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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Rley

ums Verstanden halb zusammen gefaltet waren, über den verschlissenen Bezug
der Sofalehnen und rieb das gelbliche Mehl vom Fußboden auf, welches ein
Holzwurm von unterwärts aus dem brüchigen Tisch gestreut hatte. Die Möbel
hier waren alt und aus dem Hausrat der Kampf, die das eigene Dach nicht
darüber hatten halten können. Wieschen dachte, die Regime, wenn der Kiep
sie heirate, würde neuen Hausrat zubringen müssen. Sie vergaß, daß jene nur
eine Hergelaufene sei, aus einer Stadt im Hannoverschen, angelockt vom Hundert¬
talerlohn des Nolterschluchtbauern und Wirtes, wie man erzählte. Viel Wesens
war davon gemacht, aber jeden, der die Regime kennen lernte, nahm ihre Gegen¬
wart so ein, daß keiner ihrer Vergangenheit nachfragte. Auch das Wieschen
dachte nur an ihr Dasein.

Als sie gegangen war und Jelde, die sie hinaufgebracht hatte, sich wieder
mit Wieschen allein in der Radstube zusammenfand, sagte Jelde mit leichtem,
gleichgültigen Achselzucken und im Tone lässiger Entschuldigung: "Du kannst
einem nicht verdenken, wenn man nun, wo sie gekommen ist, freundlich mit ihr
getan hat. Man hört auch mal gern was Lustiges. Und leid wird man's
zuletzt, immer in ein Gesicht zu sehen wie in tems, in so ein lammfrommes."

"Ja," antwortete Wieschen bescheiden.

Sie saßen dann zusammen um den Kaffeetisch, den die Mutter Johanne
aufgetragen hatte. Sie stand noch, den mächtigen Brotlaib an die Brust
genommen, ließ geschickt und fürsorgend das Messer durch die harte Kruste
gleiten und legte jedem eine Rumschnitte an die Tasse.

Der Florentin kam gestrahlt und gestriegelt aus seiner Stube. Sein Wesen
war unrastig, ihm war, er höre noch den Tanzschritt Regimes schleifen, und
wie er am Tisch neben dem Wieschen saß, hakte er die Füße um die Stuhl¬
beine, als wolle ihn die Regime mitreißen und er sträube sich noch dagegen.
Ihr Lachen und ihre Stimme schallten noch wider im Haus, die Luft hatte
von dem Goldschimmer ihres Haares getrunken, und der Florentin meinte,
wohin er sah, sie stände in allen Winkeln und hinter den Türen und winke
ihm zu mit ihrer Hand. Er trug Kragen und Manschette und seine gute Joppe,
wie zum Ausgehen. An seiner Brust tickte seine Taschenuhr, Wieschen meinte,
seinen unruhigen Herzschlag darin zu hören.

Jelde randete die Krusten ihres Brotes ab, bestrick, und aß das Weiche,
lobte ihr Kaffeeschöllchen und erzählte von Regimes Kleid. "Schneeweiß, für's
Tanzen. Und blaue Schluppen zu ihrem roten Haar. Da soll noch keiner so
fein gegangen sein aus meiner Kundschaft wie die Regime."

Wieschen langte nach Jettes Brotkrusten und tunkte sie für sich ein. Die
Mutter Johanne leckte am Finger, stippte die Krumen vom Tisch auf, mümmelte
daran und sagte: "Es muß auch mal ein weißes haben, das Wieschen."

Sie saßen noch eine Weile, wie sie mit essen und reden fertig waren; der
Florentin hatte nur geschwiegen. Wieschen bedachte sich, ihm ein versöhnliches
Wort zu sagen, in ähnlicher Absicht, wie heute früh der Händedruck, da stieß


Die Blumen des Florentin Rley

ums Verstanden halb zusammen gefaltet waren, über den verschlissenen Bezug
der Sofalehnen und rieb das gelbliche Mehl vom Fußboden auf, welches ein
Holzwurm von unterwärts aus dem brüchigen Tisch gestreut hatte. Die Möbel
hier waren alt und aus dem Hausrat der Kampf, die das eigene Dach nicht
darüber hatten halten können. Wieschen dachte, die Regime, wenn der Kiep
sie heirate, würde neuen Hausrat zubringen müssen. Sie vergaß, daß jene nur
eine Hergelaufene sei, aus einer Stadt im Hannoverschen, angelockt vom Hundert¬
talerlohn des Nolterschluchtbauern und Wirtes, wie man erzählte. Viel Wesens
war davon gemacht, aber jeden, der die Regime kennen lernte, nahm ihre Gegen¬
wart so ein, daß keiner ihrer Vergangenheit nachfragte. Auch das Wieschen
dachte nur an ihr Dasein.

Als sie gegangen war und Jelde, die sie hinaufgebracht hatte, sich wieder
mit Wieschen allein in der Radstube zusammenfand, sagte Jelde mit leichtem,
gleichgültigen Achselzucken und im Tone lässiger Entschuldigung: „Du kannst
einem nicht verdenken, wenn man nun, wo sie gekommen ist, freundlich mit ihr
getan hat. Man hört auch mal gern was Lustiges. Und leid wird man's
zuletzt, immer in ein Gesicht zu sehen wie in tems, in so ein lammfrommes."

„Ja," antwortete Wieschen bescheiden.

Sie saßen dann zusammen um den Kaffeetisch, den die Mutter Johanne
aufgetragen hatte. Sie stand noch, den mächtigen Brotlaib an die Brust
genommen, ließ geschickt und fürsorgend das Messer durch die harte Kruste
gleiten und legte jedem eine Rumschnitte an die Tasse.

Der Florentin kam gestrahlt und gestriegelt aus seiner Stube. Sein Wesen
war unrastig, ihm war, er höre noch den Tanzschritt Regimes schleifen, und
wie er am Tisch neben dem Wieschen saß, hakte er die Füße um die Stuhl¬
beine, als wolle ihn die Regime mitreißen und er sträube sich noch dagegen.
Ihr Lachen und ihre Stimme schallten noch wider im Haus, die Luft hatte
von dem Goldschimmer ihres Haares getrunken, und der Florentin meinte,
wohin er sah, sie stände in allen Winkeln und hinter den Türen und winke
ihm zu mit ihrer Hand. Er trug Kragen und Manschette und seine gute Joppe,
wie zum Ausgehen. An seiner Brust tickte seine Taschenuhr, Wieschen meinte,
seinen unruhigen Herzschlag darin zu hören.

Jelde randete die Krusten ihres Brotes ab, bestrick, und aß das Weiche,
lobte ihr Kaffeeschöllchen und erzählte von Regimes Kleid. „Schneeweiß, für's
Tanzen. Und blaue Schluppen zu ihrem roten Haar. Da soll noch keiner so
fein gegangen sein aus meiner Kundschaft wie die Regime."

Wieschen langte nach Jettes Brotkrusten und tunkte sie für sich ein. Die
Mutter Johanne leckte am Finger, stippte die Krumen vom Tisch auf, mümmelte
daran und sagte: „Es muß auch mal ein weißes haben, das Wieschen."

Sie saßen noch eine Weile, wie sie mit essen und reden fertig waren; der
Florentin hatte nur geschwiegen. Wieschen bedachte sich, ihm ein versöhnliches
Wort zu sagen, in ähnlicher Absicht, wie heute früh der Händedruck, da stieß


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[0139] Die Blumen des Florentin Rley ums Verstanden halb zusammen gefaltet waren, über den verschlissenen Bezug der Sofalehnen und rieb das gelbliche Mehl vom Fußboden auf, welches ein Holzwurm von unterwärts aus dem brüchigen Tisch gestreut hatte. Die Möbel hier waren alt und aus dem Hausrat der Kampf, die das eigene Dach nicht darüber hatten halten können. Wieschen dachte, die Regime, wenn der Kiep sie heirate, würde neuen Hausrat zubringen müssen. Sie vergaß, daß jene nur eine Hergelaufene sei, aus einer Stadt im Hannoverschen, angelockt vom Hundert¬ talerlohn des Nolterschluchtbauern und Wirtes, wie man erzählte. Viel Wesens war davon gemacht, aber jeden, der die Regime kennen lernte, nahm ihre Gegen¬ wart so ein, daß keiner ihrer Vergangenheit nachfragte. Auch das Wieschen dachte nur an ihr Dasein. Als sie gegangen war und Jelde, die sie hinaufgebracht hatte, sich wieder mit Wieschen allein in der Radstube zusammenfand, sagte Jelde mit leichtem, gleichgültigen Achselzucken und im Tone lässiger Entschuldigung: „Du kannst einem nicht verdenken, wenn man nun, wo sie gekommen ist, freundlich mit ihr getan hat. Man hört auch mal gern was Lustiges. Und leid wird man's zuletzt, immer in ein Gesicht zu sehen wie in tems, in so ein lammfrommes." „Ja," antwortete Wieschen bescheiden. Sie saßen dann zusammen um den Kaffeetisch, den die Mutter Johanne aufgetragen hatte. Sie stand noch, den mächtigen Brotlaib an die Brust genommen, ließ geschickt und fürsorgend das Messer durch die harte Kruste gleiten und legte jedem eine Rumschnitte an die Tasse. Der Florentin kam gestrahlt und gestriegelt aus seiner Stube. Sein Wesen war unrastig, ihm war, er höre noch den Tanzschritt Regimes schleifen, und wie er am Tisch neben dem Wieschen saß, hakte er die Füße um die Stuhl¬ beine, als wolle ihn die Regime mitreißen und er sträube sich noch dagegen. Ihr Lachen und ihre Stimme schallten noch wider im Haus, die Luft hatte von dem Goldschimmer ihres Haares getrunken, und der Florentin meinte, wohin er sah, sie stände in allen Winkeln und hinter den Türen und winke ihm zu mit ihrer Hand. Er trug Kragen und Manschette und seine gute Joppe, wie zum Ausgehen. An seiner Brust tickte seine Taschenuhr, Wieschen meinte, seinen unruhigen Herzschlag darin zu hören. Jelde randete die Krusten ihres Brotes ab, bestrick, und aß das Weiche, lobte ihr Kaffeeschöllchen und erzählte von Regimes Kleid. „Schneeweiß, für's Tanzen. Und blaue Schluppen zu ihrem roten Haar. Da soll noch keiner so fein gegangen sein aus meiner Kundschaft wie die Regime." Wieschen langte nach Jettes Brotkrusten und tunkte sie für sich ein. Die Mutter Johanne leckte am Finger, stippte die Krumen vom Tisch auf, mümmelte daran und sagte: „Es muß auch mal ein weißes haben, das Wieschen." Sie saßen noch eine Weile, wie sie mit essen und reden fertig waren; der Florentin hatte nur geschwiegen. Wieschen bedachte sich, ihm ein versöhnliches Wort zu sagen, in ähnlicher Absicht, wie heute früh der Händedruck, da stieß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/139>, abgerufen am 03.07.2024.