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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

er seinen Stuhl zurück, sprang auf, kippte seine Tasse in die Unterschale und
verließ Stube und Haus. "Brennt's wo?" fragte Jelde ihm nach, meinte
dann kichernd: "Am End' hat die Regime das Haus angesteckt mit ihrem
Brandhaar."

Wieschen lauschte den Schritten des Florentin nach, sie nahmen die Richtung
in das Dorf, wo die Nolterschlucht lag. Sie wollte seine Schritte zählen, soweit
sie lauschen konnte, aber er ging wie mit scheuem Schleichen, und sie verkam
in allem Takt. Ihre Hände krümmten sich zu Krallen, als wolle sie sich in
sein Zeug hängen, um ihn da zu behalten. Sie hätte die Hand heben und
schwören können, er sei zu Regime gegangen, so war sie in Gewißheit um ihn,
während sie sich dennoch in ihrem Geiste in die Knie warf wie ein angepflöcktes
Lamm, welches seinen Rasen bis auf den Grund abgeweidet hat und nach einem
grünen Blatte die Lippe streckt; so langte sie nach dem spärlichen Grün einer
einzigen kleinen Hoffnung um ihn.

Die Mutter Johanne verblieb in der Küchenstube und befaßte sich mit dem
Volkskalender, dem Ravensberger, der für einen, welcher sinnig las, die zwei¬
undfünfzig Sonntage einer Jahresrunde aushielt. Jelde war in das Dorf
gegangen. So saß Wieschen allein und sah durch das offene Nähstubenfenster
in den Garten. Es war ein Ding in ihr aufgesprungen, welches immer wieder
in ihr aufstand, wenn sie es niedergezwungen hatte. Es steckte ihr im Blut,
krümmte ihr die Finger zu Krallen und stocherte sie an mit feiner spitzer Zunge:
"Hol' ihn dir wieder, deinen Florin. Laß ihn der andern nicht!" Wieschen
reckte sich und trat mit dem Fuße auf das Ding. "Jetzt will ich meine Kraft
zeigen," sagte sie ihm stolz und Siegesfest. Sie schlurrte mit den Schuhen, als
hätte sie in Wahrheit etwas zertreten. Aber wie doppelt geworden hob es sich
vor ihr auf und umgab sie von den Seiten, sagte ihr in jedes Ohr ein anderes
Wort und verwirrte ihr alles Verstehen.

Im Garten draußen in der Sonne waren die Blumen des Sommers voll.
Die Bienen sorgten und sangen um ihren Honig, sie kannten keinen Sonntag
bei ihrer Arbeit, oder sie erkannten im Honigsammeln aller Alltage nur ihren
einen und einzigen Lebenssonntag. Die Schmetterlinge, die noch von keiner
Arbeit je müde geworden waren, hatten ein leichtes, ganz leichtes Gaukeln im
Garten über den Blumen des Florentin Kiep. Es kam ein goldener dem
Wieschen in das Fenster und über den Kopf geflogen, aber er taumelte zurück
wie verirrt, vielleicht weil die Augen des Mädchens ihn zu schwer ansahen, als
wollten sie ihm den Flügelstaub bedrücken, oder weil dem Wieschen die Augen
in demi blassen Gesicht standen wie welke Gartenblumen in einer weißen Scherbe.

Als Jelde heim kam, fand sie das Mädchen verweint. Sie räusperte sich,
zog ihr Sacktuch aus der Tasche, ein weißes zuerst und zuzweit ein buntes,
wischte sich mit dem letzteren den Mund und steckte die Tücher zurück in die
Tasche, zuoberst das weiße. Sie hatte draußen viel Klatsch gehalten und mochte
meinen, das Wieschen sähe ihren Namen noch an ihrem, Jettes, Munde hängen.


Die Blumen des Florentin Uley

er seinen Stuhl zurück, sprang auf, kippte seine Tasse in die Unterschale und
verließ Stube und Haus. „Brennt's wo?" fragte Jelde ihm nach, meinte
dann kichernd: „Am End' hat die Regime das Haus angesteckt mit ihrem
Brandhaar."

Wieschen lauschte den Schritten des Florentin nach, sie nahmen die Richtung
in das Dorf, wo die Nolterschlucht lag. Sie wollte seine Schritte zählen, soweit
sie lauschen konnte, aber er ging wie mit scheuem Schleichen, und sie verkam
in allem Takt. Ihre Hände krümmten sich zu Krallen, als wolle sie sich in
sein Zeug hängen, um ihn da zu behalten. Sie hätte die Hand heben und
schwören können, er sei zu Regime gegangen, so war sie in Gewißheit um ihn,
während sie sich dennoch in ihrem Geiste in die Knie warf wie ein angepflöcktes
Lamm, welches seinen Rasen bis auf den Grund abgeweidet hat und nach einem
grünen Blatte die Lippe streckt; so langte sie nach dem spärlichen Grün einer
einzigen kleinen Hoffnung um ihn.

Die Mutter Johanne verblieb in der Küchenstube und befaßte sich mit dem
Volkskalender, dem Ravensberger, der für einen, welcher sinnig las, die zwei¬
undfünfzig Sonntage einer Jahresrunde aushielt. Jelde war in das Dorf
gegangen. So saß Wieschen allein und sah durch das offene Nähstubenfenster
in den Garten. Es war ein Ding in ihr aufgesprungen, welches immer wieder
in ihr aufstand, wenn sie es niedergezwungen hatte. Es steckte ihr im Blut,
krümmte ihr die Finger zu Krallen und stocherte sie an mit feiner spitzer Zunge:
„Hol' ihn dir wieder, deinen Florin. Laß ihn der andern nicht!" Wieschen
reckte sich und trat mit dem Fuße auf das Ding. „Jetzt will ich meine Kraft
zeigen," sagte sie ihm stolz und Siegesfest. Sie schlurrte mit den Schuhen, als
hätte sie in Wahrheit etwas zertreten. Aber wie doppelt geworden hob es sich
vor ihr auf und umgab sie von den Seiten, sagte ihr in jedes Ohr ein anderes
Wort und verwirrte ihr alles Verstehen.

Im Garten draußen in der Sonne waren die Blumen des Sommers voll.
Die Bienen sorgten und sangen um ihren Honig, sie kannten keinen Sonntag
bei ihrer Arbeit, oder sie erkannten im Honigsammeln aller Alltage nur ihren
einen und einzigen Lebenssonntag. Die Schmetterlinge, die noch von keiner
Arbeit je müde geworden waren, hatten ein leichtes, ganz leichtes Gaukeln im
Garten über den Blumen des Florentin Kiep. Es kam ein goldener dem
Wieschen in das Fenster und über den Kopf geflogen, aber er taumelte zurück
wie verirrt, vielleicht weil die Augen des Mädchens ihn zu schwer ansahen, als
wollten sie ihm den Flügelstaub bedrücken, oder weil dem Wieschen die Augen
in demi blassen Gesicht standen wie welke Gartenblumen in einer weißen Scherbe.

Als Jelde heim kam, fand sie das Mädchen verweint. Sie räusperte sich,
zog ihr Sacktuch aus der Tasche, ein weißes zuerst und zuzweit ein buntes,
wischte sich mit dem letzteren den Mund und steckte die Tücher zurück in die
Tasche, zuoberst das weiße. Sie hatte draußen viel Klatsch gehalten und mochte
meinen, das Wieschen sähe ihren Namen noch an ihrem, Jettes, Munde hängen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/140>, abgerufen am 03.07.2024.