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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Worte und Schweigen stumpf gewesen waren. Es war, als wolle sich die
Regime verdoppeln mit jeder Bewegung, wäre gleich hundertfach in der Stube
und hätte sich in einem Augenblick ein größeres Recht darin genommen, als
Wieschen sich ihres mit tausend feinen, mühsamen Nadelstichen erarbeitet hatte.

Regime begrüßte die Näherinnen, wie nur eine nächste Nachbarschaft den
Gruß bereit hat, Wieschen legte ihre kühlen schlanken Finger zögernd, aber
dann sich bedenkend, einen sicheren Augenblick lang in die warmen runden der
anderen. Es war nur, wie die beiden Mädchen sich dazu ansähen, daß ihre
Blicke hart gegeneinander trafen, nicht über den Treffpunkt der Mitte hinaus¬
kamen und da wie in Splitter stießen. Jelde kicherte zu dieser Begegnung.

Regime warf ein in Zeitungspapier gewickeltes weißes Stöffchen, welches
sie unter dem Arm hergetragen hatte, auf den Zuschneidetisch und kramte es
heraus. "Für ein Tanzkleid," erklärte sie, "für die Kirmes." Ihre Stimme
war klingend wie das Läuten einer Karussellglocke. Sie sagte, sie komme erst
jetzt zur Meisterin Jelde herein als ihre nun dauernde Kundschaft, weil sie sich
nicht ausgekannt hätte im Dorf, sie habe in der Stadt machen lassen, da sei
aber alles leicht' Werk, auf dem Land lerne man erst das Gediegene. Jelde
möge ihr's nachsehen mit aller Verspätung.

Jelde tat einen schiefen Blick über die geputzten jedoch fadigen Kleider der
Sprecherin und befühlte das glänzende weiße Stöffchen heimlich nach seiner
Billigkeit. Aber wie sie den Mund zu einer stichigeu Antwort spitzte, schmeichelte
Regimes Rede ihrem Ohr, und sie sah es ihr nach, daß sie spät, aber nun doch
gekommen war. "Es müssen blaue Schluppen daran, an das Kleid, das steht
zu ihrem Haar, Fräulein Reginchen."

Wieschen mußte das bunte neue Modebild geben. Sie trug es her mit
gestrecktem Arm. Sie sagte auch etwas zur Mode, aber es galt nicht, obgleich
ihre Stimme so Feines an Form angab, wie sie an Ton war. So stand sie
wie weggeschoben von ihrer Meisterin und von der Fremden, bückte sich nur,
hob die Papierfetzen auf und brachte sie weg, die Regime von dem Paket
abgerissen und ihr gleichgültig und wie zufällig vor die Füße warf und sah
immerfort und wie staunend über das Gesicht und die Gestalt jenes Mädchens.

Sie war hübsch, lebensfrisch und saftig, die Regime, wie eine reife Frucht,
welche zu fallen droht, wenn keiner sie pflückt. Auf ihrer glatten Stirn konnte
noch keine Falte des Unmuts gestanden, oder eine Sorge den harten grauen
Griffel dazu angesetzt haben. Ihre frischen Farben waren mit ein paar Sommer¬
sprossen wie geneckt von ein bißchen Häßlichkeit, sonst nahm keiner Schaden,
wer sie besah. Aber wer zu ernst über ihr ganz leichtes Wesen nachsann, der
behielt nicht viel von ihr, wenn sie dagewesen war. So dachte Wieschen bei
allem staunenden Ansehen: "Er wird sie satt, der Florin."

Als das Geschäftliche ausgesprochen war, brachte Jelde den Besuch in die
Visitenstube, zu der Wieschen die Tür auftun mußte. Sie öffnete auch noch
das Fenster, weil eine enge Luft in der Stube war, legte die Schondecken, die


Die Blumen des Florentin Uley

Worte und Schweigen stumpf gewesen waren. Es war, als wolle sich die
Regime verdoppeln mit jeder Bewegung, wäre gleich hundertfach in der Stube
und hätte sich in einem Augenblick ein größeres Recht darin genommen, als
Wieschen sich ihres mit tausend feinen, mühsamen Nadelstichen erarbeitet hatte.

Regime begrüßte die Näherinnen, wie nur eine nächste Nachbarschaft den
Gruß bereit hat, Wieschen legte ihre kühlen schlanken Finger zögernd, aber
dann sich bedenkend, einen sicheren Augenblick lang in die warmen runden der
anderen. Es war nur, wie die beiden Mädchen sich dazu ansähen, daß ihre
Blicke hart gegeneinander trafen, nicht über den Treffpunkt der Mitte hinaus¬
kamen und da wie in Splitter stießen. Jelde kicherte zu dieser Begegnung.

Regime warf ein in Zeitungspapier gewickeltes weißes Stöffchen, welches
sie unter dem Arm hergetragen hatte, auf den Zuschneidetisch und kramte es
heraus. „Für ein Tanzkleid," erklärte sie, „für die Kirmes." Ihre Stimme
war klingend wie das Läuten einer Karussellglocke. Sie sagte, sie komme erst
jetzt zur Meisterin Jelde herein als ihre nun dauernde Kundschaft, weil sie sich
nicht ausgekannt hätte im Dorf, sie habe in der Stadt machen lassen, da sei
aber alles leicht' Werk, auf dem Land lerne man erst das Gediegene. Jelde
möge ihr's nachsehen mit aller Verspätung.

Jelde tat einen schiefen Blick über die geputzten jedoch fadigen Kleider der
Sprecherin und befühlte das glänzende weiße Stöffchen heimlich nach seiner
Billigkeit. Aber wie sie den Mund zu einer stichigeu Antwort spitzte, schmeichelte
Regimes Rede ihrem Ohr, und sie sah es ihr nach, daß sie spät, aber nun doch
gekommen war. „Es müssen blaue Schluppen daran, an das Kleid, das steht
zu ihrem Haar, Fräulein Reginchen."

Wieschen mußte das bunte neue Modebild geben. Sie trug es her mit
gestrecktem Arm. Sie sagte auch etwas zur Mode, aber es galt nicht, obgleich
ihre Stimme so Feines an Form angab, wie sie an Ton war. So stand sie
wie weggeschoben von ihrer Meisterin und von der Fremden, bückte sich nur,
hob die Papierfetzen auf und brachte sie weg, die Regime von dem Paket
abgerissen und ihr gleichgültig und wie zufällig vor die Füße warf und sah
immerfort und wie staunend über das Gesicht und die Gestalt jenes Mädchens.

Sie war hübsch, lebensfrisch und saftig, die Regime, wie eine reife Frucht,
welche zu fallen droht, wenn keiner sie pflückt. Auf ihrer glatten Stirn konnte
noch keine Falte des Unmuts gestanden, oder eine Sorge den harten grauen
Griffel dazu angesetzt haben. Ihre frischen Farben waren mit ein paar Sommer¬
sprossen wie geneckt von ein bißchen Häßlichkeit, sonst nahm keiner Schaden,
wer sie besah. Aber wer zu ernst über ihr ganz leichtes Wesen nachsann, der
behielt nicht viel von ihr, wenn sie dagewesen war. So dachte Wieschen bei
allem staunenden Ansehen: „Er wird sie satt, der Florin."

Als das Geschäftliche ausgesprochen war, brachte Jelde den Besuch in die
Visitenstube, zu der Wieschen die Tür auftun mußte. Sie öffnete auch noch
das Fenster, weil eine enge Luft in der Stube war, legte die Schondecken, die


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[0138] Die Blumen des Florentin Uley Worte und Schweigen stumpf gewesen waren. Es war, als wolle sich die Regime verdoppeln mit jeder Bewegung, wäre gleich hundertfach in der Stube und hätte sich in einem Augenblick ein größeres Recht darin genommen, als Wieschen sich ihres mit tausend feinen, mühsamen Nadelstichen erarbeitet hatte. Regime begrüßte die Näherinnen, wie nur eine nächste Nachbarschaft den Gruß bereit hat, Wieschen legte ihre kühlen schlanken Finger zögernd, aber dann sich bedenkend, einen sicheren Augenblick lang in die warmen runden der anderen. Es war nur, wie die beiden Mädchen sich dazu ansähen, daß ihre Blicke hart gegeneinander trafen, nicht über den Treffpunkt der Mitte hinaus¬ kamen und da wie in Splitter stießen. Jelde kicherte zu dieser Begegnung. Regime warf ein in Zeitungspapier gewickeltes weißes Stöffchen, welches sie unter dem Arm hergetragen hatte, auf den Zuschneidetisch und kramte es heraus. „Für ein Tanzkleid," erklärte sie, „für die Kirmes." Ihre Stimme war klingend wie das Läuten einer Karussellglocke. Sie sagte, sie komme erst jetzt zur Meisterin Jelde herein als ihre nun dauernde Kundschaft, weil sie sich nicht ausgekannt hätte im Dorf, sie habe in der Stadt machen lassen, da sei aber alles leicht' Werk, auf dem Land lerne man erst das Gediegene. Jelde möge ihr's nachsehen mit aller Verspätung. Jelde tat einen schiefen Blick über die geputzten jedoch fadigen Kleider der Sprecherin und befühlte das glänzende weiße Stöffchen heimlich nach seiner Billigkeit. Aber wie sie den Mund zu einer stichigeu Antwort spitzte, schmeichelte Regimes Rede ihrem Ohr, und sie sah es ihr nach, daß sie spät, aber nun doch gekommen war. „Es müssen blaue Schluppen daran, an das Kleid, das steht zu ihrem Haar, Fräulein Reginchen." Wieschen mußte das bunte neue Modebild geben. Sie trug es her mit gestrecktem Arm. Sie sagte auch etwas zur Mode, aber es galt nicht, obgleich ihre Stimme so Feines an Form angab, wie sie an Ton war. So stand sie wie weggeschoben von ihrer Meisterin und von der Fremden, bückte sich nur, hob die Papierfetzen auf und brachte sie weg, die Regime von dem Paket abgerissen und ihr gleichgültig und wie zufällig vor die Füße warf und sah immerfort und wie staunend über das Gesicht und die Gestalt jenes Mädchens. Sie war hübsch, lebensfrisch und saftig, die Regime, wie eine reife Frucht, welche zu fallen droht, wenn keiner sie pflückt. Auf ihrer glatten Stirn konnte noch keine Falte des Unmuts gestanden, oder eine Sorge den harten grauen Griffel dazu angesetzt haben. Ihre frischen Farben waren mit ein paar Sommer¬ sprossen wie geneckt von ein bißchen Häßlichkeit, sonst nahm keiner Schaden, wer sie besah. Aber wer zu ernst über ihr ganz leichtes Wesen nachsann, der behielt nicht viel von ihr, wenn sie dagewesen war. So dachte Wieschen bei allem staunenden Ansehen: „Er wird sie satt, der Florin." Als das Geschäftliche ausgesprochen war, brachte Jelde den Besuch in die Visitenstube, zu der Wieschen die Tür auftun mußte. Sie öffnete auch noch das Fenster, weil eine enge Luft in der Stube war, legte die Schondecken, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/138>, abgerufen am 03.07.2024.