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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Iviener Brief

Episode Ganthas, in der diese "bewährte Unfähigkeit" den Völkern Österreichs
eine Abschiedsvorstellung gab, wäre uns erspart geblieben. In gewisser Art
war die Abstimmung über die Wehrvorlagen wirklich eine Offenbarung: sie hat
gezeigt, daß man bei einigem festen Willen in Österreich, ebenso wie in Ungarn
wirklich noch alles Mögliche durchsetzen kann. Und bezeichnend genug: es kam
lediglich auf den Willen der Krone an. Der Kaiser wollte und hinter ihn:
stand der Thronfolger und wollte auch mit einer Energie, die vor dem Kaiser
den Altersunterschied von vierunddreißig Jahren und ein an sich stärkeres
Temperament voraus hat. Was die Regierung in Österreich an Tatkraft auf¬
brachte, war wahrhaftig nur der Widerschein des Willens an der höchsten Stelle;
und auch nur deshalb wurde dieser Wille beachtet. Bei der Regierung fehlten
denn auch nicht jene Rückfälle in die hier ortsüblichen Methoden, die etwas
Tragikomisches haben und an eine politische Kinderstube mahnen. Da war der
Zwischenfall mit den Ruthenen. Die dreißig Ruthenen drohten mit der Ob¬
struktion, weil ihre -- gewiß berechtigten -- Wünsche bezüglich der Errichtung
der ruthenischen Universität nicht erfüllt wurden. Sie taten es, weil sie vor
den Radikalen in ihrer eigenen Partei und vor ihren Wählern Angst hatten.
Aber sie hätten gewiß nachgegeben, wenn ihnen der Ministerpräsident nur mit
dem kaiserlichen Zorn gedroht hätte; so aber erlebte man das wunderliche
Schauspiel, wie der Stellvertreter des Ministerpräsidenten in jeder Rocktasche eine
Belobigung trägt, eine für die Polen und eine für die Ruthenen, und die für
die Polen zwei Stunden später anbringen kann als die für die Ruthenen, weil
die polnischen Abgeordneten offenbar keine Leidenschaft für Frühaufstehen haben.
Und wegen dieses Quarks kam es beinahe zu einer Ministerkrise. Freilich nur
insoweit Quark, als der Anlaß in Frage kommt; die Neigung nach einer Um¬
gestaltung des Ministeriums geht beim Polenklub tief genug. Dann hatte man
ein nettes Erlebnis bei der Frage der Dienstsprache der Landwehr. Es war
ausgemacht worden, daß die Vorlagen unverändert angenommen werden sollten
und keine Partei für sich dabei etwas herausschlagen dürfe. Aber die Katze kann
das Mausen doch nicht lassen; da kamen denn Tschechen, Polen usw. und
forderten, man möge die Erwähnung der Dienstsprache der Landwehr, die nach
der Vorlage die des gemeinsamen Heeres sein sollte, weglassen, und der Land¬
wehrminister Georgi, ein tapferer General, der gewiß im Kugelregen nicht mit
der Wimper zucken würde, bekam Angst, die Mehrheit für die Wehrvorlagen
ginge in die Brüche. Man macht sich keine Vorstellung davon, welches Quantum
an Angstgefühlen österreichische Minister aufbringen können; sie fürchten sich vor
ihrem eigenen Schatten. Hätte Georgi diese Angst nicht gehabt, so hätten die
Slawen natürlich ihren Antrag zurückgezogen. Dann kam die Tapferkeit beim
Minister wieder an der falschen Stelle heraus: im Herrenhaus bekannte er
seinen Fehler, daß er sich die Geschichte nicht früher überlegt und die Dienst¬
sprache überhaupt aus der Vorlage herausgelassen habe. Das Bekenntnis ehrte
ihn -- als Menschen.


Iviener Brief

Episode Ganthas, in der diese „bewährte Unfähigkeit" den Völkern Österreichs
eine Abschiedsvorstellung gab, wäre uns erspart geblieben. In gewisser Art
war die Abstimmung über die Wehrvorlagen wirklich eine Offenbarung: sie hat
gezeigt, daß man bei einigem festen Willen in Österreich, ebenso wie in Ungarn
wirklich noch alles Mögliche durchsetzen kann. Und bezeichnend genug: es kam
lediglich auf den Willen der Krone an. Der Kaiser wollte und hinter ihn:
stand der Thronfolger und wollte auch mit einer Energie, die vor dem Kaiser
den Altersunterschied von vierunddreißig Jahren und ein an sich stärkeres
Temperament voraus hat. Was die Regierung in Österreich an Tatkraft auf¬
brachte, war wahrhaftig nur der Widerschein des Willens an der höchsten Stelle;
und auch nur deshalb wurde dieser Wille beachtet. Bei der Regierung fehlten
denn auch nicht jene Rückfälle in die hier ortsüblichen Methoden, die etwas
Tragikomisches haben und an eine politische Kinderstube mahnen. Da war der
Zwischenfall mit den Ruthenen. Die dreißig Ruthenen drohten mit der Ob¬
struktion, weil ihre — gewiß berechtigten — Wünsche bezüglich der Errichtung
der ruthenischen Universität nicht erfüllt wurden. Sie taten es, weil sie vor
den Radikalen in ihrer eigenen Partei und vor ihren Wählern Angst hatten.
Aber sie hätten gewiß nachgegeben, wenn ihnen der Ministerpräsident nur mit
dem kaiserlichen Zorn gedroht hätte; so aber erlebte man das wunderliche
Schauspiel, wie der Stellvertreter des Ministerpräsidenten in jeder Rocktasche eine
Belobigung trägt, eine für die Polen und eine für die Ruthenen, und die für
die Polen zwei Stunden später anbringen kann als die für die Ruthenen, weil
die polnischen Abgeordneten offenbar keine Leidenschaft für Frühaufstehen haben.
Und wegen dieses Quarks kam es beinahe zu einer Ministerkrise. Freilich nur
insoweit Quark, als der Anlaß in Frage kommt; die Neigung nach einer Um¬
gestaltung des Ministeriums geht beim Polenklub tief genug. Dann hatte man
ein nettes Erlebnis bei der Frage der Dienstsprache der Landwehr. Es war
ausgemacht worden, daß die Vorlagen unverändert angenommen werden sollten
und keine Partei für sich dabei etwas herausschlagen dürfe. Aber die Katze kann
das Mausen doch nicht lassen; da kamen denn Tschechen, Polen usw. und
forderten, man möge die Erwähnung der Dienstsprache der Landwehr, die nach
der Vorlage die des gemeinsamen Heeres sein sollte, weglassen, und der Land¬
wehrminister Georgi, ein tapferer General, der gewiß im Kugelregen nicht mit
der Wimper zucken würde, bekam Angst, die Mehrheit für die Wehrvorlagen
ginge in die Brüche. Man macht sich keine Vorstellung davon, welches Quantum
an Angstgefühlen österreichische Minister aufbringen können; sie fürchten sich vor
ihrem eigenen Schatten. Hätte Georgi diese Angst nicht gehabt, so hätten die
Slawen natürlich ihren Antrag zurückgezogen. Dann kam die Tapferkeit beim
Minister wieder an der falschen Stelle heraus: im Herrenhaus bekannte er
seinen Fehler, daß er sich die Geschichte nicht früher überlegt und die Dienst¬
sprache überhaupt aus der Vorlage herausgelassen habe. Das Bekenntnis ehrte
ihn — als Menschen.


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[0111] Iviener Brief Episode Ganthas, in der diese „bewährte Unfähigkeit" den Völkern Österreichs eine Abschiedsvorstellung gab, wäre uns erspart geblieben. In gewisser Art war die Abstimmung über die Wehrvorlagen wirklich eine Offenbarung: sie hat gezeigt, daß man bei einigem festen Willen in Österreich, ebenso wie in Ungarn wirklich noch alles Mögliche durchsetzen kann. Und bezeichnend genug: es kam lediglich auf den Willen der Krone an. Der Kaiser wollte und hinter ihn: stand der Thronfolger und wollte auch mit einer Energie, die vor dem Kaiser den Altersunterschied von vierunddreißig Jahren und ein an sich stärkeres Temperament voraus hat. Was die Regierung in Österreich an Tatkraft auf¬ brachte, war wahrhaftig nur der Widerschein des Willens an der höchsten Stelle; und auch nur deshalb wurde dieser Wille beachtet. Bei der Regierung fehlten denn auch nicht jene Rückfälle in die hier ortsüblichen Methoden, die etwas Tragikomisches haben und an eine politische Kinderstube mahnen. Da war der Zwischenfall mit den Ruthenen. Die dreißig Ruthenen drohten mit der Ob¬ struktion, weil ihre — gewiß berechtigten — Wünsche bezüglich der Errichtung der ruthenischen Universität nicht erfüllt wurden. Sie taten es, weil sie vor den Radikalen in ihrer eigenen Partei und vor ihren Wählern Angst hatten. Aber sie hätten gewiß nachgegeben, wenn ihnen der Ministerpräsident nur mit dem kaiserlichen Zorn gedroht hätte; so aber erlebte man das wunderliche Schauspiel, wie der Stellvertreter des Ministerpräsidenten in jeder Rocktasche eine Belobigung trägt, eine für die Polen und eine für die Ruthenen, und die für die Polen zwei Stunden später anbringen kann als die für die Ruthenen, weil die polnischen Abgeordneten offenbar keine Leidenschaft für Frühaufstehen haben. Und wegen dieses Quarks kam es beinahe zu einer Ministerkrise. Freilich nur insoweit Quark, als der Anlaß in Frage kommt; die Neigung nach einer Um¬ gestaltung des Ministeriums geht beim Polenklub tief genug. Dann hatte man ein nettes Erlebnis bei der Frage der Dienstsprache der Landwehr. Es war ausgemacht worden, daß die Vorlagen unverändert angenommen werden sollten und keine Partei für sich dabei etwas herausschlagen dürfe. Aber die Katze kann das Mausen doch nicht lassen; da kamen denn Tschechen, Polen usw. und forderten, man möge die Erwähnung der Dienstsprache der Landwehr, die nach der Vorlage die des gemeinsamen Heeres sein sollte, weglassen, und der Land¬ wehrminister Georgi, ein tapferer General, der gewiß im Kugelregen nicht mit der Wimper zucken würde, bekam Angst, die Mehrheit für die Wehrvorlagen ginge in die Brüche. Man macht sich keine Vorstellung davon, welches Quantum an Angstgefühlen österreichische Minister aufbringen können; sie fürchten sich vor ihrem eigenen Schatten. Hätte Georgi diese Angst nicht gehabt, so hätten die Slawen natürlich ihren Antrag zurückgezogen. Dann kam die Tapferkeit beim Minister wieder an der falschen Stelle heraus: im Herrenhaus bekannte er seinen Fehler, daß er sich die Geschichte nicht früher überlegt und die Dienst¬ sprache überhaupt aus der Vorlage herausgelassen habe. Das Bekenntnis ehrte ihn — als Menschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/111>, abgerufen am 03.07.2024.