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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Amerika den Amerikanern!"

Die Monroedoktrin -- die alte sowohl wie die neue -- ist unregelmäßig
und nur dann angewendet worden, wenn es gerade tunlich oder zweckmäßig
erschien.

Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen, sich mit den neu-amerikanischen
Politikern auseinanderzusetzen und sie zu fragen, wie sie es wagen können, ihre
Bestrebungen unter der Flagge der alten Monroedoktrin segeln zu lassen. Um
ihnen mildernde Umstände für ihre Rabulistik und bis ans Böswillige grenzende
Verdrehung der Tatsachen zu geben, müßte man sie zuerst fragen, mit welchem
Recht die Vereinigten Staaten die ihnen von Monroe vorgeschriebene Politik
der Isolierung aufgegeben haben. Herrschte Landmangel, Übervölkerung und
ein hierdurch hervorgerufener berechtigter Expansionsdrang? Nein; Amerika
kann noch auf Jahrzehnte hinaus alle Produkte, deren seine Bevölkerung bedarf,
selbst erzeugen: nach vorsichtigen Schätzungen kann es zweihundert Millionen
Menschen ernähren*). Es ist eines der wenigen Länder, das innerhalb seiner
Landesgrenzen alle erforderlichen Rohprodukte, Mineralien, nicht nur besitzt,
sondern auch verarbeiten und verbrauchen kann. Ein innerer Grund für eine
Expansionspolitik liegt also nicht vor. Diese entspringt vielmehr lediglich rein
äußerlichen Motiven des Ehrgeizes, der Habsucht, der Großmannssucht -- mit
einen: Wort: imperialistischen Motiven.

So, wie sich die Monroedoktrin jetzt im Munde des modernen amerikanischen
Staatsmannes darstellt, ist sie nichts als ein Hohn, eine Unverschämtheit**).
Denn man hat sie nach zwei Richtungen hin erweitert:

Das Gebiet, das der Einmischung fremder Nationen entzogen ist, wird,
je nach den Bedürfnissen des Imperialismus, erweitert: es wird unbedenklich
auf Südamerika. Westindien, Hawai, die Philippinen erstreckt -- das ist der
heutige Status -- und ist unbegrenzt erweiterungsfähig.

Das selbstverständliche und von Monroe auch ausgesprochene Äquivalent
für das: "Amerika den Amerikanern!" nämlich: "Amerika enthält sich auch
seinerseits aller Einmischungen in die Angelegenheiten fremder Länder" --
diese selbstverständliche Einschränkung ist weggefallen und gibt den Amerikanern
nunmehr die theoretische Berechtigung sich ihrerseits an den Angelegenheiten
fremder Länder zu beteiligen.---

Dies also ist der gegenwärtige Stand der Monroedoktrin: auf der einen
Seite wird nicht nur jeder Eingriff einer fremden Macht in die Angelegenheiten
der Vereinigten Staaten -- das wäre berechtigt und nur selbstverständlich --
als eine unfreundliche Handlung betrachtet, sondern auch jede Einwirkung auf




") Ellis Barker in seinem Artikel I^orei, American or impensl reciproeit/ ston
"iZntl^ Keview, Juni 1911, S. 1036) zitiert sogar eine Schätzung auf 660 Millionen.
**) Mit dem Wort "Unverschämtheit" soll much Bismarck -- nach einem Artikel der
.Kreuzzeitung vom 16. November 1911 (Ur. S39) "Das Kriegs- und Friedensproblem in
Amerika" -- die Monroedoktrin bezeichnet haben.
Amerika den Amerikanern!"

Die Monroedoktrin — die alte sowohl wie die neue — ist unregelmäßig
und nur dann angewendet worden, wenn es gerade tunlich oder zweckmäßig
erschien.

Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen, sich mit den neu-amerikanischen
Politikern auseinanderzusetzen und sie zu fragen, wie sie es wagen können, ihre
Bestrebungen unter der Flagge der alten Monroedoktrin segeln zu lassen. Um
ihnen mildernde Umstände für ihre Rabulistik und bis ans Böswillige grenzende
Verdrehung der Tatsachen zu geben, müßte man sie zuerst fragen, mit welchem
Recht die Vereinigten Staaten die ihnen von Monroe vorgeschriebene Politik
der Isolierung aufgegeben haben. Herrschte Landmangel, Übervölkerung und
ein hierdurch hervorgerufener berechtigter Expansionsdrang? Nein; Amerika
kann noch auf Jahrzehnte hinaus alle Produkte, deren seine Bevölkerung bedarf,
selbst erzeugen: nach vorsichtigen Schätzungen kann es zweihundert Millionen
Menschen ernähren*). Es ist eines der wenigen Länder, das innerhalb seiner
Landesgrenzen alle erforderlichen Rohprodukte, Mineralien, nicht nur besitzt,
sondern auch verarbeiten und verbrauchen kann. Ein innerer Grund für eine
Expansionspolitik liegt also nicht vor. Diese entspringt vielmehr lediglich rein
äußerlichen Motiven des Ehrgeizes, der Habsucht, der Großmannssucht — mit
einen: Wort: imperialistischen Motiven.

So, wie sich die Monroedoktrin jetzt im Munde des modernen amerikanischen
Staatsmannes darstellt, ist sie nichts als ein Hohn, eine Unverschämtheit**).
Denn man hat sie nach zwei Richtungen hin erweitert:

Das Gebiet, das der Einmischung fremder Nationen entzogen ist, wird,
je nach den Bedürfnissen des Imperialismus, erweitert: es wird unbedenklich
auf Südamerika. Westindien, Hawai, die Philippinen erstreckt — das ist der
heutige Status — und ist unbegrenzt erweiterungsfähig.

Das selbstverständliche und von Monroe auch ausgesprochene Äquivalent
für das: „Amerika den Amerikanern!" nämlich: „Amerika enthält sich auch
seinerseits aller Einmischungen in die Angelegenheiten fremder Länder" —
diese selbstverständliche Einschränkung ist weggefallen und gibt den Amerikanern
nunmehr die theoretische Berechtigung sich ihrerseits an den Angelegenheiten
fremder Länder zu beteiligen.---

Dies also ist der gegenwärtige Stand der Monroedoktrin: auf der einen
Seite wird nicht nur jeder Eingriff einer fremden Macht in die Angelegenheiten
der Vereinigten Staaten — das wäre berechtigt und nur selbstverständlich —
als eine unfreundliche Handlung betrachtet, sondern auch jede Einwirkung auf




") Ellis Barker in seinem Artikel I^orei, American or impensl reciproeit/ ston
»iZntl^ Keview, Juni 1911, S. 1036) zitiert sogar eine Schätzung auf 660 Millionen.
**) Mit dem Wort „Unverschämtheit" soll much Bismarck — nach einem Artikel der
.Kreuzzeitung vom 16. November 1911 (Ur. S39) „Das Kriegs- und Friedensproblem in
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[0081] Amerika den Amerikanern!" Die Monroedoktrin — die alte sowohl wie die neue — ist unregelmäßig und nur dann angewendet worden, wenn es gerade tunlich oder zweckmäßig erschien. Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen, sich mit den neu-amerikanischen Politikern auseinanderzusetzen und sie zu fragen, wie sie es wagen können, ihre Bestrebungen unter der Flagge der alten Monroedoktrin segeln zu lassen. Um ihnen mildernde Umstände für ihre Rabulistik und bis ans Böswillige grenzende Verdrehung der Tatsachen zu geben, müßte man sie zuerst fragen, mit welchem Recht die Vereinigten Staaten die ihnen von Monroe vorgeschriebene Politik der Isolierung aufgegeben haben. Herrschte Landmangel, Übervölkerung und ein hierdurch hervorgerufener berechtigter Expansionsdrang? Nein; Amerika kann noch auf Jahrzehnte hinaus alle Produkte, deren seine Bevölkerung bedarf, selbst erzeugen: nach vorsichtigen Schätzungen kann es zweihundert Millionen Menschen ernähren*). Es ist eines der wenigen Länder, das innerhalb seiner Landesgrenzen alle erforderlichen Rohprodukte, Mineralien, nicht nur besitzt, sondern auch verarbeiten und verbrauchen kann. Ein innerer Grund für eine Expansionspolitik liegt also nicht vor. Diese entspringt vielmehr lediglich rein äußerlichen Motiven des Ehrgeizes, der Habsucht, der Großmannssucht — mit einen: Wort: imperialistischen Motiven. So, wie sich die Monroedoktrin jetzt im Munde des modernen amerikanischen Staatsmannes darstellt, ist sie nichts als ein Hohn, eine Unverschämtheit**). Denn man hat sie nach zwei Richtungen hin erweitert: Das Gebiet, das der Einmischung fremder Nationen entzogen ist, wird, je nach den Bedürfnissen des Imperialismus, erweitert: es wird unbedenklich auf Südamerika. Westindien, Hawai, die Philippinen erstreckt — das ist der heutige Status — und ist unbegrenzt erweiterungsfähig. Das selbstverständliche und von Monroe auch ausgesprochene Äquivalent für das: „Amerika den Amerikanern!" nämlich: „Amerika enthält sich auch seinerseits aller Einmischungen in die Angelegenheiten fremder Länder" — diese selbstverständliche Einschränkung ist weggefallen und gibt den Amerikanern nunmehr die theoretische Berechtigung sich ihrerseits an den Angelegenheiten fremder Länder zu beteiligen.--- Dies also ist der gegenwärtige Stand der Monroedoktrin: auf der einen Seite wird nicht nur jeder Eingriff einer fremden Macht in die Angelegenheiten der Vereinigten Staaten — das wäre berechtigt und nur selbstverständlich — als eine unfreundliche Handlung betrachtet, sondern auch jede Einwirkung auf ") Ellis Barker in seinem Artikel I^orei, American or impensl reciproeit/ ston »iZntl^ Keview, Juni 1911, S. 1036) zitiert sogar eine Schätzung auf 660 Millionen. **) Mit dem Wort „Unverschämtheit" soll much Bismarck — nach einem Artikel der .Kreuzzeitung vom 16. November 1911 (Ur. S39) „Das Kriegs- und Friedensproblem in Amerika" — die Monroedoktrin bezeichnet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/81>, abgerufen am 29.06.2024.