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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Das Hamburg der Gstsee

der Stadt eine ganz erschreckende. Ungemein zweckdienlich war es daher, daß
man vor welligen Jahren ein Gesundheitsamt schuf.

Das Kapitel, das von den Bauten Stettins handelt, ist auch, mit Aus¬
nahme der öffentlichen Bauten der neuesten Zeit, recht unerfreulich. Es unter¬
liegt keinem Zweifel, daß Stettin die längste Zeit seines Bestehens eine merk¬
würdig enge und finstere Stadt gewesen ist. Als infolge der Beschießung der Stadt
durch den Großen Kurfürsten die eigenartigen nnttelalterlichen Bauwerke zumeist
vom Erdboden verschwunden waren, erwuchs jene nüchterne Stadt, deren Bild
jeden feiner empfindenden Menschen geradezu abstoßen mußte. Ein Lokalpoet
sang im Jahre 1734 zum Preise dieses Stadtbildes mit geradezu köstlicher
Naivität:

Die Verse haben in gewisser Beziehung bis in die neueste Zeit Geltung
behalten. Noch in den Jahrzehnten nach 1870 ist in banausischer Weise weiter
gebaut worden. Als Wilhelm von Humboldt 1796 nach Stettin kam, fällte
er das herbe, aber richtige Urteil: "Die Stadt sieht im ganzen unangenehm aus."

Wie bei wenigen der größeren Städte haben besonders die kirchlichen
Gebäude und Klöster unter der Unbill der Zeiten gelitten. Verschwunden ist
die stolze Marienkirche, die zuerst bei der Belagerung durch den Großen Kur¬
fürsten zugrunde ging und, als sie wieder aufgebaut war, im Jahre 1789 durch
Blitzschlag zerstört wurde. Verschwunden ist ferner die Pfarrkirche Se. Nikolai,
die während der Franzosenzeit im Jahre 1811, wo sie als Heumagazin diente,
in Flammen aufging. Eine andere alte Kirche, die Johanniskirche, ist seit
langem baufällig. Den Bemühungen des derzeitigen Konservators der pommerschen
Baudenkmäler, des Geheimrath Hugo Lemcke, ist es gelungen, diesen ehrwürdigen
Bau trotz mancher triftiger Bedenken, die gegen seine Erhaltung bestehen,
vor dem Niederreißen zu bewahren. Vielleicht wäre es aber zweckmäßig, wenn
die preußische Negierung, die einen großen Teil der Schuld an der Zerstörung
der kirchlichen Baudenkmäler Stettins trägt, in diesem Falle davon absähe,
private Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie es geschehen ist, und selbst den
ganzen erforderlichen Fonds zur Erhaltung der Kirche hergäbe.

Eine trübe Erinnerung an einstige Herrlichkeit ist das alte gänzlich ver¬
unstaltete Rathaus auf dem Heumarkte. Auch das Schloß der Greifenherzöge,
das im sechzehnten Jahrhundert erbaut wurde, ist durch geringes Kunst¬
verständnis böse verschandelt worden.

In neuerer Zeit hat man wieder gut zu machen gesucht, was früher ver¬
säumt worden ist. Namentlich in den öffentlichen Bauten macht sich ein rühm¬
liches Streben nach künstlerischer Wirkung geltend. Auch die Denkmäler der
Stadt können sich sehen lassen. Neben dem herrlichen Friedrichsdenkmal auf
dem heutigen Königsplatze, das Schadow 1793 geschaffen hat (das Original
steht jetzt im Ständehause), kommt vornehmlich der von Manzel herrührende


Das Hamburg der Gstsee

der Stadt eine ganz erschreckende. Ungemein zweckdienlich war es daher, daß
man vor welligen Jahren ein Gesundheitsamt schuf.

Das Kapitel, das von den Bauten Stettins handelt, ist auch, mit Aus¬
nahme der öffentlichen Bauten der neuesten Zeit, recht unerfreulich. Es unter¬
liegt keinem Zweifel, daß Stettin die längste Zeit seines Bestehens eine merk¬
würdig enge und finstere Stadt gewesen ist. Als infolge der Beschießung der Stadt
durch den Großen Kurfürsten die eigenartigen nnttelalterlichen Bauwerke zumeist
vom Erdboden verschwunden waren, erwuchs jene nüchterne Stadt, deren Bild
jeden feiner empfindenden Menschen geradezu abstoßen mußte. Ein Lokalpoet
sang im Jahre 1734 zum Preise dieses Stadtbildes mit geradezu köstlicher
Naivität:

Die Verse haben in gewisser Beziehung bis in die neueste Zeit Geltung
behalten. Noch in den Jahrzehnten nach 1870 ist in banausischer Weise weiter
gebaut worden. Als Wilhelm von Humboldt 1796 nach Stettin kam, fällte
er das herbe, aber richtige Urteil: „Die Stadt sieht im ganzen unangenehm aus."

Wie bei wenigen der größeren Städte haben besonders die kirchlichen
Gebäude und Klöster unter der Unbill der Zeiten gelitten. Verschwunden ist
die stolze Marienkirche, die zuerst bei der Belagerung durch den Großen Kur¬
fürsten zugrunde ging und, als sie wieder aufgebaut war, im Jahre 1789 durch
Blitzschlag zerstört wurde. Verschwunden ist ferner die Pfarrkirche Se. Nikolai,
die während der Franzosenzeit im Jahre 1811, wo sie als Heumagazin diente,
in Flammen aufging. Eine andere alte Kirche, die Johanniskirche, ist seit
langem baufällig. Den Bemühungen des derzeitigen Konservators der pommerschen
Baudenkmäler, des Geheimrath Hugo Lemcke, ist es gelungen, diesen ehrwürdigen
Bau trotz mancher triftiger Bedenken, die gegen seine Erhaltung bestehen,
vor dem Niederreißen zu bewahren. Vielleicht wäre es aber zweckmäßig, wenn
die preußische Negierung, die einen großen Teil der Schuld an der Zerstörung
der kirchlichen Baudenkmäler Stettins trägt, in diesem Falle davon absähe,
private Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie es geschehen ist, und selbst den
ganzen erforderlichen Fonds zur Erhaltung der Kirche hergäbe.

Eine trübe Erinnerung an einstige Herrlichkeit ist das alte gänzlich ver¬
unstaltete Rathaus auf dem Heumarkte. Auch das Schloß der Greifenherzöge,
das im sechzehnten Jahrhundert erbaut wurde, ist durch geringes Kunst¬
verständnis böse verschandelt worden.

In neuerer Zeit hat man wieder gut zu machen gesucht, was früher ver¬
säumt worden ist. Namentlich in den öffentlichen Bauten macht sich ein rühm¬
liches Streben nach künstlerischer Wirkung geltend. Auch die Denkmäler der
Stadt können sich sehen lassen. Neben dem herrlichen Friedrichsdenkmal auf
dem heutigen Königsplatze, das Schadow 1793 geschaffen hat (das Original
steht jetzt im Ständehause), kommt vornehmlich der von Manzel herrührende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/131>, abgerufen am 03.07.2024.