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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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venezianische Nacht

zupfte an seinem graumelierten Schnurrbärtchen. Es war das Alltagsgesicht
eines Tagediebes und Lebemenschen, in dem das Gemeine, ein grober Zug ins
Sinnliche scharf hervorstach.

"Commandi Signore," erklang die helle Stimme Nellas, durch die ein
leises Zittern ging.

Der Glatzköpfige leerte das Spitzglas in einem Zuge, erhob sich, schwenkte
um das Buffetto und schritt zur Tür hinaus, indem er noch die Worte hinwarf:
"Ich habe mit der Mutter zu reden."

"Was ist denn das für ein widerwärtiges Gespenst?" fragte ich das Dirnlein,
dessen Wangen noch eine leichte Blässe deckte.

"Ich kenne ihn weiter nicht," erwiderte sie mit verhaltener Scheu. "Meine
Mutter nennt ihn nur den Marchese. Er wohnt in einem stolzen Palast auf
der Giudecca und kommt seit einiger Zeit jede Woche, verlangt nach der Mutter
und läßt immer einen Notenschein zurück. Ich habe so Angst vor dem Menschen.
Nicht wahr, Ihnen darf ich es schon sagen. Sie meinen es gut mit mir?
Sie sind ja fremd hier und ziehen bald wieder fort. -- Einmal kniff er mich
in die Wange, aber ich schlug ihm ins Gesicht, worauf er lachte und höhnend
rief: ,Warte nur, flügges Herzchen/ Die Mutter aber schalt mich und rühmte
den Unhold, wie er reich sei und Gefallen an mir finde. Wenn er kommt,
möchte ich fliehen, aber ich weiß nicht wohin."

Ich tröstete das verängstigte Kind, dem eine Träne in den Wimpern hing,
aber es war mir zumute wie einem Verirrten, der im Nebel herumtappt, tapfer
draus losschreitet und doch nicht ans Ziel kommt. Als ich gute Nacht wünschte,
drückte sie in tiefer Wehmut lange meine Hand und ließ sie erst unter der Tür
los, wo sie mir nachschaute, bis ich aus dem Gäßchen in die Piazza einbog.
Die Obstfrau mit den hundert Runzeln im Gesicht, die vor ihrem Fruchtstäuder
saß und den Tageserlös nachzahlte, überrannte ich beinahe.

Am nächsten Tage war ich früher als sonst mit der Arbeit zu Ende. Es
trieb mich zu dem blonden Mädchen, das auf mich wartete.

In der Buvette saß anstatt der Tochter die Alte im Winkel über einen
Papierbogen geneigt, den sie mühsam entzifferte. Bei meinem Erscheinen faltete
sie den Fetzen und schob ihn in die Tasche. Ans Tischchen heranhumpelnd
fragte sie mit süßlicher Unterwürfigkeit nach meinem Wunsche. Ich suchte ein
Gespräch über den Marchese anzuknüpfen. Die Alte verkniff jedoch die Augen,
riß sie wieder auf und bohrte den Blick in mich. "Er kommt diese Woche
nicht mehr und ich weiß nur, was alle Welt von ihm weiß," sagte sie aus¬
weichend, machte sich beim Schenktisch zu schaffen und klappte laut mit den
Gläsern, um weitere Fragen überhören zu können.

Da erschien nella mit einer Schale flaumiger Pfirsiche, die sie vor mich
hinstellte. "Ich habe der armen Obstfrau da drüben ein Kleines abgekauft.
Sie ist immer so lieb zu mir."


venezianische Nacht

zupfte an seinem graumelierten Schnurrbärtchen. Es war das Alltagsgesicht
eines Tagediebes und Lebemenschen, in dem das Gemeine, ein grober Zug ins
Sinnliche scharf hervorstach.

„Commandi Signore," erklang die helle Stimme Nellas, durch die ein
leises Zittern ging.

Der Glatzköpfige leerte das Spitzglas in einem Zuge, erhob sich, schwenkte
um das Buffetto und schritt zur Tür hinaus, indem er noch die Worte hinwarf:
„Ich habe mit der Mutter zu reden."

„Was ist denn das für ein widerwärtiges Gespenst?" fragte ich das Dirnlein,
dessen Wangen noch eine leichte Blässe deckte.

„Ich kenne ihn weiter nicht," erwiderte sie mit verhaltener Scheu. „Meine
Mutter nennt ihn nur den Marchese. Er wohnt in einem stolzen Palast auf
der Giudecca und kommt seit einiger Zeit jede Woche, verlangt nach der Mutter
und läßt immer einen Notenschein zurück. Ich habe so Angst vor dem Menschen.
Nicht wahr, Ihnen darf ich es schon sagen. Sie meinen es gut mit mir?
Sie sind ja fremd hier und ziehen bald wieder fort. — Einmal kniff er mich
in die Wange, aber ich schlug ihm ins Gesicht, worauf er lachte und höhnend
rief: ,Warte nur, flügges Herzchen/ Die Mutter aber schalt mich und rühmte
den Unhold, wie er reich sei und Gefallen an mir finde. Wenn er kommt,
möchte ich fliehen, aber ich weiß nicht wohin."

Ich tröstete das verängstigte Kind, dem eine Träne in den Wimpern hing,
aber es war mir zumute wie einem Verirrten, der im Nebel herumtappt, tapfer
draus losschreitet und doch nicht ans Ziel kommt. Als ich gute Nacht wünschte,
drückte sie in tiefer Wehmut lange meine Hand und ließ sie erst unter der Tür
los, wo sie mir nachschaute, bis ich aus dem Gäßchen in die Piazza einbog.
Die Obstfrau mit den hundert Runzeln im Gesicht, die vor ihrem Fruchtstäuder
saß und den Tageserlös nachzahlte, überrannte ich beinahe.

Am nächsten Tage war ich früher als sonst mit der Arbeit zu Ende. Es
trieb mich zu dem blonden Mädchen, das auf mich wartete.

In der Buvette saß anstatt der Tochter die Alte im Winkel über einen
Papierbogen geneigt, den sie mühsam entzifferte. Bei meinem Erscheinen faltete
sie den Fetzen und schob ihn in die Tasche. Ans Tischchen heranhumpelnd
fragte sie mit süßlicher Unterwürfigkeit nach meinem Wunsche. Ich suchte ein
Gespräch über den Marchese anzuknüpfen. Die Alte verkniff jedoch die Augen,
riß sie wieder auf und bohrte den Blick in mich. „Er kommt diese Woche
nicht mehr und ich weiß nur, was alle Welt von ihm weiß," sagte sie aus¬
weichend, machte sich beim Schenktisch zu schaffen und klappte laut mit den
Gläsern, um weitere Fragen überhören zu können.

Da erschien nella mit einer Schale flaumiger Pfirsiche, die sie vor mich
hinstellte. „Ich habe der armen Obstfrau da drüben ein Kleines abgekauft.
Sie ist immer so lieb zu mir."


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[0544] venezianische Nacht zupfte an seinem graumelierten Schnurrbärtchen. Es war das Alltagsgesicht eines Tagediebes und Lebemenschen, in dem das Gemeine, ein grober Zug ins Sinnliche scharf hervorstach. „Commandi Signore," erklang die helle Stimme Nellas, durch die ein leises Zittern ging. Der Glatzköpfige leerte das Spitzglas in einem Zuge, erhob sich, schwenkte um das Buffetto und schritt zur Tür hinaus, indem er noch die Worte hinwarf: „Ich habe mit der Mutter zu reden." „Was ist denn das für ein widerwärtiges Gespenst?" fragte ich das Dirnlein, dessen Wangen noch eine leichte Blässe deckte. „Ich kenne ihn weiter nicht," erwiderte sie mit verhaltener Scheu. „Meine Mutter nennt ihn nur den Marchese. Er wohnt in einem stolzen Palast auf der Giudecca und kommt seit einiger Zeit jede Woche, verlangt nach der Mutter und läßt immer einen Notenschein zurück. Ich habe so Angst vor dem Menschen. Nicht wahr, Ihnen darf ich es schon sagen. Sie meinen es gut mit mir? Sie sind ja fremd hier und ziehen bald wieder fort. — Einmal kniff er mich in die Wange, aber ich schlug ihm ins Gesicht, worauf er lachte und höhnend rief: ,Warte nur, flügges Herzchen/ Die Mutter aber schalt mich und rühmte den Unhold, wie er reich sei und Gefallen an mir finde. Wenn er kommt, möchte ich fliehen, aber ich weiß nicht wohin." Ich tröstete das verängstigte Kind, dem eine Träne in den Wimpern hing, aber es war mir zumute wie einem Verirrten, der im Nebel herumtappt, tapfer draus losschreitet und doch nicht ans Ziel kommt. Als ich gute Nacht wünschte, drückte sie in tiefer Wehmut lange meine Hand und ließ sie erst unter der Tür los, wo sie mir nachschaute, bis ich aus dem Gäßchen in die Piazza einbog. Die Obstfrau mit den hundert Runzeln im Gesicht, die vor ihrem Fruchtstäuder saß und den Tageserlös nachzahlte, überrannte ich beinahe. Am nächsten Tage war ich früher als sonst mit der Arbeit zu Ende. Es trieb mich zu dem blonden Mädchen, das auf mich wartete. In der Buvette saß anstatt der Tochter die Alte im Winkel über einen Papierbogen geneigt, den sie mühsam entzifferte. Bei meinem Erscheinen faltete sie den Fetzen und schob ihn in die Tasche. Ans Tischchen heranhumpelnd fragte sie mit süßlicher Unterwürfigkeit nach meinem Wunsche. Ich suchte ein Gespräch über den Marchese anzuknüpfen. Die Alte verkniff jedoch die Augen, riß sie wieder auf und bohrte den Blick in mich. „Er kommt diese Woche nicht mehr und ich weiß nur, was alle Welt von ihm weiß," sagte sie aus¬ weichend, machte sich beim Schenktisch zu schaffen und klappte laut mit den Gläsern, um weitere Fragen überhören zu können. Da erschien nella mit einer Schale flaumiger Pfirsiche, die sie vor mich hinstellte. „Ich habe der armen Obstfrau da drüben ein Kleines abgekauft. Sie ist immer so lieb zu mir."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/544>, abgerufen am 25.08.2024.