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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Theodor Fouianes Briefe

Besonderes sei, während die ganze Gesellschaft auf der niedrigsten Stufe steht,
so niedrig, daß die meisten übergelegt werden müßten". Was ihn nach seiner
Meinung zum Künstler stempelte, war die Art und Weise, wie er die Dinge
anzusehen und darzustellen pflegte und vermochte. Nicht nur in seiner belle¬
tristischen Produktion, auch z. B. bei seinen Kriegswerken, seinen Büchern über
England u. a. bezeichnet er dem Verleger gegenüber dieses Künstlerische der
Auffassung und der Wiedergabe des Geschauten als den Hauptvorzug. Und in der
Tat ist er auch Künstler in den häufigen Schilderungen von Land und Leuten,
die seine Briefe enthalten.

In der Fähigkeit so schreiben zu können, erblickt er seine schriftstellerische
Beglaubigung. Aber gerade diese Seite seiner Tätigkeit schien ihm von der
Kritik immer verkannt und übersehen. Man kann an ihm ausstellen, was
man will, wenn man nur die künstlerische Höhe im allgemeine:, anerkennt. Er
versichert oft, er sei gegen Tadel, "selbst gegen starken und seinein Gefühl nach
ungerechten Tadel", gar nicht empfindlich. "Nur Nichtachtung kränkt mich tief.
Wird dem Buche und seinem Verfasser Existenzberechtigung zugesprochen, wird
in der Hauptsache eine Kraft anerkannt, so genügt das völlig. Nur unter die
Masse geworfen zu werden, unter der zwölf auf ein Dutzend gehen, ist mehr
als meine Geduld aushält." Auch zu eigener Ausübung des kritischen Berufes
fühlt er sich vor allem in seiner Eigenschaft als Künstler berufen. Seine
Berechtigung zu diesen: Metier "ruht auf einem," so schreibt er, "was mir der
Himmel mit in die Wiege gelegt hat: Feinfühligkeit künstlerischen Dingen gegen¬
über. An diese meine Eigenschaft hab' ich einen festen Glauben. Hätt' ich ihn
nicht, so legte ich noch heute die Feder als Kritiker nieder". Vollster Subjektivis¬
mus herrscht dann noch in seinen sämtlichen Kritiken, zu denen die Briefe manchen
interessanten Nachtrag liefern. Er darf versichern, daß ihm "Literaturheroentum
und Namenkult" fremd sind, in der Beurteilung von Schriftstellern ebenso wie
in der von Schauspielern. Er verwirft die Ziegler auf der ganzen Linie und
hat die kritiklose Berliner Matkowskyoerherrlichung nie mitgemacht. Ibsens
dichterische Kunst imponiert ihm von Anfang an, er hält ihn "für einen großen,
epochemachenden Kerl," aber gerade mit der Wahrheit seiner Dramen, "von
der jetzt jeder quatscht," kaun ihm der ehemalige Giftmischerkollege "gestohlen
werden." -- "Die bewunderte Nora ist die größte Quatschliese -- anderwärts
nennt er sie Schafsliese -- die je von der Bühne herab zum Publikum gesprochen
hat." Freudig tritt er für die neue Richtung im deutschen Drama ein; vor
allem für Hauptmann -- dessen "Friedensfest" ihm gewidmet ist --, kämpft er
Schulter an Schulter mit Brahm und Schlenther. Bei all seiner Überzeugung von
seiner Berufenheit zum Kritiker ist er aber mit seinen Leistungen auf diesem
Gebiete nicht so ganz zufrieden. Eine starke Hochschätzung und wohl auch Über¬
schätzung gefälliger journalistischer Plauder- und Unterhaltungskunst läßt sich vielen
Briefsteller entnehmen. So huldigt er Ludwig Pietsch oftmals auf die
schmeichelhafteste Weise, nicht ohne sich einer leisen Neidesregung bei der Lektüre


Theodor Fouianes Briefe

Besonderes sei, während die ganze Gesellschaft auf der niedrigsten Stufe steht,
so niedrig, daß die meisten übergelegt werden müßten". Was ihn nach seiner
Meinung zum Künstler stempelte, war die Art und Weise, wie er die Dinge
anzusehen und darzustellen pflegte und vermochte. Nicht nur in seiner belle¬
tristischen Produktion, auch z. B. bei seinen Kriegswerken, seinen Büchern über
England u. a. bezeichnet er dem Verleger gegenüber dieses Künstlerische der
Auffassung und der Wiedergabe des Geschauten als den Hauptvorzug. Und in der
Tat ist er auch Künstler in den häufigen Schilderungen von Land und Leuten,
die seine Briefe enthalten.

In der Fähigkeit so schreiben zu können, erblickt er seine schriftstellerische
Beglaubigung. Aber gerade diese Seite seiner Tätigkeit schien ihm von der
Kritik immer verkannt und übersehen. Man kann an ihm ausstellen, was
man will, wenn man nur die künstlerische Höhe im allgemeine:, anerkennt. Er
versichert oft, er sei gegen Tadel, „selbst gegen starken und seinein Gefühl nach
ungerechten Tadel", gar nicht empfindlich. „Nur Nichtachtung kränkt mich tief.
Wird dem Buche und seinem Verfasser Existenzberechtigung zugesprochen, wird
in der Hauptsache eine Kraft anerkannt, so genügt das völlig. Nur unter die
Masse geworfen zu werden, unter der zwölf auf ein Dutzend gehen, ist mehr
als meine Geduld aushält." Auch zu eigener Ausübung des kritischen Berufes
fühlt er sich vor allem in seiner Eigenschaft als Künstler berufen. Seine
Berechtigung zu diesen: Metier „ruht auf einem," so schreibt er, „was mir der
Himmel mit in die Wiege gelegt hat: Feinfühligkeit künstlerischen Dingen gegen¬
über. An diese meine Eigenschaft hab' ich einen festen Glauben. Hätt' ich ihn
nicht, so legte ich noch heute die Feder als Kritiker nieder". Vollster Subjektivis¬
mus herrscht dann noch in seinen sämtlichen Kritiken, zu denen die Briefe manchen
interessanten Nachtrag liefern. Er darf versichern, daß ihm „Literaturheroentum
und Namenkult" fremd sind, in der Beurteilung von Schriftstellern ebenso wie
in der von Schauspielern. Er verwirft die Ziegler auf der ganzen Linie und
hat die kritiklose Berliner Matkowskyoerherrlichung nie mitgemacht. Ibsens
dichterische Kunst imponiert ihm von Anfang an, er hält ihn „für einen großen,
epochemachenden Kerl," aber gerade mit der Wahrheit seiner Dramen, „von
der jetzt jeder quatscht," kaun ihm der ehemalige Giftmischerkollege „gestohlen
werden." — „Die bewunderte Nora ist die größte Quatschliese — anderwärts
nennt er sie Schafsliese — die je von der Bühne herab zum Publikum gesprochen
hat." Freudig tritt er für die neue Richtung im deutschen Drama ein; vor
allem für Hauptmann — dessen „Friedensfest" ihm gewidmet ist —, kämpft er
Schulter an Schulter mit Brahm und Schlenther. Bei all seiner Überzeugung von
seiner Berufenheit zum Kritiker ist er aber mit seinen Leistungen auf diesem
Gebiete nicht so ganz zufrieden. Eine starke Hochschätzung und wohl auch Über¬
schätzung gefälliger journalistischer Plauder- und Unterhaltungskunst läßt sich vielen
Briefsteller entnehmen. So huldigt er Ludwig Pietsch oftmals auf die
schmeichelhafteste Weise, nicht ohne sich einer leisen Neidesregung bei der Lektüre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/100>, abgerufen am 26.06.2024.