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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Theodor Montanes Briefe

die seine Umgebung oder das Leben an ihn stellten, abzufinden, und verurteilte
diejenigen, die ihren Kops überall durchzusetzen trachten und ihn dabei überall
anstoßen: "Ich bin nun 'mal für Frieden und Kompromisse. Wer diese Kunst
nicht kennt, vielleicht nicht kennen will, solch ein Orlando wrioso und Charakter-
satzke kann sich begraben lassen."

Wenn er sich in jenem Fall mit seinen Vorgesetzten nicht stellen konnte,
so war gewiß nicht mangelnde Arbeitslust oder verträumte Poetenfaulenzerei
auf seiner Seite schuld; wir haben im Gegenteil in Fontane einen der fleißigsten
und in ihrer Arbeitskraft zähesten unserer neueren Schriftsteller zu bewundern.
Sein früherer "Gistmischerberuf" war für den späteren nicht die richtige Vor¬
bildung gewesen. Um so eifriger bemühte er sich, seine Werke auf volle schrift¬
stellerische Höhe zu bringen. Daß er sie nicht geniemäßig hinschleuderte, sondern
oft mit dem Ausdruck rang und auf die äußere Form, in der seine Bücher
vor das Publikum traten, höchsten Wert legte, zeigt seine Notiz, daß er wohl
dreiviertel seiner Zeit mit Feilen und Korrigieren zuzubringen pflege.

Äußerungen über die eigene Produktion finden sich in größerem Umfange
vor im zweiten Band der zweiten Sammlung und erlauben trotz ihrer relativen
Spärlichkeit manchen fesselnden Einblick in die Entwicklungsgeschichte dieses oder
jenes Werkes. So kann man sich bei einer Übersicht über allenfalls zu wählende
Titel für die Schach von Wuthenownovelle (1806 -- IZt all8sipati sunt -- Vor
Jena -- Gezählt, gewogen und hinweggetan -- Vor dein Niedergang) von
neuem überzeugen und freuen, daß das Schlichte und Anspruchslose noch bei der
bloßen Betitelung eines Werkes in Montanes Geschmack über das Markt¬
schreierische immer den Sieg davontrug. Für manche Romane lernen wir die
stofflichen Keime kennen, die dem Dichter zuflogen, und staunen über die geringe
Verhüllung, in der er fremdes Gut aufnahm: die Geschichte Jnstettens ist einem
zur Zeit der Abfassung von "Effi Briefe" noch aktiven Obersten passiert, und
dieser wurde von Kennern der Verhältnisse in dem betrogenen Gatten des
Romans sofort wiedererkannt. Einer befreundeten Dame verdankt der Dichter
die Mitteilung einer wahren Begebenheit, die Punkt für Punkt der Handlung
von "Unwiederbringlich" entspricht, und in der dies Wort auch schon mit
besonderem Nachdruck als Abschiedsgruß der vom Leben scheidenden neugefrciten
Gattin hervorgehoben wird. Man sieht von neuem -- wie bei den ihrem Sujet
nach Fontane ganz selbständig zugehörenden Romanen --, daß äußere Erfindung
nicht seine stärkste Seite war und daß er sich freute, einen Stoff zu finden, zu
dem nur noch psychologische Feinarbeit zu leisten, nicht mehr das Gerüst zurecht-
zuzimmern war. Angesichts dieser Erscheinung ist es fraglich, ob er für die
Ausführung eines hochinteressanter, stofflich wie psychologisch gleich anspruchs¬
vollen Romanentwurfs, mit dem er sich lange trug, der rechte Mann gewesen
wäre; die historische Erzählung "Die Likedeeler", um 1400 spielend, sollte "eine
Aussöhnung sein zwischen seinem ältesten und romantischsten Balladenstil und
seiner modernsten realistischen Nomanschrciberei", ihre Helden "eine Gruppe von


Theodor Montanes Briefe

die seine Umgebung oder das Leben an ihn stellten, abzufinden, und verurteilte
diejenigen, die ihren Kops überall durchzusetzen trachten und ihn dabei überall
anstoßen: „Ich bin nun 'mal für Frieden und Kompromisse. Wer diese Kunst
nicht kennt, vielleicht nicht kennen will, solch ein Orlando wrioso und Charakter-
satzke kann sich begraben lassen."

Wenn er sich in jenem Fall mit seinen Vorgesetzten nicht stellen konnte,
so war gewiß nicht mangelnde Arbeitslust oder verträumte Poetenfaulenzerei
auf seiner Seite schuld; wir haben im Gegenteil in Fontane einen der fleißigsten
und in ihrer Arbeitskraft zähesten unserer neueren Schriftsteller zu bewundern.
Sein früherer „Gistmischerberuf" war für den späteren nicht die richtige Vor¬
bildung gewesen. Um so eifriger bemühte er sich, seine Werke auf volle schrift¬
stellerische Höhe zu bringen. Daß er sie nicht geniemäßig hinschleuderte, sondern
oft mit dem Ausdruck rang und auf die äußere Form, in der seine Bücher
vor das Publikum traten, höchsten Wert legte, zeigt seine Notiz, daß er wohl
dreiviertel seiner Zeit mit Feilen und Korrigieren zuzubringen pflege.

Äußerungen über die eigene Produktion finden sich in größerem Umfange
vor im zweiten Band der zweiten Sammlung und erlauben trotz ihrer relativen
Spärlichkeit manchen fesselnden Einblick in die Entwicklungsgeschichte dieses oder
jenes Werkes. So kann man sich bei einer Übersicht über allenfalls zu wählende
Titel für die Schach von Wuthenownovelle (1806 — IZt all8sipati sunt — Vor
Jena — Gezählt, gewogen und hinweggetan — Vor dein Niedergang) von
neuem überzeugen und freuen, daß das Schlichte und Anspruchslose noch bei der
bloßen Betitelung eines Werkes in Montanes Geschmack über das Markt¬
schreierische immer den Sieg davontrug. Für manche Romane lernen wir die
stofflichen Keime kennen, die dem Dichter zuflogen, und staunen über die geringe
Verhüllung, in der er fremdes Gut aufnahm: die Geschichte Jnstettens ist einem
zur Zeit der Abfassung von „Effi Briefe" noch aktiven Obersten passiert, und
dieser wurde von Kennern der Verhältnisse in dem betrogenen Gatten des
Romans sofort wiedererkannt. Einer befreundeten Dame verdankt der Dichter
die Mitteilung einer wahren Begebenheit, die Punkt für Punkt der Handlung
von „Unwiederbringlich" entspricht, und in der dies Wort auch schon mit
besonderem Nachdruck als Abschiedsgruß der vom Leben scheidenden neugefrciten
Gattin hervorgehoben wird. Man sieht von neuem — wie bei den ihrem Sujet
nach Fontane ganz selbständig zugehörenden Romanen —, daß äußere Erfindung
nicht seine stärkste Seite war und daß er sich freute, einen Stoff zu finden, zu
dem nur noch psychologische Feinarbeit zu leisten, nicht mehr das Gerüst zurecht-
zuzimmern war. Angesichts dieser Erscheinung ist es fraglich, ob er für die
Ausführung eines hochinteressanter, stofflich wie psychologisch gleich anspruchs¬
vollen Romanentwurfs, mit dem er sich lange trug, der rechte Mann gewesen
wäre; die historische Erzählung „Die Likedeeler", um 1400 spielend, sollte „eine
Aussöhnung sein zwischen seinem ältesten und romantischsten Balladenstil und
seiner modernsten realistischen Nomanschrciberei", ihre Helden „eine Gruppe von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/98>, abgerufen am 23.07.2024.