Einzelfunde; wirklich erschöpfende, wissenschaftliche Aus¬
grabungen hatten so gut wie garnicht stattgefunden. Einige dieser Funde waren
in das Berliner Märkische Museum gewandert, andere waren in Privatbauten
geblieben und oft völlig verschollen. Nach dem Vorhandenen konnte man sich
kein Bild von der Vorgeschichte der Prignitz machen. Das wurde nun anders.
Aus den verschiedensten Ortschaften kamen Geschenke an das Museum: Stein¬
geräte in großer Zahl, ungeschliffene, roh zugeschlagene, die in der Prignitz die
ältere Steinzeit repräsentieren, und Werkzeuge von großer Schönheit der Form
und Arbeit aus der jüngeren Steinzeit. Sie bewiesen, daß die Prignitz schon
seit 4000 v. Chr. kein unbewohnbares Sumpfland mehr war, daß schon
damals hier Menschen leben konnten und lebten, und zwar Menschen, die es ver¬
standen, sich aus den hier vorkommenden Gesteinsarten Waffen zu schaffen.

Weit überraschender noch aber waren die Funde aus der Bronzezeit. Diese
Funde entstammen fast alle großen Urnenfriedhöfen und werden meist dadurch
entdeckt, daß der Pflug Scherben an das Tageslicht bringt oder daß der Bauer
oder der Knecht beim Steinroden auf den Ackern auf eine Steinpackung stößt,
die ein Urnengrab umschließt. Früher war damit das Schicksal eines solchen
Begräbnisplatzes besiegelt. Die Urnen wurden zerstört und ihr Inhalt verstreut.
Nachdem aber die Leute begriffen haben, welchen Wert diese Dinge für das
Museum besitzen, wieviel oft nur eine einzige Scherbe dem kundigen Auge zu
sagen vermag, kommt das nicht mehr vor. Entweder der Bauer selbst oder
der Lehrer des Dorfes erstattet dem Museum Meldung von dem Fund. Es
ist erstaunlich, in welcher Weise sich nun sür den rückschauenden Blick die Prignitz
belebt. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß wohl kein Dorf existiert, bei
dem nicht ein Begräbnisplatz in der Nähe Kunde von früherer Besiedlung gäbe.
Oft verrät Form und Inhalt der Urnen, daß der Begräbnisplatz jahrhundertelang
in Benutzung gewesen ist, von der Bronzezeit in die La Tönezeit herüber. Die
Beigaben -- Geräte, Messer, Nadeln aus Bronze und aus Eisen -- zeigen
Geschmack, Schönheitssinn und hohe technische Fertigkeit. Daß sie nicht importiert,
sondern im Lande gearbeitet sind, ergibt sich einmal daraus, daß wir Spuren
der Herstellung, z. B. geschmolzene Bronze, finden, zum anderen daraus, daß
ihre Form und die Art der Bearbeitung erheblich von anderen, so etwa von
den römischen Funden abweicht.


Heimatmuseen

machte viel Eindruck. Ebenso wurden vom Leiter des Museums ab und zu
kleine Zeitungsartikel in den kleinen Blättern veröffentlicht, die Wert und Be¬
deutung des Museums und der einzelnen Fundstücke erläuterten. Die kleine
Presse ist eine Macht. Sie wirkt gerade in den Kreisen, die sonst schwer
zugänglich sind. Wer hier den rechten Ton und das rechte Wort findet, schafft
sich eine große Einflußsphäre.

Bald wurde auch ersichtlich, welchen Wert die allgemeine Teilnahme für
die Forschung selbst besaß. Die Prignitz hatte bis dahin prähistorisch für .
ziemlich uninteressant gegolten. Funde waren freilich auch früher gemacht worden,
aber mehr Zufalls- und Einzelfunde; wirklich erschöpfende, wissenschaftliche Aus¬
grabungen hatten so gut wie garnicht stattgefunden. Einige dieser Funde waren
in das Berliner Märkische Museum gewandert, andere waren in Privatbauten
geblieben und oft völlig verschollen. Nach dem Vorhandenen konnte man sich
kein Bild von der Vorgeschichte der Prignitz machen. Das wurde nun anders.
Aus den verschiedensten Ortschaften kamen Geschenke an das Museum: Stein¬
geräte in großer Zahl, ungeschliffene, roh zugeschlagene, die in der Prignitz die
ältere Steinzeit repräsentieren, und Werkzeuge von großer Schönheit der Form
und Arbeit aus der jüngeren Steinzeit. Sie bewiesen, daß die Prignitz schon
seit 4000 v. Chr. kein unbewohnbares Sumpfland mehr war, daß schon
damals hier Menschen leben konnten und lebten, und zwar Menschen, die es ver¬
standen, sich aus den hier vorkommenden Gesteinsarten Waffen zu schaffen.

Weit überraschender noch aber waren die Funde aus der Bronzezeit. Diese
Funde entstammen fast alle großen Urnenfriedhöfen und werden meist dadurch
entdeckt, daß der Pflug Scherben an das Tageslicht bringt oder daß der Bauer
oder der Knecht beim Steinroden auf den Ackern auf eine Steinpackung stößt,
die ein Urnengrab umschließt. Früher war damit das Schicksal eines solchen
Begräbnisplatzes besiegelt. Die Urnen wurden zerstört und ihr Inhalt verstreut.
Nachdem aber die Leute begriffen haben, welchen Wert diese Dinge für das
Museum besitzen, wieviel oft nur eine einzige Scherbe dem kundigen Auge zu
sagen vermag, kommt das nicht mehr vor. Entweder der Bauer selbst oder
der Lehrer des Dorfes erstattet dem Museum Meldung von dem Fund. Es
ist erstaunlich, in welcher Weise sich nun sür den rückschauenden Blick die Prignitz
belebt. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß wohl kein Dorf existiert, bei
dem nicht ein Begräbnisplatz in der Nähe Kunde von früherer Besiedlung gäbe.
Oft verrät Form und Inhalt der Urnen, daß der Begräbnisplatz jahrhundertelang
in Benutzung gewesen ist, von der Bronzezeit in die La Tönezeit herüber. Die
Beigaben — Geräte, Messer, Nadeln aus Bronze und aus Eisen — zeigen
Geschmack, Schönheitssinn und hohe technische Fertigkeit. Daß sie nicht importiert,
sondern im Lande gearbeitet sind, ergibt sich einmal daraus, daß wir Spuren
der Herstellung, z. B. geschmolzene Bronze, finden, zum anderen daraus, daß
ihre Form und die Art der Bearbeitung erheblich von anderen, so etwa von
den römischen Funden abweicht.


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[0144] Heimatmuseen machte viel Eindruck. Ebenso wurden vom Leiter des Museums ab und zu kleine Zeitungsartikel in den kleinen Blättern veröffentlicht, die Wert und Be¬ deutung des Museums und der einzelnen Fundstücke erläuterten. Die kleine Presse ist eine Macht. Sie wirkt gerade in den Kreisen, die sonst schwer zugänglich sind. Wer hier den rechten Ton und das rechte Wort findet, schafft sich eine große Einflußsphäre. Bald wurde auch ersichtlich, welchen Wert die allgemeine Teilnahme für die Forschung selbst besaß. Die Prignitz hatte bis dahin prähistorisch für . ziemlich uninteressant gegolten. Funde waren freilich auch früher gemacht worden, aber mehr Zufalls- und Einzelfunde; wirklich erschöpfende, wissenschaftliche Aus¬ grabungen hatten so gut wie garnicht stattgefunden. Einige dieser Funde waren in das Berliner Märkische Museum gewandert, andere waren in Privatbauten geblieben und oft völlig verschollen. Nach dem Vorhandenen konnte man sich kein Bild von der Vorgeschichte der Prignitz machen. Das wurde nun anders. Aus den verschiedensten Ortschaften kamen Geschenke an das Museum: Stein¬ geräte in großer Zahl, ungeschliffene, roh zugeschlagene, die in der Prignitz die ältere Steinzeit repräsentieren, und Werkzeuge von großer Schönheit der Form und Arbeit aus der jüngeren Steinzeit. Sie bewiesen, daß die Prignitz schon seit 4000 v. Chr. kein unbewohnbares Sumpfland mehr war, daß schon damals hier Menschen leben konnten und lebten, und zwar Menschen, die es ver¬ standen, sich aus den hier vorkommenden Gesteinsarten Waffen zu schaffen. Weit überraschender noch aber waren die Funde aus der Bronzezeit. Diese Funde entstammen fast alle großen Urnenfriedhöfen und werden meist dadurch entdeckt, daß der Pflug Scherben an das Tageslicht bringt oder daß der Bauer oder der Knecht beim Steinroden auf den Ackern auf eine Steinpackung stößt, die ein Urnengrab umschließt. Früher war damit das Schicksal eines solchen Begräbnisplatzes besiegelt. Die Urnen wurden zerstört und ihr Inhalt verstreut. Nachdem aber die Leute begriffen haben, welchen Wert diese Dinge für das Museum besitzen, wieviel oft nur eine einzige Scherbe dem kundigen Auge zu sagen vermag, kommt das nicht mehr vor. Entweder der Bauer selbst oder der Lehrer des Dorfes erstattet dem Museum Meldung von dem Fund. Es ist erstaunlich, in welcher Weise sich nun sür den rückschauenden Blick die Prignitz belebt. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß wohl kein Dorf existiert, bei dem nicht ein Begräbnisplatz in der Nähe Kunde von früherer Besiedlung gäbe. Oft verrät Form und Inhalt der Urnen, daß der Begräbnisplatz jahrhundertelang in Benutzung gewesen ist, von der Bronzezeit in die La Tönezeit herüber. Die Beigaben — Geräte, Messer, Nadeln aus Bronze und aus Eisen — zeigen Geschmack, Schönheitssinn und hohe technische Fertigkeit. Daß sie nicht importiert, sondern im Lande gearbeitet sind, ergibt sich einmal daraus, daß wir Spuren der Herstellung, z. B. geschmolzene Bronze, finden, zum anderen daraus, daß ihre Form und die Art der Bearbeitung erheblich von anderen, so etwa von den römischen Funden abweicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/144>, abgerufen am 03.07.2024.