Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wiener Brief

deukmales bei, dem Schauturnen der Soloth nur inoffiziell (worin er sich vom
Delegierten des russischen Unterrichtsministeriums unterschied, der offiziell dabei
war) und von Prag reiste er in den deutschen Böhmerwald, um offiziell den
Passionsspielen in Höritz anzuwohnen (was von deutscher Seite aber keineswegs
einem tschechischen Turnerfest gleichwertig erachtet wurde). Die Exzesse gegen
deutsche Studenten in Prag anläßlich des Sokolfestes gössen dann wieder neues
Öl auf die Lampe. Diese Exzesse wären zweifellos zu vermeiden gewesen,
wenn die Prager Polizei sich geschickter benommen und etwa der Statthalter
sich herbeigelassen hätte, sich mit den Rektoren der deutschen Hochschulen darüber
zu verständigen, wie sich Sokolfestzug und Studentenbummel nacheinander und
nicht nebeneinander auf dem Graben entfalten könnten. Denn daß man in
den führenden tschechischen Kreisen den Konflikt vermeiden wollte, steht fest;
daß er nicht weiteren Umfang gewann, zeugt übrigens dafür, wie bisher und
vielleicht in Zukunft wieder der Prager Mob ein stets verwendungsbereites
Requisit der tschechischen Politik ist, das diesmal gewissermaßen nur durch einen
Regierungsfehler in Tätigkeit trat.

Daß die Tschechen den Zusammenstoß mit den Deutschen vermeiden wollten,
hängt damit zusammen, daß es ihnen diesmal mit dem Ausgleich wirklich ernst
ist; und sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß sie für die Genugtuung, ein paar
deutsche Studenten geprügelt zu haben, Zugeständnisse machen müßten, die das
vorübergehende Vergnügen nicht wert ist. Über die Bedeutung des Ausgleichs
werde ich vielleicht noch Ausführlicheres sagen, wenn er wirklich abgeschlossen
ist. Soll er zustande kommen, so müssen die Tschechen zweifellos mehr geben
als sie erhalten; das kommt aber daher, daß sie sich zu Unrecht manches
angeeignet haben, was sie auf die Dauer nicht behaupten können. Dieser Besitz¬
stand, z. B. ihr Überwiegen in der Beamtenschaft, ist ihnen eben nicht verbrieft
und kann ihnen wieder entrissen werden, und so erscheint es ihnen zweckmäßiger,
sich mit den Deutschen friedlich auseinanderzusetzen. Außerdem ringt sich aber
die Erkenntnis bei ihnen mehr und mehr durch, daß Deutsche und Tschechen
sich raufen und die Polen dabei die lachenden Dritten sind. In reicher Fülle
gewährt jedes Budget dem Lande Galizien und dort natürlich vor allem den
Polen reiche Gaben, in die sich Deutsche und Tschechen friedlich teilen könnten.
Man kann sich denken, daß die Polen von dieser Aussicht nicht gerade entzückt
sind; schon im Jahre 1890 scheiterte der deutsch-tschechische Ausgleich nicht zuletzt
durch die Intrigen des damaligen polnischen Finanzministers Dunajewski. Zum
zweiten Male gelingt das Spiel nicht so leicht, und alle Wahrscheinlichkeit spricht
dafür, daß der böhmische Landtag noch im Laufe dieses Monats einberufen
wird, um die Ergebnisse der Ausgleichsverhandlungen -- es handelt sich ja
vorläufig nur um ein Teilergebnis -- durch gesetzliche Festlegung in Sicherheit
zu bringen.

Ist dies der Fall, dann stehen wir im Herbst bei Wiederbeginn der parla¬
mentarischen Arbeit einer ganz neuen Lage gegenüber, die mit der Notwendigkeit


wiener Brief

deukmales bei, dem Schauturnen der Soloth nur inoffiziell (worin er sich vom
Delegierten des russischen Unterrichtsministeriums unterschied, der offiziell dabei
war) und von Prag reiste er in den deutschen Böhmerwald, um offiziell den
Passionsspielen in Höritz anzuwohnen (was von deutscher Seite aber keineswegs
einem tschechischen Turnerfest gleichwertig erachtet wurde). Die Exzesse gegen
deutsche Studenten in Prag anläßlich des Sokolfestes gössen dann wieder neues
Öl auf die Lampe. Diese Exzesse wären zweifellos zu vermeiden gewesen,
wenn die Prager Polizei sich geschickter benommen und etwa der Statthalter
sich herbeigelassen hätte, sich mit den Rektoren der deutschen Hochschulen darüber
zu verständigen, wie sich Sokolfestzug und Studentenbummel nacheinander und
nicht nebeneinander auf dem Graben entfalten könnten. Denn daß man in
den führenden tschechischen Kreisen den Konflikt vermeiden wollte, steht fest;
daß er nicht weiteren Umfang gewann, zeugt übrigens dafür, wie bisher und
vielleicht in Zukunft wieder der Prager Mob ein stets verwendungsbereites
Requisit der tschechischen Politik ist, das diesmal gewissermaßen nur durch einen
Regierungsfehler in Tätigkeit trat.

Daß die Tschechen den Zusammenstoß mit den Deutschen vermeiden wollten,
hängt damit zusammen, daß es ihnen diesmal mit dem Ausgleich wirklich ernst
ist; und sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß sie für die Genugtuung, ein paar
deutsche Studenten geprügelt zu haben, Zugeständnisse machen müßten, die das
vorübergehende Vergnügen nicht wert ist. Über die Bedeutung des Ausgleichs
werde ich vielleicht noch Ausführlicheres sagen, wenn er wirklich abgeschlossen
ist. Soll er zustande kommen, so müssen die Tschechen zweifellos mehr geben
als sie erhalten; das kommt aber daher, daß sie sich zu Unrecht manches
angeeignet haben, was sie auf die Dauer nicht behaupten können. Dieser Besitz¬
stand, z. B. ihr Überwiegen in der Beamtenschaft, ist ihnen eben nicht verbrieft
und kann ihnen wieder entrissen werden, und so erscheint es ihnen zweckmäßiger,
sich mit den Deutschen friedlich auseinanderzusetzen. Außerdem ringt sich aber
die Erkenntnis bei ihnen mehr und mehr durch, daß Deutsche und Tschechen
sich raufen und die Polen dabei die lachenden Dritten sind. In reicher Fülle
gewährt jedes Budget dem Lande Galizien und dort natürlich vor allem den
Polen reiche Gaben, in die sich Deutsche und Tschechen friedlich teilen könnten.
Man kann sich denken, daß die Polen von dieser Aussicht nicht gerade entzückt
sind; schon im Jahre 1890 scheiterte der deutsch-tschechische Ausgleich nicht zuletzt
durch die Intrigen des damaligen polnischen Finanzministers Dunajewski. Zum
zweiten Male gelingt das Spiel nicht so leicht, und alle Wahrscheinlichkeit spricht
dafür, daß der böhmische Landtag noch im Laufe dieses Monats einberufen
wird, um die Ergebnisse der Ausgleichsverhandlungen — es handelt sich ja
vorläufig nur um ein Teilergebnis — durch gesetzliche Festlegung in Sicherheit
zu bringen.

Ist dies der Fall, dann stehen wir im Herbst bei Wiederbeginn der parla¬
mentarischen Arbeit einer ganz neuen Lage gegenüber, die mit der Notwendigkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321860"/>
          <fw type="header" place="top"> wiener Brief</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_402" prev="#ID_401"> deukmales bei, dem Schauturnen der Soloth nur inoffiziell (worin er sich vom<lb/>
Delegierten des russischen Unterrichtsministeriums unterschied, der offiziell dabei<lb/>
war) und von Prag reiste er in den deutschen Böhmerwald, um offiziell den<lb/>
Passionsspielen in Höritz anzuwohnen (was von deutscher Seite aber keineswegs<lb/>
einem tschechischen Turnerfest gleichwertig erachtet wurde). Die Exzesse gegen<lb/>
deutsche Studenten in Prag anläßlich des Sokolfestes gössen dann wieder neues<lb/>
Öl auf die Lampe. Diese Exzesse wären zweifellos zu vermeiden gewesen,<lb/>
wenn die Prager Polizei sich geschickter benommen und etwa der Statthalter<lb/>
sich herbeigelassen hätte, sich mit den Rektoren der deutschen Hochschulen darüber<lb/>
zu verständigen, wie sich Sokolfestzug und Studentenbummel nacheinander und<lb/>
nicht nebeneinander auf dem Graben entfalten könnten. Denn daß man in<lb/>
den führenden tschechischen Kreisen den Konflikt vermeiden wollte, steht fest;<lb/>
daß er nicht weiteren Umfang gewann, zeugt übrigens dafür, wie bisher und<lb/>
vielleicht in Zukunft wieder der Prager Mob ein stets verwendungsbereites<lb/>
Requisit der tschechischen Politik ist, das diesmal gewissermaßen nur durch einen<lb/>
Regierungsfehler in Tätigkeit trat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_403"> Daß die Tschechen den Zusammenstoß mit den Deutschen vermeiden wollten,<lb/>
hängt damit zusammen, daß es ihnen diesmal mit dem Ausgleich wirklich ernst<lb/>
ist; und sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß sie für die Genugtuung, ein paar<lb/>
deutsche Studenten geprügelt zu haben, Zugeständnisse machen müßten, die das<lb/>
vorübergehende Vergnügen nicht wert ist. Über die Bedeutung des Ausgleichs<lb/>
werde ich vielleicht noch Ausführlicheres sagen, wenn er wirklich abgeschlossen<lb/>
ist. Soll er zustande kommen, so müssen die Tschechen zweifellos mehr geben<lb/>
als sie erhalten; das kommt aber daher, daß sie sich zu Unrecht manches<lb/>
angeeignet haben, was sie auf die Dauer nicht behaupten können. Dieser Besitz¬<lb/>
stand, z. B. ihr Überwiegen in der Beamtenschaft, ist ihnen eben nicht verbrieft<lb/>
und kann ihnen wieder entrissen werden, und so erscheint es ihnen zweckmäßiger,<lb/>
sich mit den Deutschen friedlich auseinanderzusetzen. Außerdem ringt sich aber<lb/>
die Erkenntnis bei ihnen mehr und mehr durch, daß Deutsche und Tschechen<lb/>
sich raufen und die Polen dabei die lachenden Dritten sind. In reicher Fülle<lb/>
gewährt jedes Budget dem Lande Galizien und dort natürlich vor allem den<lb/>
Polen reiche Gaben, in die sich Deutsche und Tschechen friedlich teilen könnten.<lb/>
Man kann sich denken, daß die Polen von dieser Aussicht nicht gerade entzückt<lb/>
sind; schon im Jahre 1890 scheiterte der deutsch-tschechische Ausgleich nicht zuletzt<lb/>
durch die Intrigen des damaligen polnischen Finanzministers Dunajewski. Zum<lb/>
zweiten Male gelingt das Spiel nicht so leicht, und alle Wahrscheinlichkeit spricht<lb/>
dafür, daß der böhmische Landtag noch im Laufe dieses Monats einberufen<lb/>
wird, um die Ergebnisse der Ausgleichsverhandlungen &#x2014; es handelt sich ja<lb/>
vorläufig nur um ein Teilergebnis &#x2014; durch gesetzliche Festlegung in Sicherheit<lb/>
zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_404" next="#ID_405"> Ist dies der Fall, dann stehen wir im Herbst bei Wiederbeginn der parla¬<lb/>
mentarischen Arbeit einer ganz neuen Lage gegenüber, die mit der Notwendigkeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] wiener Brief deukmales bei, dem Schauturnen der Soloth nur inoffiziell (worin er sich vom Delegierten des russischen Unterrichtsministeriums unterschied, der offiziell dabei war) und von Prag reiste er in den deutschen Böhmerwald, um offiziell den Passionsspielen in Höritz anzuwohnen (was von deutscher Seite aber keineswegs einem tschechischen Turnerfest gleichwertig erachtet wurde). Die Exzesse gegen deutsche Studenten in Prag anläßlich des Sokolfestes gössen dann wieder neues Öl auf die Lampe. Diese Exzesse wären zweifellos zu vermeiden gewesen, wenn die Prager Polizei sich geschickter benommen und etwa der Statthalter sich herbeigelassen hätte, sich mit den Rektoren der deutschen Hochschulen darüber zu verständigen, wie sich Sokolfestzug und Studentenbummel nacheinander und nicht nebeneinander auf dem Graben entfalten könnten. Denn daß man in den führenden tschechischen Kreisen den Konflikt vermeiden wollte, steht fest; daß er nicht weiteren Umfang gewann, zeugt übrigens dafür, wie bisher und vielleicht in Zukunft wieder der Prager Mob ein stets verwendungsbereites Requisit der tschechischen Politik ist, das diesmal gewissermaßen nur durch einen Regierungsfehler in Tätigkeit trat. Daß die Tschechen den Zusammenstoß mit den Deutschen vermeiden wollten, hängt damit zusammen, daß es ihnen diesmal mit dem Ausgleich wirklich ernst ist; und sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß sie für die Genugtuung, ein paar deutsche Studenten geprügelt zu haben, Zugeständnisse machen müßten, die das vorübergehende Vergnügen nicht wert ist. Über die Bedeutung des Ausgleichs werde ich vielleicht noch Ausführlicheres sagen, wenn er wirklich abgeschlossen ist. Soll er zustande kommen, so müssen die Tschechen zweifellos mehr geben als sie erhalten; das kommt aber daher, daß sie sich zu Unrecht manches angeeignet haben, was sie auf die Dauer nicht behaupten können. Dieser Besitz¬ stand, z. B. ihr Überwiegen in der Beamtenschaft, ist ihnen eben nicht verbrieft und kann ihnen wieder entrissen werden, und so erscheint es ihnen zweckmäßiger, sich mit den Deutschen friedlich auseinanderzusetzen. Außerdem ringt sich aber die Erkenntnis bei ihnen mehr und mehr durch, daß Deutsche und Tschechen sich raufen und die Polen dabei die lachenden Dritten sind. In reicher Fülle gewährt jedes Budget dem Lande Galizien und dort natürlich vor allem den Polen reiche Gaben, in die sich Deutsche und Tschechen friedlich teilen könnten. Man kann sich denken, daß die Polen von dieser Aussicht nicht gerade entzückt sind; schon im Jahre 1890 scheiterte der deutsch-tschechische Ausgleich nicht zuletzt durch die Intrigen des damaligen polnischen Finanzministers Dunajewski. Zum zweiten Male gelingt das Spiel nicht so leicht, und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß der böhmische Landtag noch im Laufe dieses Monats einberufen wird, um die Ergebnisse der Ausgleichsverhandlungen — es handelt sich ja vorläufig nur um ein Teilergebnis — durch gesetzliche Festlegung in Sicherheit zu bringen. Ist dies der Fall, dann stehen wir im Herbst bei Wiederbeginn der parla¬ mentarischen Arbeit einer ganz neuen Lage gegenüber, die mit der Notwendigkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/113>, abgerufen am 03.07.2024.