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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Das Hamburg der Gstsee

des schwedischen Militärs gewesen. Der Verlauf der Belagerung ergibt
wieder eine eigenartige Konstellation. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der neben
unserem Kaiser am meisten für eine kühne Handels- und Flottenpolitik
begeisterte Hohenzoller, dessen glühendster Wunsch es war, Stettin in seine
Hand zu bringen, weil er dadurch in die Lage zu kommen hoffte, eine
Seepolitik großen Stils einzuleiten, sah sich genötigt, diese so sehr begehrte
Handelsstadt fast in Grund und Boden zu schießen. So steht Stettin zweien
der Sympathischsten Helden der Geschichte mit seltsamen Gefühlen gegenüber:
Gustav Adolf und der Große Kurfürst sind seine Hauptv erd erber gewesen.
Nach dem Friedensschluß von Se. Germain wurde der Kurfürst der Stadt noch
weiter verhängnisvoll, indem er nun planmäßig im Geiste des Merkantilismus
ihren Handel lahm zu legen suchte, was ihm und der Regierung seines Sohnes
denn auch nur zu gut gelang. Als dann Friedrich Wilhelm der Erste kurz
nach dem Tode des ersten preußischen Königs die Versuche, Stettin zu erwerben,
wieder aufnahm, die schließlich im Frieden von Stockholm (1720) von Erfolg
gekrönt waren, da lag der Wohlstand der Stadt, der sich nach der Finanzkrisis
vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges wieder so wesentlich gehoben hatte,
vollständig darnieder. Kaum je seit ihrer Erhebung zur deutschen Stadt war
sie in einem so elenden Zustande gewesen.

Das bevormundende Regiment, das Friedrich Wilhelm der Erste einleitete,
brachte wieder Ordnung in die Verwaltung und ein Fortschreiten auf allen
Zweigen des Lebens hervor. Die Bevormundung war nur zu wohl begründet
bei dem ins Kraut geschossenen engherzigen Sinn der Bürger und ihrem
völlig eingeschlafenen Unternehmungsgeist. Sie hatte aber auch den Nachteil,
daß sie das Wiederaufblühen eines Gemeinsinns von vornherein erschwerte.
Die Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten wird außerdem gekennzeichnet
durch den gewaltigen Festungsbau, den der König anlegte. Seit dieser Zeit
ist Stettin auch eine bemerkenswerte Militärstadt geworden. Ein Regiment
das damals hier seinen Standort erhielt, das heutige Grenadierregiment König
Friedrich Wilhelm der Vierte (I.Pommersches) Ur. 2, das immer enge Beziehungen
zum Königshause unterhielt, ist dauernd hier geblieben und steht jetzt bald volle
zwei Jahrhunderte in der Stadt. Unter Friedrich dem Großen wuchs der
Handel besonders stark, und auch ein lebhafter Schiffbau kam auf, neben ihm
mancher andere Zweig der Industrie, so vor allem die Zuckersiederei.

Verhängnisvoll wurde für die gedeihliche Entwicklung von Handel und
Industrie wieder die napoleonische Zeit. Sie führte sozusagen den dritten
Bankerott der Stadt herbei. Es ist bekannt, wie schmählich die Stadt von den
militärischen Behörden den Franzosen überantwortet wurde; und auch die
Zivilverwaltung hat damals keine rühmliche Rolle gespielt. Im Gegensatze dazu
haben Stadtverwaltung und Bürgerschaft mehr Haltung gezeigt. Das Regiment
der Franzosen erwies sich bald als recht drückend. Der kleinen Stadt wurden
gleich 10 Millionen Kontributionen auferlegt. Die französischen Truppen selbst


Grmzvoten III 1912 . 16
Das Hamburg der Gstsee

des schwedischen Militärs gewesen. Der Verlauf der Belagerung ergibt
wieder eine eigenartige Konstellation. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der neben
unserem Kaiser am meisten für eine kühne Handels- und Flottenpolitik
begeisterte Hohenzoller, dessen glühendster Wunsch es war, Stettin in seine
Hand zu bringen, weil er dadurch in die Lage zu kommen hoffte, eine
Seepolitik großen Stils einzuleiten, sah sich genötigt, diese so sehr begehrte
Handelsstadt fast in Grund und Boden zu schießen. So steht Stettin zweien
der Sympathischsten Helden der Geschichte mit seltsamen Gefühlen gegenüber:
Gustav Adolf und der Große Kurfürst sind seine Hauptv erd erber gewesen.
Nach dem Friedensschluß von Se. Germain wurde der Kurfürst der Stadt noch
weiter verhängnisvoll, indem er nun planmäßig im Geiste des Merkantilismus
ihren Handel lahm zu legen suchte, was ihm und der Regierung seines Sohnes
denn auch nur zu gut gelang. Als dann Friedrich Wilhelm der Erste kurz
nach dem Tode des ersten preußischen Königs die Versuche, Stettin zu erwerben,
wieder aufnahm, die schließlich im Frieden von Stockholm (1720) von Erfolg
gekrönt waren, da lag der Wohlstand der Stadt, der sich nach der Finanzkrisis
vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges wieder so wesentlich gehoben hatte,
vollständig darnieder. Kaum je seit ihrer Erhebung zur deutschen Stadt war
sie in einem so elenden Zustande gewesen.

Das bevormundende Regiment, das Friedrich Wilhelm der Erste einleitete,
brachte wieder Ordnung in die Verwaltung und ein Fortschreiten auf allen
Zweigen des Lebens hervor. Die Bevormundung war nur zu wohl begründet
bei dem ins Kraut geschossenen engherzigen Sinn der Bürger und ihrem
völlig eingeschlafenen Unternehmungsgeist. Sie hatte aber auch den Nachteil,
daß sie das Wiederaufblühen eines Gemeinsinns von vornherein erschwerte.
Die Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten wird außerdem gekennzeichnet
durch den gewaltigen Festungsbau, den der König anlegte. Seit dieser Zeit
ist Stettin auch eine bemerkenswerte Militärstadt geworden. Ein Regiment
das damals hier seinen Standort erhielt, das heutige Grenadierregiment König
Friedrich Wilhelm der Vierte (I.Pommersches) Ur. 2, das immer enge Beziehungen
zum Königshause unterhielt, ist dauernd hier geblieben und steht jetzt bald volle
zwei Jahrhunderte in der Stadt. Unter Friedrich dem Großen wuchs der
Handel besonders stark, und auch ein lebhafter Schiffbau kam auf, neben ihm
mancher andere Zweig der Industrie, so vor allem die Zuckersiederei.

Verhängnisvoll wurde für die gedeihliche Entwicklung von Handel und
Industrie wieder die napoleonische Zeit. Sie führte sozusagen den dritten
Bankerott der Stadt herbei. Es ist bekannt, wie schmählich die Stadt von den
militärischen Behörden den Franzosen überantwortet wurde; und auch die
Zivilverwaltung hat damals keine rühmliche Rolle gespielt. Im Gegensatze dazu
haben Stadtverwaltung und Bürgerschaft mehr Haltung gezeigt. Das Regiment
der Franzosen erwies sich bald als recht drückend. Der kleinen Stadt wurden
gleich 10 Millionen Kontributionen auferlegt. Die französischen Truppen selbst


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[0133] Das Hamburg der Gstsee des schwedischen Militärs gewesen. Der Verlauf der Belagerung ergibt wieder eine eigenartige Konstellation. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der neben unserem Kaiser am meisten für eine kühne Handels- und Flottenpolitik begeisterte Hohenzoller, dessen glühendster Wunsch es war, Stettin in seine Hand zu bringen, weil er dadurch in die Lage zu kommen hoffte, eine Seepolitik großen Stils einzuleiten, sah sich genötigt, diese so sehr begehrte Handelsstadt fast in Grund und Boden zu schießen. So steht Stettin zweien der Sympathischsten Helden der Geschichte mit seltsamen Gefühlen gegenüber: Gustav Adolf und der Große Kurfürst sind seine Hauptv erd erber gewesen. Nach dem Friedensschluß von Se. Germain wurde der Kurfürst der Stadt noch weiter verhängnisvoll, indem er nun planmäßig im Geiste des Merkantilismus ihren Handel lahm zu legen suchte, was ihm und der Regierung seines Sohnes denn auch nur zu gut gelang. Als dann Friedrich Wilhelm der Erste kurz nach dem Tode des ersten preußischen Königs die Versuche, Stettin zu erwerben, wieder aufnahm, die schließlich im Frieden von Stockholm (1720) von Erfolg gekrönt waren, da lag der Wohlstand der Stadt, der sich nach der Finanzkrisis vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges wieder so wesentlich gehoben hatte, vollständig darnieder. Kaum je seit ihrer Erhebung zur deutschen Stadt war sie in einem so elenden Zustande gewesen. Das bevormundende Regiment, das Friedrich Wilhelm der Erste einleitete, brachte wieder Ordnung in die Verwaltung und ein Fortschreiten auf allen Zweigen des Lebens hervor. Die Bevormundung war nur zu wohl begründet bei dem ins Kraut geschossenen engherzigen Sinn der Bürger und ihrem völlig eingeschlafenen Unternehmungsgeist. Sie hatte aber auch den Nachteil, daß sie das Wiederaufblühen eines Gemeinsinns von vornherein erschwerte. Die Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten wird außerdem gekennzeichnet durch den gewaltigen Festungsbau, den der König anlegte. Seit dieser Zeit ist Stettin auch eine bemerkenswerte Militärstadt geworden. Ein Regiment das damals hier seinen Standort erhielt, das heutige Grenadierregiment König Friedrich Wilhelm der Vierte (I.Pommersches) Ur. 2, das immer enge Beziehungen zum Königshause unterhielt, ist dauernd hier geblieben und steht jetzt bald volle zwei Jahrhunderte in der Stadt. Unter Friedrich dem Großen wuchs der Handel besonders stark, und auch ein lebhafter Schiffbau kam auf, neben ihm mancher andere Zweig der Industrie, so vor allem die Zuckersiederei. Verhängnisvoll wurde für die gedeihliche Entwicklung von Handel und Industrie wieder die napoleonische Zeit. Sie führte sozusagen den dritten Bankerott der Stadt herbei. Es ist bekannt, wie schmählich die Stadt von den militärischen Behörden den Franzosen überantwortet wurde; und auch die Zivilverwaltung hat damals keine rühmliche Rolle gespielt. Im Gegensatze dazu haben Stadtverwaltung und Bürgerschaft mehr Haltung gezeigt. Das Regiment der Franzosen erwies sich bald als recht drückend. Der kleinen Stadt wurden gleich 10 Millionen Kontributionen auferlegt. Die französischen Truppen selbst Grmzvoten III 1912 . 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/133>, abgerufen am 03.07.2024.