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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikaner" I"

Beratungen entschlossen sie sich überhaupt erst zu einer Beteiligung an dem
Kongreß. Es wurden mit ganz beschränkten Vollmachten zwei Vertreter nach
Panama entsandt. Aber der eine von ihnen starb auf der Reise, der andere
erreichte Panama erst, als der Kongreß -- wegen mangelnder Beteiligung --
gescheitert war. So blieben die Vereinigten Staaten davor bewahrt, sich selbst
mit ihrer Monroedoktrm desavouieren zu müssen. Aber es wurden doch den
jungen südamerikanischen Republiken die Augen darüber geöffnet, wessen sie sich
von ihrer großen Schwester im Norden zu versehen hatten, "daß die Vereinigten
Staaten sich auf die Monroedoktrm beriefen, wenn sie Vorteil daraus zu ziehen
gedachten; aber wenn sie kein Geschüft damit machen konnten, blieben sie stumm."
(Min S, 90.)

Viele Jahrzehnte später, im Jahre 1890, versuchten sie noch einmal ihrer
Monroedoktrm Geltung zu verschaffen, aber ohne sich lästige Verpflichtungen
aufzubürden. In diesem Jahre ließ der Staatssekretär Blaine Einladungen an
alle südamerikanischen Staaten ergehen, zu einem Kongreß zusammenzutreten,
der über einen engeren Zusammenschluß beraten sollte. Die wichtigsten Punkte
des Programms waren Vorschläge über einen Zollverein sür den ganzen
Kontinent und Einsetzung eines obligatorischen Schiedsgerichtes. Aber die süd¬
amerikanischen Republiken erkannten bald mit dein Scharfblick des Schwächeren,
welche Society I^omina sie da eingehen sollten. Es war nicht schwer voraus¬
zusehen, daß das vorgeschlagene Schiedsgericht bald den Vereinigten Staaten die
Vorherrschaft bringen mußte, und auch der Zollverein konnte lediglich den
Vereinigten Staaten Vorteil bringen, zumal diese sich weigerten, ihren Tarif
zugunsten der südamerikanischen Produkte herabzusetzen. So scheiterte der Plan,
sich unter dem Schutze der Gedanken Monroes die Vorherrschaft in Amerika zu
sichern, ebenso wie er nicht einmal die Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren
der Vereinigten Staaten hatte finden können.

Wer wie steht -- so fragt man sich -- die schlichte und bescheidene Lehre
Monroes, die nur Amerika für seine Bewohner forderte, im Zusammenhang
mit der rücksichtslos imperialistischen Politik, wie wir sie auf dem Kongreß 1890
und in eineni Buch, wie dem anfangs zitierten von Homer Lea, vertreten sehen?
Wie ist es möglich, daß zwei so grundverschiedene Bestrebungen sich auf dasselbe
Prinzip stützen können? Einen sehr einfachen Ausweg findet Dunning aus diesem
Dilemma. Es ist die Antwort des typischen Amerikaners, wenn er schlicht
und einsach erklärt: gemäß den Veränderungen im Lause der Zeiten ist
die Monroedoktrm aus einem passiven Prinzip zu einem aktiven verwandelt,
und "was wir jetzt Monroedoktrm nennen und als Grundgedanken unserer
auswärtigen Politik schätzen, ist das Prinzip, das Monroes Erklärung
zu Grunde lag, nicht diese selbst." Der Humor davon, daß man aus einem
Nein ein Ja gemacht hat und trotzdem nun ernst behauptet, es sei das alte
Nein, scheint Dunning abzugehen. Man braucht diese Motivierung nur mit
Monroes eigenen Worten zu vergleichen, um einzusehen, daß eine solche Erklärung


Grenzboten II 1912 9
„Amerika den Amerikaner» I"

Beratungen entschlossen sie sich überhaupt erst zu einer Beteiligung an dem
Kongreß. Es wurden mit ganz beschränkten Vollmachten zwei Vertreter nach
Panama entsandt. Aber der eine von ihnen starb auf der Reise, der andere
erreichte Panama erst, als der Kongreß — wegen mangelnder Beteiligung —
gescheitert war. So blieben die Vereinigten Staaten davor bewahrt, sich selbst
mit ihrer Monroedoktrm desavouieren zu müssen. Aber es wurden doch den
jungen südamerikanischen Republiken die Augen darüber geöffnet, wessen sie sich
von ihrer großen Schwester im Norden zu versehen hatten, „daß die Vereinigten
Staaten sich auf die Monroedoktrm beriefen, wenn sie Vorteil daraus zu ziehen
gedachten; aber wenn sie kein Geschüft damit machen konnten, blieben sie stumm."
(Min S, 90.)

Viele Jahrzehnte später, im Jahre 1890, versuchten sie noch einmal ihrer
Monroedoktrm Geltung zu verschaffen, aber ohne sich lästige Verpflichtungen
aufzubürden. In diesem Jahre ließ der Staatssekretär Blaine Einladungen an
alle südamerikanischen Staaten ergehen, zu einem Kongreß zusammenzutreten,
der über einen engeren Zusammenschluß beraten sollte. Die wichtigsten Punkte
des Programms waren Vorschläge über einen Zollverein sür den ganzen
Kontinent und Einsetzung eines obligatorischen Schiedsgerichtes. Aber die süd¬
amerikanischen Republiken erkannten bald mit dein Scharfblick des Schwächeren,
welche Society I^omina sie da eingehen sollten. Es war nicht schwer voraus¬
zusehen, daß das vorgeschlagene Schiedsgericht bald den Vereinigten Staaten die
Vorherrschaft bringen mußte, und auch der Zollverein konnte lediglich den
Vereinigten Staaten Vorteil bringen, zumal diese sich weigerten, ihren Tarif
zugunsten der südamerikanischen Produkte herabzusetzen. So scheiterte der Plan,
sich unter dem Schutze der Gedanken Monroes die Vorherrschaft in Amerika zu
sichern, ebenso wie er nicht einmal die Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren
der Vereinigten Staaten hatte finden können.

Wer wie steht — so fragt man sich — die schlichte und bescheidene Lehre
Monroes, die nur Amerika für seine Bewohner forderte, im Zusammenhang
mit der rücksichtslos imperialistischen Politik, wie wir sie auf dem Kongreß 1890
und in eineni Buch, wie dem anfangs zitierten von Homer Lea, vertreten sehen?
Wie ist es möglich, daß zwei so grundverschiedene Bestrebungen sich auf dasselbe
Prinzip stützen können? Einen sehr einfachen Ausweg findet Dunning aus diesem
Dilemma. Es ist die Antwort des typischen Amerikaners, wenn er schlicht
und einsach erklärt: gemäß den Veränderungen im Lause der Zeiten ist
die Monroedoktrm aus einem passiven Prinzip zu einem aktiven verwandelt,
und „was wir jetzt Monroedoktrm nennen und als Grundgedanken unserer
auswärtigen Politik schätzen, ist das Prinzip, das Monroes Erklärung
zu Grunde lag, nicht diese selbst." Der Humor davon, daß man aus einem
Nein ein Ja gemacht hat und trotzdem nun ernst behauptet, es sei das alte
Nein, scheint Dunning abzugehen. Man braucht diese Motivierung nur mit
Monroes eigenen Worten zu vergleichen, um einzusehen, daß eine solche Erklärung


Grenzboten II 1912 9
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[0077] „Amerika den Amerikaner» I" Beratungen entschlossen sie sich überhaupt erst zu einer Beteiligung an dem Kongreß. Es wurden mit ganz beschränkten Vollmachten zwei Vertreter nach Panama entsandt. Aber der eine von ihnen starb auf der Reise, der andere erreichte Panama erst, als der Kongreß — wegen mangelnder Beteiligung — gescheitert war. So blieben die Vereinigten Staaten davor bewahrt, sich selbst mit ihrer Monroedoktrm desavouieren zu müssen. Aber es wurden doch den jungen südamerikanischen Republiken die Augen darüber geöffnet, wessen sie sich von ihrer großen Schwester im Norden zu versehen hatten, „daß die Vereinigten Staaten sich auf die Monroedoktrm beriefen, wenn sie Vorteil daraus zu ziehen gedachten; aber wenn sie kein Geschüft damit machen konnten, blieben sie stumm." (Min S, 90.) Viele Jahrzehnte später, im Jahre 1890, versuchten sie noch einmal ihrer Monroedoktrm Geltung zu verschaffen, aber ohne sich lästige Verpflichtungen aufzubürden. In diesem Jahre ließ der Staatssekretär Blaine Einladungen an alle südamerikanischen Staaten ergehen, zu einem Kongreß zusammenzutreten, der über einen engeren Zusammenschluß beraten sollte. Die wichtigsten Punkte des Programms waren Vorschläge über einen Zollverein sür den ganzen Kontinent und Einsetzung eines obligatorischen Schiedsgerichtes. Aber die süd¬ amerikanischen Republiken erkannten bald mit dein Scharfblick des Schwächeren, welche Society I^omina sie da eingehen sollten. Es war nicht schwer voraus¬ zusehen, daß das vorgeschlagene Schiedsgericht bald den Vereinigten Staaten die Vorherrschaft bringen mußte, und auch der Zollverein konnte lediglich den Vereinigten Staaten Vorteil bringen, zumal diese sich weigerten, ihren Tarif zugunsten der südamerikanischen Produkte herabzusetzen. So scheiterte der Plan, sich unter dem Schutze der Gedanken Monroes die Vorherrschaft in Amerika zu sichern, ebenso wie er nicht einmal die Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren der Vereinigten Staaten hatte finden können. Wer wie steht — so fragt man sich — die schlichte und bescheidene Lehre Monroes, die nur Amerika für seine Bewohner forderte, im Zusammenhang mit der rücksichtslos imperialistischen Politik, wie wir sie auf dem Kongreß 1890 und in eineni Buch, wie dem anfangs zitierten von Homer Lea, vertreten sehen? Wie ist es möglich, daß zwei so grundverschiedene Bestrebungen sich auf dasselbe Prinzip stützen können? Einen sehr einfachen Ausweg findet Dunning aus diesem Dilemma. Es ist die Antwort des typischen Amerikaners, wenn er schlicht und einsach erklärt: gemäß den Veränderungen im Lause der Zeiten ist die Monroedoktrm aus einem passiven Prinzip zu einem aktiven verwandelt, und „was wir jetzt Monroedoktrm nennen und als Grundgedanken unserer auswärtigen Politik schätzen, ist das Prinzip, das Monroes Erklärung zu Grunde lag, nicht diese selbst." Der Humor davon, daß man aus einem Nein ein Ja gemacht hat und trotzdem nun ernst behauptet, es sei das alte Nein, scheint Dunning abzugehen. Man braucht diese Motivierung nur mit Monroes eigenen Worten zu vergleichen, um einzusehen, daß eine solche Erklärung Grenzboten II 1912 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/77>, abgerufen am 22.07.2024.