Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Ein unbekannter Iugendcmfscch Friedrich Hebbels Ausspruchs über Norderdilhmarschers Creditlosigkeit aufstellt. Er spricht von Dies scheint mir zur völligen Widerlegung des Eingangs erwähnten Der Angriff des Kieler Correspondenzblattes regte die Norderdithmarscher Ein unbekannter Iugendcmfscch Friedrich Hebbels Ausspruchs über Norderdilhmarschers Creditlosigkeit aufstellt. Er spricht von Dies scheint mir zur völligen Widerlegung des Eingangs erwähnten Der Angriff des Kieler Correspondenzblattes regte die Norderdithmarscher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0643" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321728"/> <fw type="header" place="top"> Ein unbekannter Iugendcmfscch Friedrich Hebbels</fw><lb/> <p xml:id="ID_2685" prev="#ID_2684"> Ausspruchs über Norderdilhmarschers Creditlosigkeit aufstellt. Er spricht von<lb/> einen: Fall, in welchem Jemand von 2000 Rthlrn., die in erster Priorität gegen<lb/> einen Hypothekenwert von reichlich 120000 Mark belegt waren, keinen Schilling<lb/> geborgen habe und will daraus die gänzliche Unsicherheit Norderdithmarsischer<lb/> Marschhypotheken folgern. Bei dieser Folgerungsweise dürste freilich keine<lb/> andere gänzliche Unsicherheit, als die des Schlusses, vorliegen; indeß scheint der<lb/> Verfasser, was seinem Scharfsinn keine Schande macht, dies selbst gefühlt zu<lb/> haben, indem er, um seinen Schluß etwas fester zu stellen, im Vorbeigehen<lb/> einer unzähligen Masse ähnlicher Thatsachen erwähnt, von denen er jedoch<lb/> großmüthig zugiebt, daß sie nicht völlig so eclatant seyen. Was diese unzählige<lb/> Masse ähnlicher Thatsachen anlangt, so hat der Verfasser es wohl nicht so genau<lb/> genommen, als er sie unzählig nannte, was aber den erstberegten Fall betrifft,<lb/> so hat er die besonderen Umstände, welche denselben begleitet haben, gewiß<lb/> nicht im Entferntesten gekannt, da er ihn sonst, wie ich zu seiner Redlichkeit<lb/> hoffe, sicherlich nicht zum Probirstein der Norderdithmarsischen Creditlosigkeit<lb/> gemacht haben würde, und hieraus darf ich mit allem Rechte schließen, daß er<lb/> kein Norderdithmarscher ist. In Norderdithmarschen gehörte und gehört jener<lb/> Fall nämlich — was die obige Behauptung des Verfassers, eine unzählbare<lb/> Masse ähnlicher Thatsachen zu kennen, nicht besonders unterstützen dürfte —<lb/> zum Tagsgespräch, und wenn der Verfasser von den bei Beurtheilung des¬<lb/> selben in Betracht zu ziehenden Verhältnissen nur so viel, wie sast jeder einiger¬<lb/> maßen gebildete Norderdithmarscher, gewußt hätte, so würde er sich nicht<lb/> gewundert haben, daß über 100 Morgen wüsten, durch Jahre lange schlechte<lb/> Bewirthschaftung gänzlich verwilderten und jeden Käufer abschreckenden Landes,<lb/> welches stets zu der geringsten Bodensorte im ganzen, betreffenden Kirchspiel<lb/> gehörte, bei den zur Zeit des Verkaufs so äußerst niedrigen Kornpreisen fast<lb/> umsonst weggeschlagen werden mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2686"> Dies scheint mir zur völligen Widerlegung des Eingangs erwähnten<lb/> Gerüchts hinreichend. Der Verfasser ist vielleicht ein Mann, der selbst in Norder¬<lb/> dithmarschen bedeutende Capitalien verlor, und dann ist er entschuldigt. Die<lb/> Fabel spricht freilich von einem Bären, der vor Hunger aus einem Walde<lb/> weglaufen mußte und den Wald nun mörderlich schimpfte, allein, Fabeln erzählt<lb/> man den Kindern und dann — das war auch ja ein Bär! So viel ist<lb/> zwar gewiß, der Mensch schließt leicht von sich und seiner Lage auf Andere und<lb/> es soll Thoren gegeben haben, die sich, weil sie selbst in einem Lande oder<lb/> Ort keinen Credit hatten, durch ihre Eitelkeit zu dem Schluß verleiten ließen,<lb/> daß der Grund davon in der Localität liege und daß allgemeine Credit¬<lb/><note type="bibl"> Avrial.</note> losigkeit vorhanden sey! </p><lb/> <p xml:id="ID_2687" next="#ID_2688"> Der Angriff des Kieler Correspondenzblattes regte die Norderdithmarscher<lb/> ungeheuer auf und rief eine ganze Reihe von Erwiderungen hervor. Avrial<lb/> war einer der ersten Verteidiger seines Vaterlandes, nur der Wesselburener<lb/> Advokat E. Knötel begann schon acht Tage vor ihm in der Ur. 1 der Dies-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0643]
Ein unbekannter Iugendcmfscch Friedrich Hebbels
Ausspruchs über Norderdilhmarschers Creditlosigkeit aufstellt. Er spricht von
einen: Fall, in welchem Jemand von 2000 Rthlrn., die in erster Priorität gegen
einen Hypothekenwert von reichlich 120000 Mark belegt waren, keinen Schilling
geborgen habe und will daraus die gänzliche Unsicherheit Norderdithmarsischer
Marschhypotheken folgern. Bei dieser Folgerungsweise dürste freilich keine
andere gänzliche Unsicherheit, als die des Schlusses, vorliegen; indeß scheint der
Verfasser, was seinem Scharfsinn keine Schande macht, dies selbst gefühlt zu
haben, indem er, um seinen Schluß etwas fester zu stellen, im Vorbeigehen
einer unzähligen Masse ähnlicher Thatsachen erwähnt, von denen er jedoch
großmüthig zugiebt, daß sie nicht völlig so eclatant seyen. Was diese unzählige
Masse ähnlicher Thatsachen anlangt, so hat der Verfasser es wohl nicht so genau
genommen, als er sie unzählig nannte, was aber den erstberegten Fall betrifft,
so hat er die besonderen Umstände, welche denselben begleitet haben, gewiß
nicht im Entferntesten gekannt, da er ihn sonst, wie ich zu seiner Redlichkeit
hoffe, sicherlich nicht zum Probirstein der Norderdithmarsischen Creditlosigkeit
gemacht haben würde, und hieraus darf ich mit allem Rechte schließen, daß er
kein Norderdithmarscher ist. In Norderdithmarschen gehörte und gehört jener
Fall nämlich — was die obige Behauptung des Verfassers, eine unzählbare
Masse ähnlicher Thatsachen zu kennen, nicht besonders unterstützen dürfte —
zum Tagsgespräch, und wenn der Verfasser von den bei Beurtheilung des¬
selben in Betracht zu ziehenden Verhältnissen nur so viel, wie sast jeder einiger¬
maßen gebildete Norderdithmarscher, gewußt hätte, so würde er sich nicht
gewundert haben, daß über 100 Morgen wüsten, durch Jahre lange schlechte
Bewirthschaftung gänzlich verwilderten und jeden Käufer abschreckenden Landes,
welches stets zu der geringsten Bodensorte im ganzen, betreffenden Kirchspiel
gehörte, bei den zur Zeit des Verkaufs so äußerst niedrigen Kornpreisen fast
umsonst weggeschlagen werden mußten.
Dies scheint mir zur völligen Widerlegung des Eingangs erwähnten
Gerüchts hinreichend. Der Verfasser ist vielleicht ein Mann, der selbst in Norder¬
dithmarschen bedeutende Capitalien verlor, und dann ist er entschuldigt. Die
Fabel spricht freilich von einem Bären, der vor Hunger aus einem Walde
weglaufen mußte und den Wald nun mörderlich schimpfte, allein, Fabeln erzählt
man den Kindern und dann — das war auch ja ein Bär! So viel ist
zwar gewiß, der Mensch schließt leicht von sich und seiner Lage auf Andere und
es soll Thoren gegeben haben, die sich, weil sie selbst in einem Lande oder
Ort keinen Credit hatten, durch ihre Eitelkeit zu dem Schluß verleiten ließen,
daß der Grund davon in der Localität liege und daß allgemeine Credit¬
Avrial. losigkeit vorhanden sey!
Der Angriff des Kieler Correspondenzblattes regte die Norderdithmarscher
ungeheuer auf und rief eine ganze Reihe von Erwiderungen hervor. Avrial
war einer der ersten Verteidiger seines Vaterlandes, nur der Wesselburener
Advokat E. Knötel begann schon acht Tage vor ihm in der Ur. 1 der Dies-
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