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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikanern!"

und werden -- anders als die kleinen europäischen Staaten -- jeden Eingriff
in unseren Kontinent als eine feindliche Handlung ansehen."

Heute, wo kein Mensch mehr daran denkt, Kolonien in Amerika anzulegen oder
die Souveränität eines amerikanischen, das Völkerrecht beachtenden Staates anzu¬
tasten, kann man sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn man ein ganzes Volk unter
der Devise kämpfen sieht: "Mein Land ist mein Land!" "Amerika den Amerikanern"
-- es sei denn, daß neuer Sinn und neue Forderungen hineingetragen worden
sind in diese Worte und nun geltend gemacht werden.

Wenn man die Monroedoktrin auf die ihr zukommende Bedeutung
zurückgeführt hat, indem man in ihr eine für die damalige politische Lage sehr
wichtige Kundgebung ihres Staatsoberhauptes erblickt, erübrigt es sich beinahe,
ihren Wert im streng Staats- und völkerrechtlichen Sinne zu prüfen. Immerhin
ist es interessant festzustellen, daß dieser Wert gleich Null ist, da ihr weder
Vertrags- noch Gesetzeskraft innewohnt. Darüber besteht kein Zweifel: sie schuf
nicht die geringste vertragsmäßige Verpflichtung-- sie wurde nicht einmal einer
europäischen Großmacht offiziell modifiziert --; sie ist auch kein Staatsgesetz der
Vereinigten Staaten. Sie ist lediglich eine Meinungsäußerung des Präsidenten,
"der Bericht der Exekutivbehörde" an den Kongreß, "I^e messaZs n'a pas plus
la, valeur ni'uns loi qu'un äiscours an troile c"u uns cieLlaration ministen-
eile en Lurope", sagt Pekin (S. 50) zutreffend. Der Vergleich mit einer
Thronrede als mit einen: interessanten Staatsdokument ohne sonstige Kraft
gibt die Bedeutung der Monroedoktrin am zutreffendsten wieder.

In der Tat hat den Amerikanern selbst das Gefühl dafür, daß die Monroe¬
doktrin jeder Staats- oder völkerrechtlichen Stoßkraft entbehre, nicht gefehlt. Und
es mangelt daher nicht an Versuchen, ihr auch diese Weihe zu geben. Schon
im Jahre 1824 brachte der damalige Sprecher des Kongresses, Clan, den Antrag
ein, der Monroedoktrin Gesetzeskraft zu verleihen. Aber der Antrag stieß auf
solche Opposition, daß er nicht einmal zur Abstimmung gebracht, sondern bald
zurückgezogen wurde. "Politische Quertreibereien und Parteiwirtschaft waren
inzwischen (in dem einen Jahre seit der Verkündung!) eingerissen," bemerkt
Dunning hierzu bekümmert.

Die Ironie des Schicksals wollte es, daß die Vereinigten Staaten selbst es
sich versagen mußten, ihrer Doktrin auch für Südamerika Geltung verschafft zu
sehen. Im Jahre 1826 hatte Bolivar. der Erkämpfer der Freiheit für einen
großen Teil Südamerikas, alle Staaten Amerikas zu einem panamerikanischen
Kongreß nach Panama eingeladen. Der hauptsächliche politische Zweck, den er
damit verfolgte, war, abgesehen von dem erwünschten engeren Zusammenschluß
aller amerikanischen Staaten, der Wunsch, der Monroedoktrin auch für Süd¬
amerika Geltung zu verschaffen. Er erhoffte damit die Vereinigten Staaten zum
Schutze Südamerikas gegen etwaige Übergriffe der Heiligen Allianz zu verpflichten.
Solche sie betastenden Folgerungen wollten die Vereinigten Staaten nun doch
nicht aus ihrer Lehre gezogen wissen, und erst nach langen Kämpfen und


„Amerika den Amerikanern!"

und werden — anders als die kleinen europäischen Staaten — jeden Eingriff
in unseren Kontinent als eine feindliche Handlung ansehen."

Heute, wo kein Mensch mehr daran denkt, Kolonien in Amerika anzulegen oder
die Souveränität eines amerikanischen, das Völkerrecht beachtenden Staates anzu¬
tasten, kann man sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn man ein ganzes Volk unter
der Devise kämpfen sieht: „Mein Land ist mein Land!" „Amerika den Amerikanern"
— es sei denn, daß neuer Sinn und neue Forderungen hineingetragen worden
sind in diese Worte und nun geltend gemacht werden.

Wenn man die Monroedoktrin auf die ihr zukommende Bedeutung
zurückgeführt hat, indem man in ihr eine für die damalige politische Lage sehr
wichtige Kundgebung ihres Staatsoberhauptes erblickt, erübrigt es sich beinahe,
ihren Wert im streng Staats- und völkerrechtlichen Sinne zu prüfen. Immerhin
ist es interessant festzustellen, daß dieser Wert gleich Null ist, da ihr weder
Vertrags- noch Gesetzeskraft innewohnt. Darüber besteht kein Zweifel: sie schuf
nicht die geringste vertragsmäßige Verpflichtung— sie wurde nicht einmal einer
europäischen Großmacht offiziell modifiziert —; sie ist auch kein Staatsgesetz der
Vereinigten Staaten. Sie ist lediglich eine Meinungsäußerung des Präsidenten,
„der Bericht der Exekutivbehörde" an den Kongreß, „I^e messaZs n'a pas plus
la, valeur ni'uns loi qu'un äiscours an troile c»u uns cieLlaration ministen-
eile en Lurope", sagt Pekin (S. 50) zutreffend. Der Vergleich mit einer
Thronrede als mit einen: interessanten Staatsdokument ohne sonstige Kraft
gibt die Bedeutung der Monroedoktrin am zutreffendsten wieder.

In der Tat hat den Amerikanern selbst das Gefühl dafür, daß die Monroe¬
doktrin jeder Staats- oder völkerrechtlichen Stoßkraft entbehre, nicht gefehlt. Und
es mangelt daher nicht an Versuchen, ihr auch diese Weihe zu geben. Schon
im Jahre 1824 brachte der damalige Sprecher des Kongresses, Clan, den Antrag
ein, der Monroedoktrin Gesetzeskraft zu verleihen. Aber der Antrag stieß auf
solche Opposition, daß er nicht einmal zur Abstimmung gebracht, sondern bald
zurückgezogen wurde. „Politische Quertreibereien und Parteiwirtschaft waren
inzwischen (in dem einen Jahre seit der Verkündung!) eingerissen," bemerkt
Dunning hierzu bekümmert.

Die Ironie des Schicksals wollte es, daß die Vereinigten Staaten selbst es
sich versagen mußten, ihrer Doktrin auch für Südamerika Geltung verschafft zu
sehen. Im Jahre 1826 hatte Bolivar. der Erkämpfer der Freiheit für einen
großen Teil Südamerikas, alle Staaten Amerikas zu einem panamerikanischen
Kongreß nach Panama eingeladen. Der hauptsächliche politische Zweck, den er
damit verfolgte, war, abgesehen von dem erwünschten engeren Zusammenschluß
aller amerikanischen Staaten, der Wunsch, der Monroedoktrin auch für Süd¬
amerika Geltung zu verschaffen. Er erhoffte damit die Vereinigten Staaten zum
Schutze Südamerikas gegen etwaige Übergriffe der Heiligen Allianz zu verpflichten.
Solche sie betastenden Folgerungen wollten die Vereinigten Staaten nun doch
nicht aus ihrer Lehre gezogen wissen, und erst nach langen Kämpfen und


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[0076] „Amerika den Amerikanern!" und werden — anders als die kleinen europäischen Staaten — jeden Eingriff in unseren Kontinent als eine feindliche Handlung ansehen." Heute, wo kein Mensch mehr daran denkt, Kolonien in Amerika anzulegen oder die Souveränität eines amerikanischen, das Völkerrecht beachtenden Staates anzu¬ tasten, kann man sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn man ein ganzes Volk unter der Devise kämpfen sieht: „Mein Land ist mein Land!" „Amerika den Amerikanern" — es sei denn, daß neuer Sinn und neue Forderungen hineingetragen worden sind in diese Worte und nun geltend gemacht werden. Wenn man die Monroedoktrin auf die ihr zukommende Bedeutung zurückgeführt hat, indem man in ihr eine für die damalige politische Lage sehr wichtige Kundgebung ihres Staatsoberhauptes erblickt, erübrigt es sich beinahe, ihren Wert im streng Staats- und völkerrechtlichen Sinne zu prüfen. Immerhin ist es interessant festzustellen, daß dieser Wert gleich Null ist, da ihr weder Vertrags- noch Gesetzeskraft innewohnt. Darüber besteht kein Zweifel: sie schuf nicht die geringste vertragsmäßige Verpflichtung— sie wurde nicht einmal einer europäischen Großmacht offiziell modifiziert —; sie ist auch kein Staatsgesetz der Vereinigten Staaten. Sie ist lediglich eine Meinungsäußerung des Präsidenten, „der Bericht der Exekutivbehörde" an den Kongreß, „I^e messaZs n'a pas plus la, valeur ni'uns loi qu'un äiscours an troile c»u uns cieLlaration ministen- eile en Lurope", sagt Pekin (S. 50) zutreffend. Der Vergleich mit einer Thronrede als mit einen: interessanten Staatsdokument ohne sonstige Kraft gibt die Bedeutung der Monroedoktrin am zutreffendsten wieder. In der Tat hat den Amerikanern selbst das Gefühl dafür, daß die Monroe¬ doktrin jeder Staats- oder völkerrechtlichen Stoßkraft entbehre, nicht gefehlt. Und es mangelt daher nicht an Versuchen, ihr auch diese Weihe zu geben. Schon im Jahre 1824 brachte der damalige Sprecher des Kongresses, Clan, den Antrag ein, der Monroedoktrin Gesetzeskraft zu verleihen. Aber der Antrag stieß auf solche Opposition, daß er nicht einmal zur Abstimmung gebracht, sondern bald zurückgezogen wurde. „Politische Quertreibereien und Parteiwirtschaft waren inzwischen (in dem einen Jahre seit der Verkündung!) eingerissen," bemerkt Dunning hierzu bekümmert. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß die Vereinigten Staaten selbst es sich versagen mußten, ihrer Doktrin auch für Südamerika Geltung verschafft zu sehen. Im Jahre 1826 hatte Bolivar. der Erkämpfer der Freiheit für einen großen Teil Südamerikas, alle Staaten Amerikas zu einem panamerikanischen Kongreß nach Panama eingeladen. Der hauptsächliche politische Zweck, den er damit verfolgte, war, abgesehen von dem erwünschten engeren Zusammenschluß aller amerikanischen Staaten, der Wunsch, der Monroedoktrin auch für Süd¬ amerika Geltung zu verschaffen. Er erhoffte damit die Vereinigten Staaten zum Schutze Südamerikas gegen etwaige Übergriffe der Heiligen Allianz zu verpflichten. Solche sie betastenden Folgerungen wollten die Vereinigten Staaten nun doch nicht aus ihrer Lehre gezogen wissen, und erst nach langen Kämpfen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/76>, abgerufen am 22.07.2024.