Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blumen des Florentin Uley

"Es geht wieder daher heute bei der Nolterschlucht," erzählte sie dann.
"Sie sind rein toll heutzutage. Sie müssen tanzen, und wenn bloß ein gemeiner
Sonntag ist. Alles Volk ist da." Sie nannte mit nachdrücklicher Wichtigkeit
die Namen der einzelnen Mädchen und Burschen, welche insonderheit die Dorf¬
jugend ausmachten, ein guter Karren voll leichter Ware, von der es besser
gewesen wäre, man hätte sie zum Dorf hinausgeschoben und zöge eine neue
Brut dafür an.

Wieschen hob die Hände, als wolle sie des Florentin Namen hinnehmen,
ließ sie aber sinken, als Jelde ausgeredet hatte, ohne ihn genannt zu haben.
Dann fragte Jelde unvermittelt: "Möchtest du je einmal mit denen tanzen?"

"Wie meinst du?" fragte Wieschen erstaunt. "Lieber möcht' ich, ihr alle
ginget hinter meinem Sarge her, ehe daß einer mit mir ausginge zu tanzen.
Es 'hört Sonntags nicht hin für einen, der sich Hierzuland ganz ordentlich
hält. Aber warum meinst du bloß, Jelde?"

Sie antwortete nebenhin, während sie schon hinaus ging, um nach anderem
zu sehen: "Ich dachte nur, als ich den Florentin eben dastehen sah beim
Sonntagsvolk an der Nolterschlucht: das Wieschen geht auch noch mal hin."

Wieschen fühlte sich unsichtbar angefaßt, war nur wie mitgezogen, als sie
aufstand und hinaus ging. Sie ging oben durch die Gärtnerei, trat durch eine
kleine Pforte ins Feld und bog durch Ackerfurchen gegen die Straße hinunter
und zurück. Sie pflückte aus dem blütenstaubenden Roggen vollblühende Mohn¬
blumen, von denen sich die Blätter verloren, weil sie mit dem Arm schlenkerte.
Wieschen sah es nicht. Sie ging wie verloren und ließ sich den Weg anzeigen
von dem Fremden, das mit ihr war.

Wieschen war den Mädchen, welche vor dem Wirtshaus herumstanden,
im Wesen und Verkehr fremd, aber sie kannte die einzelnen leicht an ihren
Kleidern, die sie genäht hatte und sprach mit jedem. Sie kicherten unter¬
einander und wunderten sich über das Wieschen Maßmann. Wieschen hörte
ihre Frage: "Was will die bloß?" Da zeigte sie die Blumen, die nur noch
Stiele waren. "Ich bin im Feld gewesen und kam just hier herunter."

Der Florentin stand gegen eine der Linden gelehnt, seur, wie sonst die
Leiter, die er daran legte zum Beschneiden der Bäume. Regime war um ihn,
hatte einen Finger in ein offenes Knopfloch seiner Joppe gesteckt, daß er nicht
von ihr weg konnte. Warum er so weggekeilt wäre heute morgen um Kirchzell,
wie sie ihm gewinkt hätte, fragte sie ihn. Ihre Stimme war wie singend, wenn
sie seinen Namen nannte, sie schob die Zunge zwischen den Lippen her, als
kecke sie einer Süßigkeit nach.

Er sah das Wieschen, und hatte er eben der Regime aus ihre Frage nach
seinem stillen scheuen Wesen Bescheid gegeben, so sagte er jetzt: "Laß mich
doch los!"

Wieschen trat gegen die beiden an, mit ein paar ihrer langen festen Schritte
war sie bei ihnen. Sie hielt die Stiele der Feldblumen in halb gehobener


Grenzboten III 1912 17
Die Blumen des Florentin Uley

„Es geht wieder daher heute bei der Nolterschlucht," erzählte sie dann.
„Sie sind rein toll heutzutage. Sie müssen tanzen, und wenn bloß ein gemeiner
Sonntag ist. Alles Volk ist da." Sie nannte mit nachdrücklicher Wichtigkeit
die Namen der einzelnen Mädchen und Burschen, welche insonderheit die Dorf¬
jugend ausmachten, ein guter Karren voll leichter Ware, von der es besser
gewesen wäre, man hätte sie zum Dorf hinausgeschoben und zöge eine neue
Brut dafür an.

Wieschen hob die Hände, als wolle sie des Florentin Namen hinnehmen,
ließ sie aber sinken, als Jelde ausgeredet hatte, ohne ihn genannt zu haben.
Dann fragte Jelde unvermittelt: „Möchtest du je einmal mit denen tanzen?"

„Wie meinst du?" fragte Wieschen erstaunt. „Lieber möcht' ich, ihr alle
ginget hinter meinem Sarge her, ehe daß einer mit mir ausginge zu tanzen.
Es 'hört Sonntags nicht hin für einen, der sich Hierzuland ganz ordentlich
hält. Aber warum meinst du bloß, Jelde?"

Sie antwortete nebenhin, während sie schon hinaus ging, um nach anderem
zu sehen: „Ich dachte nur, als ich den Florentin eben dastehen sah beim
Sonntagsvolk an der Nolterschlucht: das Wieschen geht auch noch mal hin."

Wieschen fühlte sich unsichtbar angefaßt, war nur wie mitgezogen, als sie
aufstand und hinaus ging. Sie ging oben durch die Gärtnerei, trat durch eine
kleine Pforte ins Feld und bog durch Ackerfurchen gegen die Straße hinunter
und zurück. Sie pflückte aus dem blütenstaubenden Roggen vollblühende Mohn¬
blumen, von denen sich die Blätter verloren, weil sie mit dem Arm schlenkerte.
Wieschen sah es nicht. Sie ging wie verloren und ließ sich den Weg anzeigen
von dem Fremden, das mit ihr war.

Wieschen war den Mädchen, welche vor dem Wirtshaus herumstanden,
im Wesen und Verkehr fremd, aber sie kannte die einzelnen leicht an ihren
Kleidern, die sie genäht hatte und sprach mit jedem. Sie kicherten unter¬
einander und wunderten sich über das Wieschen Maßmann. Wieschen hörte
ihre Frage: „Was will die bloß?" Da zeigte sie die Blumen, die nur noch
Stiele waren. „Ich bin im Feld gewesen und kam just hier herunter."

Der Florentin stand gegen eine der Linden gelehnt, seur, wie sonst die
Leiter, die er daran legte zum Beschneiden der Bäume. Regime war um ihn,
hatte einen Finger in ein offenes Knopfloch seiner Joppe gesteckt, daß er nicht
von ihr weg konnte. Warum er so weggekeilt wäre heute morgen um Kirchzell,
wie sie ihm gewinkt hätte, fragte sie ihn. Ihre Stimme war wie singend, wenn
sie seinen Namen nannte, sie schob die Zunge zwischen den Lippen her, als
kecke sie einer Süßigkeit nach.

Er sah das Wieschen, und hatte er eben der Regime aus ihre Frage nach
seinem stillen scheuen Wesen Bescheid gegeben, so sagte er jetzt: „Laß mich
doch los!"

Wieschen trat gegen die beiden an, mit ein paar ihrer langen festen Schritte
war sie bei ihnen. Sie hielt die Stiele der Feldblumen in halb gehobener


Grenzboten III 1912 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321888"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Uley</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_509"> &#x201E;Es geht wieder daher heute bei der Nolterschlucht," erzählte sie dann.<lb/>
&#x201E;Sie sind rein toll heutzutage. Sie müssen tanzen, und wenn bloß ein gemeiner<lb/>
Sonntag ist. Alles Volk ist da." Sie nannte mit nachdrücklicher Wichtigkeit<lb/>
die Namen der einzelnen Mädchen und Burschen, welche insonderheit die Dorf¬<lb/>
jugend ausmachten, ein guter Karren voll leichter Ware, von der es besser<lb/>
gewesen wäre, man hätte sie zum Dorf hinausgeschoben und zöge eine neue<lb/>
Brut dafür an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_510"> Wieschen hob die Hände, als wolle sie des Florentin Namen hinnehmen,<lb/>
ließ sie aber sinken, als Jelde ausgeredet hatte, ohne ihn genannt zu haben.<lb/>
Dann fragte Jelde unvermittelt: &#x201E;Möchtest du je einmal mit denen tanzen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_511"> &#x201E;Wie meinst du?" fragte Wieschen erstaunt. &#x201E;Lieber möcht' ich, ihr alle<lb/>
ginget hinter meinem Sarge her, ehe daß einer mit mir ausginge zu tanzen.<lb/>
Es 'hört Sonntags nicht hin für einen, der sich Hierzuland ganz ordentlich<lb/>
hält.  Aber warum meinst du bloß, Jelde?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_512"> Sie antwortete nebenhin, während sie schon hinaus ging, um nach anderem<lb/>
zu sehen: &#x201E;Ich dachte nur, als ich den Florentin eben dastehen sah beim<lb/>
Sonntagsvolk an der Nolterschlucht: das Wieschen geht auch noch mal hin."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> Wieschen fühlte sich unsichtbar angefaßt, war nur wie mitgezogen, als sie<lb/>
aufstand und hinaus ging. Sie ging oben durch die Gärtnerei, trat durch eine<lb/>
kleine Pforte ins Feld und bog durch Ackerfurchen gegen die Straße hinunter<lb/>
und zurück. Sie pflückte aus dem blütenstaubenden Roggen vollblühende Mohn¬<lb/>
blumen, von denen sich die Blätter verloren, weil sie mit dem Arm schlenkerte.<lb/>
Wieschen sah es nicht. Sie ging wie verloren und ließ sich den Weg anzeigen<lb/>
von dem Fremden, das mit ihr war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Wieschen war den Mädchen, welche vor dem Wirtshaus herumstanden,<lb/>
im Wesen und Verkehr fremd, aber sie kannte die einzelnen leicht an ihren<lb/>
Kleidern, die sie genäht hatte und sprach mit jedem. Sie kicherten unter¬<lb/>
einander und wunderten sich über das Wieschen Maßmann. Wieschen hörte<lb/>
ihre Frage: &#x201E;Was will die bloß?" Da zeigte sie die Blumen, die nur noch<lb/>
Stiele waren.  &#x201E;Ich bin im Feld gewesen und kam just hier herunter."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515"> Der Florentin stand gegen eine der Linden gelehnt, seur, wie sonst die<lb/>
Leiter, die er daran legte zum Beschneiden der Bäume. Regime war um ihn,<lb/>
hatte einen Finger in ein offenes Knopfloch seiner Joppe gesteckt, daß er nicht<lb/>
von ihr weg konnte. Warum er so weggekeilt wäre heute morgen um Kirchzell,<lb/>
wie sie ihm gewinkt hätte, fragte sie ihn. Ihre Stimme war wie singend, wenn<lb/>
sie seinen Namen nannte, sie schob die Zunge zwischen den Lippen her, als<lb/>
kecke sie einer Süßigkeit nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Er sah das Wieschen, und hatte er eben der Regime aus ihre Frage nach<lb/>
seinem stillen scheuen Wesen Bescheid gegeben, so sagte er jetzt: &#x201E;Laß mich<lb/>
doch los!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517" next="#ID_518"> Wieschen trat gegen die beiden an, mit ein paar ihrer langen festen Schritte<lb/>
war sie bei ihnen.  Sie hielt die Stiele der Feldblumen in halb gehobener</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1912 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] Die Blumen des Florentin Uley „Es geht wieder daher heute bei der Nolterschlucht," erzählte sie dann. „Sie sind rein toll heutzutage. Sie müssen tanzen, und wenn bloß ein gemeiner Sonntag ist. Alles Volk ist da." Sie nannte mit nachdrücklicher Wichtigkeit die Namen der einzelnen Mädchen und Burschen, welche insonderheit die Dorf¬ jugend ausmachten, ein guter Karren voll leichter Ware, von der es besser gewesen wäre, man hätte sie zum Dorf hinausgeschoben und zöge eine neue Brut dafür an. Wieschen hob die Hände, als wolle sie des Florentin Namen hinnehmen, ließ sie aber sinken, als Jelde ausgeredet hatte, ohne ihn genannt zu haben. Dann fragte Jelde unvermittelt: „Möchtest du je einmal mit denen tanzen?" „Wie meinst du?" fragte Wieschen erstaunt. „Lieber möcht' ich, ihr alle ginget hinter meinem Sarge her, ehe daß einer mit mir ausginge zu tanzen. Es 'hört Sonntags nicht hin für einen, der sich Hierzuland ganz ordentlich hält. Aber warum meinst du bloß, Jelde?" Sie antwortete nebenhin, während sie schon hinaus ging, um nach anderem zu sehen: „Ich dachte nur, als ich den Florentin eben dastehen sah beim Sonntagsvolk an der Nolterschlucht: das Wieschen geht auch noch mal hin." Wieschen fühlte sich unsichtbar angefaßt, war nur wie mitgezogen, als sie aufstand und hinaus ging. Sie ging oben durch die Gärtnerei, trat durch eine kleine Pforte ins Feld und bog durch Ackerfurchen gegen die Straße hinunter und zurück. Sie pflückte aus dem blütenstaubenden Roggen vollblühende Mohn¬ blumen, von denen sich die Blätter verloren, weil sie mit dem Arm schlenkerte. Wieschen sah es nicht. Sie ging wie verloren und ließ sich den Weg anzeigen von dem Fremden, das mit ihr war. Wieschen war den Mädchen, welche vor dem Wirtshaus herumstanden, im Wesen und Verkehr fremd, aber sie kannte die einzelnen leicht an ihren Kleidern, die sie genäht hatte und sprach mit jedem. Sie kicherten unter¬ einander und wunderten sich über das Wieschen Maßmann. Wieschen hörte ihre Frage: „Was will die bloß?" Da zeigte sie die Blumen, die nur noch Stiele waren. „Ich bin im Feld gewesen und kam just hier herunter." Der Florentin stand gegen eine der Linden gelehnt, seur, wie sonst die Leiter, die er daran legte zum Beschneiden der Bäume. Regime war um ihn, hatte einen Finger in ein offenes Knopfloch seiner Joppe gesteckt, daß er nicht von ihr weg konnte. Warum er so weggekeilt wäre heute morgen um Kirchzell, wie sie ihm gewinkt hätte, fragte sie ihn. Ihre Stimme war wie singend, wenn sie seinen Namen nannte, sie schob die Zunge zwischen den Lippen her, als kecke sie einer Süßigkeit nach. Er sah das Wieschen, und hatte er eben der Regime aus ihre Frage nach seinem stillen scheuen Wesen Bescheid gegeben, so sagte er jetzt: „Laß mich doch los!" Wieschen trat gegen die beiden an, mit ein paar ihrer langen festen Schritte war sie bei ihnen. Sie hielt die Stiele der Feldblumen in halb gehobener Grenzboten III 1912 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/141>, abgerufen am 01.07.2024.