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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Bedeutung der deutschen Hceresverstärknng

Leben gerufenen Einrichtung der "Krümper". Nur darf man nicht Übersehen,
daß das Urbild der allgemeinen Wehrpflicht bei Scharnhorst von dem, was
wir heute darunter verstehen, in mehr als einer Hinsicht abwich. Was Scharn¬
horst wollte, ist eigentlich nichts anderes als eine Miliz, wie sie die Schweiz
heute besitzt -- und wie wir sie nicht wollen. Wenigstens in absehbarer Zeit nicht,
weil die Aufgaben kriegerischer Natur, die das deutsche Volk in dieser und wohl
auch noch mindestens in der nächsten Generation zu lösen haben wird, nur
mit einem für scharfe Offensive geschulten, jeden Tag schlagfertigen und kriegs¬
bereiten Heere zu lösen sind. Daß die politische Atmosphäre des europäischen
Kulturkreises sich fortdauernd in einer elektrischen Hochspannung befindet, dürfte
nach den Ereignissen der letzten Jahre und insbesondere nach jenen seit dem
vorigen Sommer doch kaum mehr ernstlich bestreitbar sein. Wie stark die
chauvinistische Strömung seit Jahresfrist in Frankreich gewachsen ist -- vielleicht
mit infolge unserer Zurückhaltung beim letzten Quinquennatsgesetz -- kann man
sogar aus sozialdemokratischen Zeitungen ersehen. Chauvinismus und Volks¬
strömungen in anderen Ländern können aber einmal plötzlich zur Entladung
jener Hochspannung sühren. Und dann müssen wir über ein starkes, sofort
schlagbereites, unseren Gegnern an Zahl und Güte überlegenes Heer verfügen.
Denn so notwendig uns eine starke Flotte ist: das Schwergewicht unserer
Rüstungen beruht im Landheere. Die letzten und wichtigsten Entscheidungen
in einem künftigen Kriege werden auf dem Schlachtfelde, nicht auf der See
geschlagen werden.

Weil wir ein schlagfertiges Heer brauchen und weil ein solches nur möglich
ist, wenn hinreichend Zeit auf Ausbildung und Erziehung verwendet werden
kann, darf in absehbarer Zeit auch nicht an eine Herabsetzung der Dienstzeit
gedacht werden. Im Gegenteil wird zu erwägen sein, wie sich ein Ausgleich
treffen lassen könnte zwischen den unerläßlichen Anforderungen der Gegenwart
und der Vorzugsstellung der Einjährigfreiwilligen. Es wird hierauf in anderem
Zusammenhange näher zurückzukommen sein. Gelegentlich der zweiten Lesung
der Heeresvorlage kam auch der preußische Kriegsminister aus die Frage einer
Herabsetzung unserer Friedenspräsenzstärke zu sprechen, veranlaßt durch ver¬
schiedene, eine Verkürzung der Dienstzeit beantragende Resolutionen. Er erklärte
eine Verminderung der Präsenzstärke wie der Dienstzeit für unmöglich, solange
die politischen Verhältnisse Deutschlands sich nicht ändern. Dem ist durchaus
zuzustimmen; hingegen erweckt die daran anknüpfende Betrachtung Bedenken.
"Gehen wir aber zu einer geringeren Dienstzeit über, so vervielfältigen Sie die
jährlich einzustellenden Rekrutenquoten. Abgesehen davon, daß wir die Zahl
der Rekruten zurzeit nicht haben, so würden auch die volkswirtschaftlichen Vorteile,
die von einer Verkürzung der Dienstzeit erhofft werden, in diesem Umfange
nicht eintreten. Denn ob wir hunderttausend Leute zwei Jahre dienen lassen
oder zweihunderttausend ein Jahr, kommt schließlich auf dasselbe hinaus."
Diesem letzten Satze muß doch wohl ein Fragezeichen angefügt werden. Der


Die Bedeutung der deutschen Hceresverstärknng

Leben gerufenen Einrichtung der „Krümper". Nur darf man nicht Übersehen,
daß das Urbild der allgemeinen Wehrpflicht bei Scharnhorst von dem, was
wir heute darunter verstehen, in mehr als einer Hinsicht abwich. Was Scharn¬
horst wollte, ist eigentlich nichts anderes als eine Miliz, wie sie die Schweiz
heute besitzt — und wie wir sie nicht wollen. Wenigstens in absehbarer Zeit nicht,
weil die Aufgaben kriegerischer Natur, die das deutsche Volk in dieser und wohl
auch noch mindestens in der nächsten Generation zu lösen haben wird, nur
mit einem für scharfe Offensive geschulten, jeden Tag schlagfertigen und kriegs¬
bereiten Heere zu lösen sind. Daß die politische Atmosphäre des europäischen
Kulturkreises sich fortdauernd in einer elektrischen Hochspannung befindet, dürfte
nach den Ereignissen der letzten Jahre und insbesondere nach jenen seit dem
vorigen Sommer doch kaum mehr ernstlich bestreitbar sein. Wie stark die
chauvinistische Strömung seit Jahresfrist in Frankreich gewachsen ist — vielleicht
mit infolge unserer Zurückhaltung beim letzten Quinquennatsgesetz — kann man
sogar aus sozialdemokratischen Zeitungen ersehen. Chauvinismus und Volks¬
strömungen in anderen Ländern können aber einmal plötzlich zur Entladung
jener Hochspannung sühren. Und dann müssen wir über ein starkes, sofort
schlagbereites, unseren Gegnern an Zahl und Güte überlegenes Heer verfügen.
Denn so notwendig uns eine starke Flotte ist: das Schwergewicht unserer
Rüstungen beruht im Landheere. Die letzten und wichtigsten Entscheidungen
in einem künftigen Kriege werden auf dem Schlachtfelde, nicht auf der See
geschlagen werden.

Weil wir ein schlagfertiges Heer brauchen und weil ein solches nur möglich
ist, wenn hinreichend Zeit auf Ausbildung und Erziehung verwendet werden
kann, darf in absehbarer Zeit auch nicht an eine Herabsetzung der Dienstzeit
gedacht werden. Im Gegenteil wird zu erwägen sein, wie sich ein Ausgleich
treffen lassen könnte zwischen den unerläßlichen Anforderungen der Gegenwart
und der Vorzugsstellung der Einjährigfreiwilligen. Es wird hierauf in anderem
Zusammenhange näher zurückzukommen sein. Gelegentlich der zweiten Lesung
der Heeresvorlage kam auch der preußische Kriegsminister aus die Frage einer
Herabsetzung unserer Friedenspräsenzstärke zu sprechen, veranlaßt durch ver¬
schiedene, eine Verkürzung der Dienstzeit beantragende Resolutionen. Er erklärte
eine Verminderung der Präsenzstärke wie der Dienstzeit für unmöglich, solange
die politischen Verhältnisse Deutschlands sich nicht ändern. Dem ist durchaus
zuzustimmen; hingegen erweckt die daran anknüpfende Betrachtung Bedenken.
„Gehen wir aber zu einer geringeren Dienstzeit über, so vervielfältigen Sie die
jährlich einzustellenden Rekrutenquoten. Abgesehen davon, daß wir die Zahl
der Rekruten zurzeit nicht haben, so würden auch die volkswirtschaftlichen Vorteile,
die von einer Verkürzung der Dienstzeit erhofft werden, in diesem Umfange
nicht eintreten. Denn ob wir hunderttausend Leute zwei Jahre dienen lassen
oder zweihunderttausend ein Jahr, kommt schließlich auf dasselbe hinaus."
Diesem letzten Satze muß doch wohl ein Fragezeichen angefügt werden. Der


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[0564] Die Bedeutung der deutschen Hceresverstärknng Leben gerufenen Einrichtung der „Krümper". Nur darf man nicht Übersehen, daß das Urbild der allgemeinen Wehrpflicht bei Scharnhorst von dem, was wir heute darunter verstehen, in mehr als einer Hinsicht abwich. Was Scharn¬ horst wollte, ist eigentlich nichts anderes als eine Miliz, wie sie die Schweiz heute besitzt — und wie wir sie nicht wollen. Wenigstens in absehbarer Zeit nicht, weil die Aufgaben kriegerischer Natur, die das deutsche Volk in dieser und wohl auch noch mindestens in der nächsten Generation zu lösen haben wird, nur mit einem für scharfe Offensive geschulten, jeden Tag schlagfertigen und kriegs¬ bereiten Heere zu lösen sind. Daß die politische Atmosphäre des europäischen Kulturkreises sich fortdauernd in einer elektrischen Hochspannung befindet, dürfte nach den Ereignissen der letzten Jahre und insbesondere nach jenen seit dem vorigen Sommer doch kaum mehr ernstlich bestreitbar sein. Wie stark die chauvinistische Strömung seit Jahresfrist in Frankreich gewachsen ist — vielleicht mit infolge unserer Zurückhaltung beim letzten Quinquennatsgesetz — kann man sogar aus sozialdemokratischen Zeitungen ersehen. Chauvinismus und Volks¬ strömungen in anderen Ländern können aber einmal plötzlich zur Entladung jener Hochspannung sühren. Und dann müssen wir über ein starkes, sofort schlagbereites, unseren Gegnern an Zahl und Güte überlegenes Heer verfügen. Denn so notwendig uns eine starke Flotte ist: das Schwergewicht unserer Rüstungen beruht im Landheere. Die letzten und wichtigsten Entscheidungen in einem künftigen Kriege werden auf dem Schlachtfelde, nicht auf der See geschlagen werden. Weil wir ein schlagfertiges Heer brauchen und weil ein solches nur möglich ist, wenn hinreichend Zeit auf Ausbildung und Erziehung verwendet werden kann, darf in absehbarer Zeit auch nicht an eine Herabsetzung der Dienstzeit gedacht werden. Im Gegenteil wird zu erwägen sein, wie sich ein Ausgleich treffen lassen könnte zwischen den unerläßlichen Anforderungen der Gegenwart und der Vorzugsstellung der Einjährigfreiwilligen. Es wird hierauf in anderem Zusammenhange näher zurückzukommen sein. Gelegentlich der zweiten Lesung der Heeresvorlage kam auch der preußische Kriegsminister aus die Frage einer Herabsetzung unserer Friedenspräsenzstärke zu sprechen, veranlaßt durch ver¬ schiedene, eine Verkürzung der Dienstzeit beantragende Resolutionen. Er erklärte eine Verminderung der Präsenzstärke wie der Dienstzeit für unmöglich, solange die politischen Verhältnisse Deutschlands sich nicht ändern. Dem ist durchaus zuzustimmen; hingegen erweckt die daran anknüpfende Betrachtung Bedenken. „Gehen wir aber zu einer geringeren Dienstzeit über, so vervielfältigen Sie die jährlich einzustellenden Rekrutenquoten. Abgesehen davon, daß wir die Zahl der Rekruten zurzeit nicht haben, so würden auch die volkswirtschaftlichen Vorteile, die von einer Verkürzung der Dienstzeit erhofft werden, in diesem Umfange nicht eintreten. Denn ob wir hunderttausend Leute zwei Jahre dienen lassen oder zweihunderttausend ein Jahr, kommt schließlich auf dasselbe hinaus." Diesem letzten Satze muß doch wohl ein Fragezeichen angefügt werden. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/564>, abgerufen am 29.06.2024.