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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Theodor Montanes Briefe

an Karl Moor und die Seinen erinnernden Seeräubern". -- "Alles steht mir
fest, nur eine Kleinigkeit fehlt mir noch, das Wissen", bemerkt er bei der ersten
ausführlichen Erwähnung des Planes; spätere Berichte aber zeigen, wie er um
Ausfüllung dieser Lücke bemüht war: er wandte sich an verschiedene Kenner der
Epoche um historisches Material, vertiefte sich eifrig in dieses und begeisterte
sich für das Störtebekerlied. So mag er auch für seine anderen in der Ver¬
gangenheit angesiedelten Romane historische Studien großen Umfangs gemacht
haben, vor allem für "Vor dem Sturm". Von den vielfachen Nöten und
Bedrängnissen, die zur Entstehungszeit dieses Werkes des Dichters ständige
Begleiter waren, erfahren wir viel, er sagt uns aber auch, was bei diesen:
Roman sein Ziel war und welches Verdienst er für sich in Anspruch nahm.
"Das Buch", schreibt er an den Verleger, "tritt ein für Religion, Sitte, Vater¬
land, aber es ist voll Haß gegen die ,blaue Kornblume' und gegen Mit Gott
für König und Vaterland', will sagen: gegen die Phrasenhaftigkeit und gegen
die Karikatur jener Dreiheit. Ich darf sagen, ... daß ich etwas in diesen: Buch
niedergelegt habe, das sich weit über das herkömmliche Romanblech, nicht nur
in Deutschland, erhebt."

Was ist nun dieser hohe Vorzug, den Fontane dieser seiner Dichtung wie
in verstärktem Maße all seinen späteren Romanen zuerkannt wissen will? Er
ist nach dem von ihm selbst immer gebrauchten Ausdruck: Leben. Er will
die Zeit vor dem Sturm schildern, nicht wie sie nach patriotischen Büchern
gewesen sein soll, sondern wie sie war. Ebenso ist es mit den Schilderungen
aus der Gegenwart; nicht konstruierte Nomantypen, nicht überkluge und über¬
witzige Reden will er in seinen Werken vorführen, sondern Leute, wie sie jeden
Tag in den Straßen Berlins herumgehen und die reden wie ihnen der Schnabel
-- und wenn es ein hocharistokratischer Schnabel wäre -- gewachsen ist. Die
Forderung kleinlichster Treue in diesem Realismus verwirft er: "Es ist gleich¬
gültig, ob ein Ortskundiger einwendet: Wenn man vom Anhaltischen Bahnhof
nach dem Zoologischen fährt, kommt man bei der und der Tabagie nicht vorbei."
Er ist zufrieden, "wenn man nur den Totaleindruck hat: Ja, das ist Leben."
Vor allem erhebt er diese Forderung in bezug auf die Dialogführung, in der er
sich besonderes Geschick zuerkennt.

Dies ästhetische Selbstbekenntnis mußte Fontaine in scharfen Gegensatz zu
den Vertretern der älteren Theorie des Romans bringen, vor allem zu der
Produktion Paul Hevses, aber auch zu Spielhagens älteren Werken. Der erstere,
sein Freund von alten Zeiten her, hat denn auch bisweilen gezögert, das, was
Fontane in dieser Richtung hervorbrachte, als Kunstwerk invollem Sinne zubezeichnen.
Demgegenüber betont Fontane immer wieder, wie sehr er sich bei all seiner
Produktion als Künstler fühle, nicht in dem Sinn freilich, daß er das Recht zu
einer geniemäßigen Ungebundenheit und zu einem Gefühl der Erhabenheit über
gewöhnliche Sterbliche daraus abgeleitet hätte. Er verachtete die Anmaßung der
Künstlerwelt, "daß ein Dichter, ein Maler und überhaupt ein Künstler etwas


Theodor Montanes Briefe

an Karl Moor und die Seinen erinnernden Seeräubern". — „Alles steht mir
fest, nur eine Kleinigkeit fehlt mir noch, das Wissen", bemerkt er bei der ersten
ausführlichen Erwähnung des Planes; spätere Berichte aber zeigen, wie er um
Ausfüllung dieser Lücke bemüht war: er wandte sich an verschiedene Kenner der
Epoche um historisches Material, vertiefte sich eifrig in dieses und begeisterte
sich für das Störtebekerlied. So mag er auch für seine anderen in der Ver¬
gangenheit angesiedelten Romane historische Studien großen Umfangs gemacht
haben, vor allem für „Vor dem Sturm". Von den vielfachen Nöten und
Bedrängnissen, die zur Entstehungszeit dieses Werkes des Dichters ständige
Begleiter waren, erfahren wir viel, er sagt uns aber auch, was bei diesen:
Roman sein Ziel war und welches Verdienst er für sich in Anspruch nahm.
„Das Buch", schreibt er an den Verleger, „tritt ein für Religion, Sitte, Vater¬
land, aber es ist voll Haß gegen die ,blaue Kornblume' und gegen Mit Gott
für König und Vaterland', will sagen: gegen die Phrasenhaftigkeit und gegen
die Karikatur jener Dreiheit. Ich darf sagen, ... daß ich etwas in diesen: Buch
niedergelegt habe, das sich weit über das herkömmliche Romanblech, nicht nur
in Deutschland, erhebt."

Was ist nun dieser hohe Vorzug, den Fontane dieser seiner Dichtung wie
in verstärktem Maße all seinen späteren Romanen zuerkannt wissen will? Er
ist nach dem von ihm selbst immer gebrauchten Ausdruck: Leben. Er will
die Zeit vor dem Sturm schildern, nicht wie sie nach patriotischen Büchern
gewesen sein soll, sondern wie sie war. Ebenso ist es mit den Schilderungen
aus der Gegenwart; nicht konstruierte Nomantypen, nicht überkluge und über¬
witzige Reden will er in seinen Werken vorführen, sondern Leute, wie sie jeden
Tag in den Straßen Berlins herumgehen und die reden wie ihnen der Schnabel
— und wenn es ein hocharistokratischer Schnabel wäre — gewachsen ist. Die
Forderung kleinlichster Treue in diesem Realismus verwirft er: „Es ist gleich¬
gültig, ob ein Ortskundiger einwendet: Wenn man vom Anhaltischen Bahnhof
nach dem Zoologischen fährt, kommt man bei der und der Tabagie nicht vorbei."
Er ist zufrieden, „wenn man nur den Totaleindruck hat: Ja, das ist Leben."
Vor allem erhebt er diese Forderung in bezug auf die Dialogführung, in der er
sich besonderes Geschick zuerkennt.

Dies ästhetische Selbstbekenntnis mußte Fontaine in scharfen Gegensatz zu
den Vertretern der älteren Theorie des Romans bringen, vor allem zu der
Produktion Paul Hevses, aber auch zu Spielhagens älteren Werken. Der erstere,
sein Freund von alten Zeiten her, hat denn auch bisweilen gezögert, das, was
Fontane in dieser Richtung hervorbrachte, als Kunstwerk invollem Sinne zubezeichnen.
Demgegenüber betont Fontane immer wieder, wie sehr er sich bei all seiner
Produktion als Künstler fühle, nicht in dem Sinn freilich, daß er das Recht zu
einer geniemäßigen Ungebundenheit und zu einem Gefühl der Erhabenheit über
gewöhnliche Sterbliche daraus abgeleitet hätte. Er verachtete die Anmaßung der
Künstlerwelt, „daß ein Dichter, ein Maler und überhaupt ein Künstler etwas


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[0099] Theodor Montanes Briefe an Karl Moor und die Seinen erinnernden Seeräubern". — „Alles steht mir fest, nur eine Kleinigkeit fehlt mir noch, das Wissen", bemerkt er bei der ersten ausführlichen Erwähnung des Planes; spätere Berichte aber zeigen, wie er um Ausfüllung dieser Lücke bemüht war: er wandte sich an verschiedene Kenner der Epoche um historisches Material, vertiefte sich eifrig in dieses und begeisterte sich für das Störtebekerlied. So mag er auch für seine anderen in der Ver¬ gangenheit angesiedelten Romane historische Studien großen Umfangs gemacht haben, vor allem für „Vor dem Sturm". Von den vielfachen Nöten und Bedrängnissen, die zur Entstehungszeit dieses Werkes des Dichters ständige Begleiter waren, erfahren wir viel, er sagt uns aber auch, was bei diesen: Roman sein Ziel war und welches Verdienst er für sich in Anspruch nahm. „Das Buch", schreibt er an den Verleger, „tritt ein für Religion, Sitte, Vater¬ land, aber es ist voll Haß gegen die ,blaue Kornblume' und gegen Mit Gott für König und Vaterland', will sagen: gegen die Phrasenhaftigkeit und gegen die Karikatur jener Dreiheit. Ich darf sagen, ... daß ich etwas in diesen: Buch niedergelegt habe, das sich weit über das herkömmliche Romanblech, nicht nur in Deutschland, erhebt." Was ist nun dieser hohe Vorzug, den Fontane dieser seiner Dichtung wie in verstärktem Maße all seinen späteren Romanen zuerkannt wissen will? Er ist nach dem von ihm selbst immer gebrauchten Ausdruck: Leben. Er will die Zeit vor dem Sturm schildern, nicht wie sie nach patriotischen Büchern gewesen sein soll, sondern wie sie war. Ebenso ist es mit den Schilderungen aus der Gegenwart; nicht konstruierte Nomantypen, nicht überkluge und über¬ witzige Reden will er in seinen Werken vorführen, sondern Leute, wie sie jeden Tag in den Straßen Berlins herumgehen und die reden wie ihnen der Schnabel — und wenn es ein hocharistokratischer Schnabel wäre — gewachsen ist. Die Forderung kleinlichster Treue in diesem Realismus verwirft er: „Es ist gleich¬ gültig, ob ein Ortskundiger einwendet: Wenn man vom Anhaltischen Bahnhof nach dem Zoologischen fährt, kommt man bei der und der Tabagie nicht vorbei." Er ist zufrieden, „wenn man nur den Totaleindruck hat: Ja, das ist Leben." Vor allem erhebt er diese Forderung in bezug auf die Dialogführung, in der er sich besonderes Geschick zuerkennt. Dies ästhetische Selbstbekenntnis mußte Fontaine in scharfen Gegensatz zu den Vertretern der älteren Theorie des Romans bringen, vor allem zu der Produktion Paul Hevses, aber auch zu Spielhagens älteren Werken. Der erstere, sein Freund von alten Zeiten her, hat denn auch bisweilen gezögert, das, was Fontane in dieser Richtung hervorbrachte, als Kunstwerk invollem Sinne zubezeichnen. Demgegenüber betont Fontane immer wieder, wie sehr er sich bei all seiner Produktion als Künstler fühle, nicht in dem Sinn freilich, daß er das Recht zu einer geniemäßigen Ungebundenheit und zu einem Gefühl der Erhabenheit über gewöhnliche Sterbliche daraus abgeleitet hätte. Er verachtete die Anmaßung der Künstlerwelt, „daß ein Dichter, ein Maler und überhaupt ein Künstler etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/99>, abgerufen am 28.09.2024.