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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Lin unbekannter Ingendcmfsatz Friedrich Hebbels

aber glücklicherweise des heiligen Eifers all zu voll gewesen, sein Aufsatz widerlegt
sich selbst, denn wer die zweite Periode, gleich im Anfange, nach welcher in der
Norderdithmarsischen Marsch keine Hypothek für irgend ein Capital (also z. B.
keine 100 Morgen für 100 Mk.) die geringste Sicherheit gewähren soll, gelesen
hat und dann nur so viel vom Dithmarschen weiß, daß es zum Königreiche
Dänemark gehört und sich daher doch wirklich nicht mehr in gesetzlosem Zu¬
stande befindet, der wird leicht ermessen, was er von des Verfassers übrigen
Anführungen zu halten hat. Er dürfte Solchemnach durch seine Aeußerungen
über Norderdithmarschens Creditlosigkeit höchstens die Creditlosigkeit seiner eigenen
Intelligenz befördert haben und es wird schwerlich einem Betheiligten ein¬
fallen, einen so unschuldigen Feind, der sich auf die ungeschickteste Weise in
seinem eigenen Schwert verwundet, zu bestreuen; ich wenigstens bin weit entfernt,
gegen diesen Schneemann, der am Sonnenschein von selbst zerschmilzt, zu kämpfen.
Aber es läuft ein Gerücht, wornach ein Norderdithmarscher Verfasser jenes Auf¬
satzes gewesen seyn soll und ich glaube meine Landsleute zu verbinden, wenn
ich einleuchtend zu machen suche, daß dies unmöglich der Fall seyn kann. Hiefür
aber habe ich zwei Gründe, die mir Beide der Art scheinen, daß es nicht der
Auffindung mehrerer bedarf. Einestheils pflegt jeder Mensch für das Land,
in welchem er geboren wurde und an welches sich seine liebsten Erinnerungen,
die Erinnerungen an die Kindheit, knüpfen, eine gewisse Anhänglichkeit -- der
humane Verfasser des hier besprochenen Aufsatzes wird mir doch einräumen
müssen, daß ich mich gemäßigt über Sachen des Gefühls ausdrücke? -- zu
empfinden. Diese Anhänglichkeit soll, wie man die Erfahrung gemacht haben
will, selbst in einer rohen Brust niemals erlöschen; sogar für den Scythen war
es eine schwere Strafe, aus seinem Vaterlande verbannt zu werden und edle
Seelen haben nie eine härtere gekannt. Wer aber annimmt, daß der Verfasser
des mehrberegten Aufsatzes, in welchem nicht etwa ein bestehender Mißbrauch
gerecht und würdig getadelt, sondern über den Credit jedes Einwohners in
ganz Norderdithmarschen auf eine wenig geziemende, über die Hindernisse
desselben auf eine schnöde und beleidigende Weise abgesprochen wird, ein
Norderdithmascher sey, der muß zugleich annehmen, daß es ihm an der gedachten,
doch so natürlichen Liebe zu seinem Vaterlande ganz und gar fehle und daß
ihn dagegen ein schwer zu erklärender Haß gegen dasjenige, was selbst der
Wilde liebt, erfülle. Dies anzunehmen, ehe und bevor es unwiderleglich erwiesen
ist, scheint mir eine große Unbilligkeit, wenn ich gleich wohl weiß, daß das
gegenwärtige Zeitalter nicht das Zeitalter des Patriotismus ist und wenn ich
gleich weit entfernt bin, mir von der Urbanität des Verfassers einen all zu
starken Begriff zu machen. Der Sohn, welcher seine Mutter nur bloß nicht
schmähen und schlagen soll, bedarf, um diese Tugend zu üben, auch doch eben
nicht eines ungewöhnlichen Grades kindlicher Liebe.

Den zweiten Grund dafür, daß der Verfasser kein Norderdithmarscher
seyn könne, nehme ich aus dem Beispiele her, welches er zum Beweise seines


Lin unbekannter Ingendcmfsatz Friedrich Hebbels

aber glücklicherweise des heiligen Eifers all zu voll gewesen, sein Aufsatz widerlegt
sich selbst, denn wer die zweite Periode, gleich im Anfange, nach welcher in der
Norderdithmarsischen Marsch keine Hypothek für irgend ein Capital (also z. B.
keine 100 Morgen für 100 Mk.) die geringste Sicherheit gewähren soll, gelesen
hat und dann nur so viel vom Dithmarschen weiß, daß es zum Königreiche
Dänemark gehört und sich daher doch wirklich nicht mehr in gesetzlosem Zu¬
stande befindet, der wird leicht ermessen, was er von des Verfassers übrigen
Anführungen zu halten hat. Er dürfte Solchemnach durch seine Aeußerungen
über Norderdithmarschens Creditlosigkeit höchstens die Creditlosigkeit seiner eigenen
Intelligenz befördert haben und es wird schwerlich einem Betheiligten ein¬
fallen, einen so unschuldigen Feind, der sich auf die ungeschickteste Weise in
seinem eigenen Schwert verwundet, zu bestreuen; ich wenigstens bin weit entfernt,
gegen diesen Schneemann, der am Sonnenschein von selbst zerschmilzt, zu kämpfen.
Aber es läuft ein Gerücht, wornach ein Norderdithmarscher Verfasser jenes Auf¬
satzes gewesen seyn soll und ich glaube meine Landsleute zu verbinden, wenn
ich einleuchtend zu machen suche, daß dies unmöglich der Fall seyn kann. Hiefür
aber habe ich zwei Gründe, die mir Beide der Art scheinen, daß es nicht der
Auffindung mehrerer bedarf. Einestheils pflegt jeder Mensch für das Land,
in welchem er geboren wurde und an welches sich seine liebsten Erinnerungen,
die Erinnerungen an die Kindheit, knüpfen, eine gewisse Anhänglichkeit — der
humane Verfasser des hier besprochenen Aufsatzes wird mir doch einräumen
müssen, daß ich mich gemäßigt über Sachen des Gefühls ausdrücke? — zu
empfinden. Diese Anhänglichkeit soll, wie man die Erfahrung gemacht haben
will, selbst in einer rohen Brust niemals erlöschen; sogar für den Scythen war
es eine schwere Strafe, aus seinem Vaterlande verbannt zu werden und edle
Seelen haben nie eine härtere gekannt. Wer aber annimmt, daß der Verfasser
des mehrberegten Aufsatzes, in welchem nicht etwa ein bestehender Mißbrauch
gerecht und würdig getadelt, sondern über den Credit jedes Einwohners in
ganz Norderdithmarschen auf eine wenig geziemende, über die Hindernisse
desselben auf eine schnöde und beleidigende Weise abgesprochen wird, ein
Norderdithmascher sey, der muß zugleich annehmen, daß es ihm an der gedachten,
doch so natürlichen Liebe zu seinem Vaterlande ganz und gar fehle und daß
ihn dagegen ein schwer zu erklärender Haß gegen dasjenige, was selbst der
Wilde liebt, erfülle. Dies anzunehmen, ehe und bevor es unwiderleglich erwiesen
ist, scheint mir eine große Unbilligkeit, wenn ich gleich wohl weiß, daß das
gegenwärtige Zeitalter nicht das Zeitalter des Patriotismus ist und wenn ich
gleich weit entfernt bin, mir von der Urbanität des Verfassers einen all zu
starken Begriff zu machen. Der Sohn, welcher seine Mutter nur bloß nicht
schmähen und schlagen soll, bedarf, um diese Tugend zu üben, auch doch eben
nicht eines ungewöhnlichen Grades kindlicher Liebe.

Den zweiten Grund dafür, daß der Verfasser kein Norderdithmarscher
seyn könne, nehme ich aus dem Beispiele her, welches er zum Beweise seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/642>, abgerufen am 23.07.2024.