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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Heimatmuseen

großen Museen zu betrachten, die lediglich der Wissenschaft dienen, und damit
zwar auch der Menschheit, aber niemals so unmittelbar, wie ein Heimatmuseum
es eben tun müßte.

Wie aber ist dies zu erreichen? Ja, ist es überhaupt zu erreichen?

Auf diese Frage kann ich Antwort geben, und das ist der Zweck meiner
Zeilen. Ich möchte einer breiteren Öffentlichkeit von einem Werke erzählen,
dessen Bedeutung weit über seinen engen Kreis hinausgeht, das in Neuland
führt und das der Heimatpflege Wege und Aufgaben weist, an denen diese
bisher vorübergegangen ist, ohne ihrer Bedeutung gewahr zu werden.

Das frühere Kloster Heiligengrabe, jetzt evangelisches Stift und Erziehungs¬
anstalt, in der Ostprignitz zwischen Wittstock und Pritzwalk gelegen, ist durch
eine Reihe glücklicher Umstände und eigenartiger Momente in den Besitz eines
Heimatmuseums gelangt. Erwachsen ist dies Museum aus den geringfügigsten
Anfängen. Ein paar Steinmesserchen, Schaber und Bohrer, von einem jungen
Künstler in Rügen gefunden und nach Heiligengrabe gebracht, bildeten den
Grundstock. Die Stücke, als Zeugen der ersten Versuche des Menschen, sich
seiner Umwelt zu bemächtigen, wurden den Kindern gezeigt, und auch von den
Besuchern, die sich das alte Kloster zum Ausflugsort wählten, besichtigt. Die
Erklärungen, die den Leuten über die Gegenstände gegeben wurden, erweckten
Interesse. Es fand sich, daß der eine oder der andere auch einen seltsam
geformten Stein oder eine andere Merkwürdigkeit besaß. Er brachte sie herbei
und war stolz, wenn sie in die kleine Sammlung aufgenommen wurde.

Der Gründer des kleinen Museums war mit einigen Volksschullehrern in
Verbindung getreten, mit ihnen machte er Fahrten auf die Dörfer hinaus,
erzählte den Leuten, lud sie ein das Museum zu besuchen, fragte nach Merk¬
würdigkeiten, die sie etwa gefunden hatten, und leitete so eine persönliche Ver¬
bindung mit der Bevölkerung ein. Die Leute zeigten sich dafür empfänglich
und waren entschieden auch sachlich interessiert. Manch einer von ihnen hatte
auf seinem Acker, bei seiner Arbeit Funde gemacht, die ihm wunderlich waren:
merkwürdige Versteinerungen oder schön geglättete, gut zugehauene Steinwerk¬
zeuge. Für das Unverstandene fand er nun eine Erklärung, in dem Museum
sah er die gleichen Gegenstände aus anderem Gestein gefertigt, aus anderen
Gegenden stammend. Früh wurde die Erfahrung gemacht, daß die Leute.
Bauern, Handwerker. Tagelöhner, für das Allgemeine, das hier entstand und
das ihnen jederzeit ohne Gegenleistung zugänglich war, freudig persönliche
Opfer brachten. Angebote von Händlern für alte Wertstücke, Lehensbriefe usw.
wurden stolz zurückgewiesen mit dem Bemerken: "das schenken wir lieber in
unser Museum." Hierzu sei gleich bemerkt, daß das Museum von Prignitzern
grundsätzlich nichts käuflich erwarb, daß die überwiesenen Geschenke aber Eigen¬
tum der Prignitz wurden.

Halbjährlich wurde über diese dem Museum gespendeten Stücke in den
kleinen Provinzblättchen mit Nennung des Namens der Geber quittiert. Das


Heimatmuseen

großen Museen zu betrachten, die lediglich der Wissenschaft dienen, und damit
zwar auch der Menschheit, aber niemals so unmittelbar, wie ein Heimatmuseum
es eben tun müßte.

Wie aber ist dies zu erreichen? Ja, ist es überhaupt zu erreichen?

Auf diese Frage kann ich Antwort geben, und das ist der Zweck meiner
Zeilen. Ich möchte einer breiteren Öffentlichkeit von einem Werke erzählen,
dessen Bedeutung weit über seinen engen Kreis hinausgeht, das in Neuland
führt und das der Heimatpflege Wege und Aufgaben weist, an denen diese
bisher vorübergegangen ist, ohne ihrer Bedeutung gewahr zu werden.

Das frühere Kloster Heiligengrabe, jetzt evangelisches Stift und Erziehungs¬
anstalt, in der Ostprignitz zwischen Wittstock und Pritzwalk gelegen, ist durch
eine Reihe glücklicher Umstände und eigenartiger Momente in den Besitz eines
Heimatmuseums gelangt. Erwachsen ist dies Museum aus den geringfügigsten
Anfängen. Ein paar Steinmesserchen, Schaber und Bohrer, von einem jungen
Künstler in Rügen gefunden und nach Heiligengrabe gebracht, bildeten den
Grundstock. Die Stücke, als Zeugen der ersten Versuche des Menschen, sich
seiner Umwelt zu bemächtigen, wurden den Kindern gezeigt, und auch von den
Besuchern, die sich das alte Kloster zum Ausflugsort wählten, besichtigt. Die
Erklärungen, die den Leuten über die Gegenstände gegeben wurden, erweckten
Interesse. Es fand sich, daß der eine oder der andere auch einen seltsam
geformten Stein oder eine andere Merkwürdigkeit besaß. Er brachte sie herbei
und war stolz, wenn sie in die kleine Sammlung aufgenommen wurde.

Der Gründer des kleinen Museums war mit einigen Volksschullehrern in
Verbindung getreten, mit ihnen machte er Fahrten auf die Dörfer hinaus,
erzählte den Leuten, lud sie ein das Museum zu besuchen, fragte nach Merk¬
würdigkeiten, die sie etwa gefunden hatten, und leitete so eine persönliche Ver¬
bindung mit der Bevölkerung ein. Die Leute zeigten sich dafür empfänglich
und waren entschieden auch sachlich interessiert. Manch einer von ihnen hatte
auf seinem Acker, bei seiner Arbeit Funde gemacht, die ihm wunderlich waren:
merkwürdige Versteinerungen oder schön geglättete, gut zugehauene Steinwerk¬
zeuge. Für das Unverstandene fand er nun eine Erklärung, in dem Museum
sah er die gleichen Gegenstände aus anderem Gestein gefertigt, aus anderen
Gegenden stammend. Früh wurde die Erfahrung gemacht, daß die Leute.
Bauern, Handwerker. Tagelöhner, für das Allgemeine, das hier entstand und
das ihnen jederzeit ohne Gegenleistung zugänglich war, freudig persönliche
Opfer brachten. Angebote von Händlern für alte Wertstücke, Lehensbriefe usw.
wurden stolz zurückgewiesen mit dem Bemerken: „das schenken wir lieber in
unser Museum." Hierzu sei gleich bemerkt, daß das Museum von Prignitzern
grundsätzlich nichts käuflich erwarb, daß die überwiesenen Geschenke aber Eigen¬
tum der Prignitz wurden.

Halbjährlich wurde über diese dem Museum gespendeten Stücke in den
kleinen Provinzblättchen mit Nennung des Namens der Geber quittiert. Das


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[0143] Heimatmuseen großen Museen zu betrachten, die lediglich der Wissenschaft dienen, und damit zwar auch der Menschheit, aber niemals so unmittelbar, wie ein Heimatmuseum es eben tun müßte. Wie aber ist dies zu erreichen? Ja, ist es überhaupt zu erreichen? Auf diese Frage kann ich Antwort geben, und das ist der Zweck meiner Zeilen. Ich möchte einer breiteren Öffentlichkeit von einem Werke erzählen, dessen Bedeutung weit über seinen engen Kreis hinausgeht, das in Neuland führt und das der Heimatpflege Wege und Aufgaben weist, an denen diese bisher vorübergegangen ist, ohne ihrer Bedeutung gewahr zu werden. Das frühere Kloster Heiligengrabe, jetzt evangelisches Stift und Erziehungs¬ anstalt, in der Ostprignitz zwischen Wittstock und Pritzwalk gelegen, ist durch eine Reihe glücklicher Umstände und eigenartiger Momente in den Besitz eines Heimatmuseums gelangt. Erwachsen ist dies Museum aus den geringfügigsten Anfängen. Ein paar Steinmesserchen, Schaber und Bohrer, von einem jungen Künstler in Rügen gefunden und nach Heiligengrabe gebracht, bildeten den Grundstock. Die Stücke, als Zeugen der ersten Versuche des Menschen, sich seiner Umwelt zu bemächtigen, wurden den Kindern gezeigt, und auch von den Besuchern, die sich das alte Kloster zum Ausflugsort wählten, besichtigt. Die Erklärungen, die den Leuten über die Gegenstände gegeben wurden, erweckten Interesse. Es fand sich, daß der eine oder der andere auch einen seltsam geformten Stein oder eine andere Merkwürdigkeit besaß. Er brachte sie herbei und war stolz, wenn sie in die kleine Sammlung aufgenommen wurde. Der Gründer des kleinen Museums war mit einigen Volksschullehrern in Verbindung getreten, mit ihnen machte er Fahrten auf die Dörfer hinaus, erzählte den Leuten, lud sie ein das Museum zu besuchen, fragte nach Merk¬ würdigkeiten, die sie etwa gefunden hatten, und leitete so eine persönliche Ver¬ bindung mit der Bevölkerung ein. Die Leute zeigten sich dafür empfänglich und waren entschieden auch sachlich interessiert. Manch einer von ihnen hatte auf seinem Acker, bei seiner Arbeit Funde gemacht, die ihm wunderlich waren: merkwürdige Versteinerungen oder schön geglättete, gut zugehauene Steinwerk¬ zeuge. Für das Unverstandene fand er nun eine Erklärung, in dem Museum sah er die gleichen Gegenstände aus anderem Gestein gefertigt, aus anderen Gegenden stammend. Früh wurde die Erfahrung gemacht, daß die Leute. Bauern, Handwerker. Tagelöhner, für das Allgemeine, das hier entstand und das ihnen jederzeit ohne Gegenleistung zugänglich war, freudig persönliche Opfer brachten. Angebote von Händlern für alte Wertstücke, Lehensbriefe usw. wurden stolz zurückgewiesen mit dem Bemerken: „das schenken wir lieber in unser Museum." Hierzu sei gleich bemerkt, daß das Museum von Prignitzern grundsätzlich nichts käuflich erwarb, daß die überwiesenen Geschenke aber Eigen¬ tum der Prignitz wurden. Halbjährlich wurde über diese dem Museum gespendeten Stücke in den kleinen Provinzblättchen mit Nennung des Namens der Geber quittiert. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/143>, abgerufen am 01.07.2024.