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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Das Hamburg der Gstsee

Schiffahrtsbrunnen vor dem neuen Rathause in Betracht, der ein Kunstwerk
ersten Ranges zu nennen ist. Interessante historische Baudenkmäler stellen die
beiden von Friedrich Wilhelm dem Ersten geschaffenen Festungstore dar, die
man verständigerweise nicht dem Verkehr geopfert hat.

Die unstete Entwicklung Stettins spiegelt sich in verschiedenen wirtschaft¬
lichen Krisen. Als die Stadt gerade den mächtigsten Schritt vorwärts zur Er¬
langung einer selbständigen Stellung getan hatte, in der Zeit des Erbfolge¬
krieges zwischen Pommern und der Mark, griff das Territorialfürstentum ein,
um die üppig emporwuchernde Macht der Oderstadt einzuengen. Der häufige
Thronwechsel im Fürstenhause förderte dann durch die lächerlich hohen Huldigungs¬
gelder, die die Herzöge verlangten, eine durch schlechte Ordnung des Geldwesens
und durch kostspielige Prozesse am Reichskammergericht vorbereitete fürchterliche
Fmanzkrisis der Stadt. Durch das Eingreifen der herzoglichen Regierung wurde
sie nach unendlichen Mühen einigermaßen behoben. Das war ums Jahr 1619,
also zu einer Zeit, da der kurz zuvor ausgebrochene große Neichskrieg noch
nicht in diese Gegend gedrungen war. In den ersten Jahren des Krieges
machte sich wieder ein merklicher wirtschaftlicher Aufschwung geltend, wie es
Stettin ja überhaupt meist anders ging als anderen Städten. Freilich
verriet der Rat der Stadt in jener Periode einen kaum glaublichen Kleinmut,
indem er 1619 ganz ernstlich den Ausspruch tat: "Das Abenteuern zur See
sei gefährlich und besser anderen Nationen zu überlassen." Richtig hieran ist
die Anregung, sich mehr auf den Binnenhandel zu werfen, auf den Stettin
ebenso angewiesen war wie auf den Seehandel.

Die Rücksicht auf den Binnenhandel machte es für Stettin nicht wünschens¬
wert, daß es in schwedische Hände kam, wurde es doch dadurch von seinem
natürlichen Hinterkante abgesperrt. So ist die Eroberung Stettins durch
Gustav Adolf und die schwedische Herrschaft daselbst für die Stadt geradezu
verhängnisvoll geworden, so glänzende Tage sie damals auch sah, als Seen
Bjelke als schwedischer Legat im Greifenschloß residierte und die Gesandtschaften
aus allen Ländern Europas hier zusammenkamen, und so sehr die Stockholmer
Negierung die wichtige Stadt begünstigte. Die lutherische Bürgerschaft hat sich
aus konfessionellen Gründen großenteils lebhaft gefreut, daß sie unter das
Szepter der drei Kronen kam. Sie haßte in dem Brandenburger den Calvinisten,
und die Stettiner Geistlichkeit hat diese Gesinnung über alle Maßen töricht durch
Schelten und Hetzen bestärkt, auch als nach dem Friedensschluß von 1648 die
üblen handelspolitischen Folgen der Trennung Stettins vom Reich bemerkbar
wurden. Bei der Belagerung im Jahre 1659 durch die von Brandenburgern
unterstützten Kaiserlichen haben die sonst so wenig opfermutigen Bürger sogar
einen rühmenswerten Eifer in der Verteidigung gezeigt. Als dann die beispiellos
heftige Belagerung durch den Großen Kurfürsten 1676 und 1677 eintrat,
war der Mut und die Freudigkeit der Stettiner bereits sehr gesunken.
Wenn die Stadt sich ruhmvoll hielt, so ist das lediglich das Verdienst


Das Hamburg der Gstsee

Schiffahrtsbrunnen vor dem neuen Rathause in Betracht, der ein Kunstwerk
ersten Ranges zu nennen ist. Interessante historische Baudenkmäler stellen die
beiden von Friedrich Wilhelm dem Ersten geschaffenen Festungstore dar, die
man verständigerweise nicht dem Verkehr geopfert hat.

Die unstete Entwicklung Stettins spiegelt sich in verschiedenen wirtschaft¬
lichen Krisen. Als die Stadt gerade den mächtigsten Schritt vorwärts zur Er¬
langung einer selbständigen Stellung getan hatte, in der Zeit des Erbfolge¬
krieges zwischen Pommern und der Mark, griff das Territorialfürstentum ein,
um die üppig emporwuchernde Macht der Oderstadt einzuengen. Der häufige
Thronwechsel im Fürstenhause förderte dann durch die lächerlich hohen Huldigungs¬
gelder, die die Herzöge verlangten, eine durch schlechte Ordnung des Geldwesens
und durch kostspielige Prozesse am Reichskammergericht vorbereitete fürchterliche
Fmanzkrisis der Stadt. Durch das Eingreifen der herzoglichen Regierung wurde
sie nach unendlichen Mühen einigermaßen behoben. Das war ums Jahr 1619,
also zu einer Zeit, da der kurz zuvor ausgebrochene große Neichskrieg noch
nicht in diese Gegend gedrungen war. In den ersten Jahren des Krieges
machte sich wieder ein merklicher wirtschaftlicher Aufschwung geltend, wie es
Stettin ja überhaupt meist anders ging als anderen Städten. Freilich
verriet der Rat der Stadt in jener Periode einen kaum glaublichen Kleinmut,
indem er 1619 ganz ernstlich den Ausspruch tat: „Das Abenteuern zur See
sei gefährlich und besser anderen Nationen zu überlassen." Richtig hieran ist
die Anregung, sich mehr auf den Binnenhandel zu werfen, auf den Stettin
ebenso angewiesen war wie auf den Seehandel.

Die Rücksicht auf den Binnenhandel machte es für Stettin nicht wünschens¬
wert, daß es in schwedische Hände kam, wurde es doch dadurch von seinem
natürlichen Hinterkante abgesperrt. So ist die Eroberung Stettins durch
Gustav Adolf und die schwedische Herrschaft daselbst für die Stadt geradezu
verhängnisvoll geworden, so glänzende Tage sie damals auch sah, als Seen
Bjelke als schwedischer Legat im Greifenschloß residierte und die Gesandtschaften
aus allen Ländern Europas hier zusammenkamen, und so sehr die Stockholmer
Negierung die wichtige Stadt begünstigte. Die lutherische Bürgerschaft hat sich
aus konfessionellen Gründen großenteils lebhaft gefreut, daß sie unter das
Szepter der drei Kronen kam. Sie haßte in dem Brandenburger den Calvinisten,
und die Stettiner Geistlichkeit hat diese Gesinnung über alle Maßen töricht durch
Schelten und Hetzen bestärkt, auch als nach dem Friedensschluß von 1648 die
üblen handelspolitischen Folgen der Trennung Stettins vom Reich bemerkbar
wurden. Bei der Belagerung im Jahre 1659 durch die von Brandenburgern
unterstützten Kaiserlichen haben die sonst so wenig opfermutigen Bürger sogar
einen rühmenswerten Eifer in der Verteidigung gezeigt. Als dann die beispiellos
heftige Belagerung durch den Großen Kurfürsten 1676 und 1677 eintrat,
war der Mut und die Freudigkeit der Stettiner bereits sehr gesunken.
Wenn die Stadt sich ruhmvoll hielt, so ist das lediglich das Verdienst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/132>, abgerufen am 03.07.2024.