Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung Staatsaufwand bleibt in beiden Fällen allerdings der gleiche und demgemäß Eine Verstümmelung erfuhr die Heeresvorlage leider gerade in dem Punkt, den Nicht minder wichtig als die militärische ist die politische Bedeutung der Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung Staatsaufwand bleibt in beiden Fällen allerdings der gleiche und demgemäß Eine Verstümmelung erfuhr die Heeresvorlage leider gerade in dem Punkt, den Nicht minder wichtig als die militärische ist die politische Bedeutung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321650"/> <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2365" prev="#ID_2364"> Staatsaufwand bleibt in beiden Fällen allerdings der gleiche und demgemäß<lb/> auch die Inanspruchnahme des Volksvermögens zu seiner Befriedigung. Während<lb/> aber im ersten Falle hunderttausend junge Männer zwei Jahre ihrer Erwerbs¬<lb/> tätigkeit entzogen und anderseits durch die Schule des militärischen Dienstes für<lb/> künftige volkswirtschaftliche Leistung ertüchtigt werden, bleiben andere hundert¬<lb/> tausend im ungestörten Broterwerb und werden der Schulung nicht teilhaftig,<lb/> die ihnen für das Volksganze einen höheren nationalökonomischen Wert verleiht.<lb/> Im zweiten Falle hingegen finden alle Wehrfähigen gleichmäßig Erwerbs¬<lb/> möglichkeit und Ertüchtigung; die zweihunderttausend werden gleichmäßig belastet<lb/> und gleichmäßig gefördert. Je mehr wir uns diesem gerechten Ausgleiche nähern,<lb/> desto mehr erreichen wir, was heute fehlt: eine wirkliche Durchführung der<lb/> allgemeinen Wehrpflicht. Damit kommt man allerdings wieder zunächst auf die<lb/> Forderung, wenigstens die Erscchreseroe zu Übungen heranzuziehen. Wenn die<lb/> Frage der Zukunftsaussichten der hierzu nötigen Leutnants und Unteroffiziere —<lb/> bei diesen ist zu berücksichtigen, daß heute schon erhebliche Schwierigkeiten für<lb/> Unterbringung der Militäranwärter bestehen — gelöst werden kann, dürfte auch<lb/> die Heeresverwaltung kaum mehr ernstlich widerstreben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2366"> Eine Verstümmelung erfuhr die Heeresvorlage leider gerade in dem Punkt, den<lb/> der preußische Kriegsminister als den wesentlichsten der ganzen Vorlage bezeichnet<lb/> hatte: bei den neuen Osfizierstellen. Es wurden mehrere Landwehrinspekteure<lb/> und die Oberstleutnants bei den Stäben der „kleinen" Jnfanterieregimenter<lb/> gestrichen. Warum, ist eigentlich nicht zu ersehen, auch aus den Berichten über<lb/> die Verhandlungen der Budgetkommission nicht zu entnehmen. Besonders die<lb/> Beschränkung der Zahl der Landwehrinspekteure ist sehr zu bedauern. Einmal<lb/> wegen der hierdurch vereitelten Entlastung der Brigadekommandeure vom Kontroll-<lb/> und Aushebungsgeschäft; sodann im Hinblick auf die neuerdings verursachte<lb/> Enttäuschung bezüglich besserer Gestaltung der Beförderungsverhältnisse. Für<lb/> die unteren und mittleren Grade ergibt sich ja infolge der neuen Kaderstellen<lb/> bei den Stäben der Regimenter eine momentane Beschleunigung des Vorriickens —<lb/> aber nur für die vorne stehenden. In Preußen kommt die Heeresverstärkung bei<lb/> der Infanterie etwa 150 Hauptleuten und 360 Oberleutnants, bei der Feldartillerie<lb/> etwa 50 Hauptleuten und 120 Oberleutnants zugute. Eine dauernde Besserung<lb/> kann nicht eintreten, da der Abfluß in höhere Stellen fehlt. Die von mir wiederholt<lb/> betonte Verstärkung des Oberbauch hat nun leider infolge der Ablehnung zahl¬<lb/> reicher Stellen von Landwehrinspckteuren nur recht bescheiden erfolgen können.<lb/> Hier wird wohl bei der nächsten Vorlage ein besonderer Nachdruck erfolgen<lb/> müssen. Überhaupt ist die Verjüngung des Offizierkorps in den mittleren<lb/> Graden — Hauptleute und Majore — dringend notwendig. Es wird dies<lb/> einerseits dazu beitragen, daß auch die lange Leutnantszeit gekürzt wird, anderseits<lb/> daß die Stellung des Regimentskommandeurs früher erreicht werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_2367" next="#ID_2368"> Nicht minder wichtig als die militärische ist die politische Bedeutung der<lb/> Heeresverstärkung. Für unsere innere Politik läßt die Einmütigkeit, mit der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0565]
Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung
Staatsaufwand bleibt in beiden Fällen allerdings der gleiche und demgemäß
auch die Inanspruchnahme des Volksvermögens zu seiner Befriedigung. Während
aber im ersten Falle hunderttausend junge Männer zwei Jahre ihrer Erwerbs¬
tätigkeit entzogen und anderseits durch die Schule des militärischen Dienstes für
künftige volkswirtschaftliche Leistung ertüchtigt werden, bleiben andere hundert¬
tausend im ungestörten Broterwerb und werden der Schulung nicht teilhaftig,
die ihnen für das Volksganze einen höheren nationalökonomischen Wert verleiht.
Im zweiten Falle hingegen finden alle Wehrfähigen gleichmäßig Erwerbs¬
möglichkeit und Ertüchtigung; die zweihunderttausend werden gleichmäßig belastet
und gleichmäßig gefördert. Je mehr wir uns diesem gerechten Ausgleiche nähern,
desto mehr erreichen wir, was heute fehlt: eine wirkliche Durchführung der
allgemeinen Wehrpflicht. Damit kommt man allerdings wieder zunächst auf die
Forderung, wenigstens die Erscchreseroe zu Übungen heranzuziehen. Wenn die
Frage der Zukunftsaussichten der hierzu nötigen Leutnants und Unteroffiziere —
bei diesen ist zu berücksichtigen, daß heute schon erhebliche Schwierigkeiten für
Unterbringung der Militäranwärter bestehen — gelöst werden kann, dürfte auch
die Heeresverwaltung kaum mehr ernstlich widerstreben.
Eine Verstümmelung erfuhr die Heeresvorlage leider gerade in dem Punkt, den
der preußische Kriegsminister als den wesentlichsten der ganzen Vorlage bezeichnet
hatte: bei den neuen Osfizierstellen. Es wurden mehrere Landwehrinspekteure
und die Oberstleutnants bei den Stäben der „kleinen" Jnfanterieregimenter
gestrichen. Warum, ist eigentlich nicht zu ersehen, auch aus den Berichten über
die Verhandlungen der Budgetkommission nicht zu entnehmen. Besonders die
Beschränkung der Zahl der Landwehrinspekteure ist sehr zu bedauern. Einmal
wegen der hierdurch vereitelten Entlastung der Brigadekommandeure vom Kontroll-
und Aushebungsgeschäft; sodann im Hinblick auf die neuerdings verursachte
Enttäuschung bezüglich besserer Gestaltung der Beförderungsverhältnisse. Für
die unteren und mittleren Grade ergibt sich ja infolge der neuen Kaderstellen
bei den Stäben der Regimenter eine momentane Beschleunigung des Vorriickens —
aber nur für die vorne stehenden. In Preußen kommt die Heeresverstärkung bei
der Infanterie etwa 150 Hauptleuten und 360 Oberleutnants, bei der Feldartillerie
etwa 50 Hauptleuten und 120 Oberleutnants zugute. Eine dauernde Besserung
kann nicht eintreten, da der Abfluß in höhere Stellen fehlt. Die von mir wiederholt
betonte Verstärkung des Oberbauch hat nun leider infolge der Ablehnung zahl¬
reicher Stellen von Landwehrinspckteuren nur recht bescheiden erfolgen können.
Hier wird wohl bei der nächsten Vorlage ein besonderer Nachdruck erfolgen
müssen. Überhaupt ist die Verjüngung des Offizierkorps in den mittleren
Graden — Hauptleute und Majore — dringend notwendig. Es wird dies
einerseits dazu beitragen, daß auch die lange Leutnantszeit gekürzt wird, anderseits
daß die Stellung des Regimentskommandeurs früher erreicht werden kann.
Nicht minder wichtig als die militärische ist die politische Bedeutung der
Heeresverstärkung. Für unsere innere Politik läßt die Einmütigkeit, mit der
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