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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikaner"!"

einigten Staaten die südamerikanischen Republiken anerkannt und diplomatische
Vertreter entsandt. Gegenüber dem weiteren Drängen Englands, die geplante
Intervention der Mächte zurückzuweisen, befanden sie sich aber in schwieriger
Lage. Einerseits entsprach es ihrer Tradition und ihren politischen Zwecken,
die freiheitliche Bewegung der südamerikanischen Staaten, in denen sie mit Recht
eine zuverlässige Gefolgschaft erblicken konnten, zu unterstützen; anderseits war
ein Krieg für den jungen, durch eine wirtschaftliche Krise geschwächten Staat
eine große Gefahr. Aber die Ereignisse drängten zum Handeln; die Berater
des Präsidenten Monroe, vor allem der frühere Präsident Jefferson, rieten zu
einer energischen Erklärung gegen die Mächte, und so entschloß sich denn Monroe
am 2. Dezember 1823, die §§ 48 und 49 in seiner Botschaft zu verkünden.
Er lehnte also darin eine Übertragung der in Europa von der Heiligen Allianz
befolgten Politik auf Amerika ab; er proklamierte den Grundsatz, daß sich die
Vereinigten Staaten nicht in die Angelegenheiten fremder Mächte mischen würden,
sich aber anderseits auch Eingriffe fremder Mächte verbäten.

Dies also ist die Monroedoktrin, das Nationalheiligtum des amerika¬
nischen Volkes, also nicht eine vom Himmel gesandte Botschaft, nicht der Ausfluß
der göttlichen Eingebung eines Menschen, nicht etwas ewig Richtiges, ewig
Wahres, ewig Unantastbares. Nein, es ist der einfache Gegenzug in einem
politischen Schachspiel, eine Reaktion auf eine Reihe politischer und diplomatischer
Vorgänge, wie jede andere "Demarche" im diplomatischen Verkehr.--

Daß man die Monroedoktrin nicht als etwas Absolutes, Objektives betrachten
darf, sondern daß man sie in den Zusammenhang hineinstellen muß, in den sie
hineingehört, das beweist auch schon der Umstand, daß sie sonst gar keinen
Sinn ergibt. Denn was heißt "Amerika den Amerikanern" oder "Wir dulden
keine Einmischung fremder Länder, ebenso wie wir uns nicht in fremde
Angelegenheiten einmischen"? Es bedeutet an sich -- objektiv betrachtet --
etwas so Selbstverständliches, daß es die Worte kaum lohnt. Denn daß Amerika
den Amerikanern gehört ebenso wie Deutschland den Deutschen oder England
den Engländern, bedarf keiner Erwähnung; und keine selbständige, ehrliebende
Nation wird sich die Einmischung einer anderen gefallen lassen; kein vorsichtiger,
kluger Politiker wird sich ohne weiteres in die Angelegenheiten eines fremden
Staates mischen. Das sind Grundbegriffe des Völkerrechts. Wohl aber gewinnen die
Worte des Präsidenten Monroe in dem Zusammenhang, in dem sie gesprochen sind,
Sinn und Bedeutung. Damals, 1823, war es nötig, solche Sätze auszusprechen. Da¬
mals griff die Heilige Allianz in dem Bestreben, das Bestehende zu erhalten, un¬
bedenklich in die Rechte fremder Staaten ein. Damals war die Zeit nicht fern, wo jede
fremde Macht an Amerikas Gestaden landen und die unerforschten Gegenden in
Besitz nehmen konnte. Damals hatte es darum einen tiefen und berechtigten
Sinn und war ein notwendiger und starker Protest, wenn der Präsident Monroe
sagte: "Amerika ist an uns, die Amerikaner, vergeben; es dürfen keine Kolonien
mehr auf ihm gegründet werden; wir kümmern uns um unsere Angelegenheiten


„Amerika den Amerikaner»!"

einigten Staaten die südamerikanischen Republiken anerkannt und diplomatische
Vertreter entsandt. Gegenüber dem weiteren Drängen Englands, die geplante
Intervention der Mächte zurückzuweisen, befanden sie sich aber in schwieriger
Lage. Einerseits entsprach es ihrer Tradition und ihren politischen Zwecken,
die freiheitliche Bewegung der südamerikanischen Staaten, in denen sie mit Recht
eine zuverlässige Gefolgschaft erblicken konnten, zu unterstützen; anderseits war
ein Krieg für den jungen, durch eine wirtschaftliche Krise geschwächten Staat
eine große Gefahr. Aber die Ereignisse drängten zum Handeln; die Berater
des Präsidenten Monroe, vor allem der frühere Präsident Jefferson, rieten zu
einer energischen Erklärung gegen die Mächte, und so entschloß sich denn Monroe
am 2. Dezember 1823, die §§ 48 und 49 in seiner Botschaft zu verkünden.
Er lehnte also darin eine Übertragung der in Europa von der Heiligen Allianz
befolgten Politik auf Amerika ab; er proklamierte den Grundsatz, daß sich die
Vereinigten Staaten nicht in die Angelegenheiten fremder Mächte mischen würden,
sich aber anderseits auch Eingriffe fremder Mächte verbäten.

Dies also ist die Monroedoktrin, das Nationalheiligtum des amerika¬
nischen Volkes, also nicht eine vom Himmel gesandte Botschaft, nicht der Ausfluß
der göttlichen Eingebung eines Menschen, nicht etwas ewig Richtiges, ewig
Wahres, ewig Unantastbares. Nein, es ist der einfache Gegenzug in einem
politischen Schachspiel, eine Reaktion auf eine Reihe politischer und diplomatischer
Vorgänge, wie jede andere „Demarche" im diplomatischen Verkehr.--

Daß man die Monroedoktrin nicht als etwas Absolutes, Objektives betrachten
darf, sondern daß man sie in den Zusammenhang hineinstellen muß, in den sie
hineingehört, das beweist auch schon der Umstand, daß sie sonst gar keinen
Sinn ergibt. Denn was heißt „Amerika den Amerikanern" oder „Wir dulden
keine Einmischung fremder Länder, ebenso wie wir uns nicht in fremde
Angelegenheiten einmischen"? Es bedeutet an sich — objektiv betrachtet —
etwas so Selbstverständliches, daß es die Worte kaum lohnt. Denn daß Amerika
den Amerikanern gehört ebenso wie Deutschland den Deutschen oder England
den Engländern, bedarf keiner Erwähnung; und keine selbständige, ehrliebende
Nation wird sich die Einmischung einer anderen gefallen lassen; kein vorsichtiger,
kluger Politiker wird sich ohne weiteres in die Angelegenheiten eines fremden
Staates mischen. Das sind Grundbegriffe des Völkerrechts. Wohl aber gewinnen die
Worte des Präsidenten Monroe in dem Zusammenhang, in dem sie gesprochen sind,
Sinn und Bedeutung. Damals, 1823, war es nötig, solche Sätze auszusprechen. Da¬
mals griff die Heilige Allianz in dem Bestreben, das Bestehende zu erhalten, un¬
bedenklich in die Rechte fremder Staaten ein. Damals war die Zeit nicht fern, wo jede
fremde Macht an Amerikas Gestaden landen und die unerforschten Gegenden in
Besitz nehmen konnte. Damals hatte es darum einen tiefen und berechtigten
Sinn und war ein notwendiger und starker Protest, wenn der Präsident Monroe
sagte: „Amerika ist an uns, die Amerikaner, vergeben; es dürfen keine Kolonien
mehr auf ihm gegründet werden; wir kümmern uns um unsere Angelegenheiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/75>, abgerufen am 23.07.2024.