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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Venezianische Nacht

Als sie die Mutter bemerkte, schwieg sie. Die Alte zog den Vorhang, verjagte
mit einem Lappen das Fliegmgeschmeiß und schlürfte dann selber zur Tür hinaus.

nella sah blaß und müde ans, Die Goldkrone wölbte sich über der weißen
Stirne.

"Du hast wohl schlecht geschlafen, Bunda," redete ich sie an und zog sie
auf den Stuhl an meine Seite.

"Ich bin froh, daß du da bist," sagte sie traurig. "Ich habe die Nacht
zwischen Wachen und Weinen zugebracht. Die Mutter hat mir vor dem Zubette-
gehen gesagt, daß der Marchese mich zur Frau verlange. Du weißt schon -- nur
so für eine Woche. Und da hat sie mir ein goldenes Ketilein um den Hals
gehängt -- vom Signor Marchese, der mich liebe und mich grüßen lasse. Ich
habe die Kette in eine Ecke geschleudert, und dann hat die Mutter geschwiegen."

Der Zorn gegen den Schurken stieg mir zu Kopfe. Sollte sozusagen am
hellen Tage ein frevles Spiel mit dieser Unschuld getrieben werden. Und die
Mutter könnte um ein paar lumpige Hundertmarkscheine ihr eigenes Kind opfern!
Der Gedanke war entsetzlich.

nella verstand meine Aufregung. "Fürchte nur nichts für mich," fagte
sie mit gedämpfter Stimme. "Vorläufig ist die Gefahr nicht groß. Wenn er
sich unterstehen sollte, mich zu zwingen, so wird er mich nur tot in sein Hans
schleppen." Das sagte sie in ruhiger Ergebung. Aber das Kleid auf ihrer
Brust straffte sich und ein leises Wogen verriet, daß sie das Bangen auch nicht
mehr los werden konnte.

Ich stand auf und rief in voller Entrüstung: "Ich gehe noch heute auf die Polizei."

"O, wo denkst du hin, das wäre für uns -- für meine Mutter ganz sicher
der Ruin. Schon einmal -- nein, ich habe mir die Zukunft überlegt. Nächsten
Montag reise ich zu einer Freundin nach Padua. Dort bin ich in sicherer Hut
und dann komme ich nie mehr zurück. Morgen jedoch, da ist der elfte. Da
wollen wir zusammen gondeln. Die Garreggiante schwimmt schon auf dem
Wasser. Du kommst doch?"

"Um wie viel Uhr?"

"So zwischen acht und neun."

"Sagen wir um neun. Wo wollen wir uns treffen?"

Sie wies nach der Giuoecca. "Dort wo die Zattere in den großen
Kanal mündet."

"Und wenn du nicht dort bist --"

"Dann bin ich tot!" rief sie lächelnd und bot mir den Mund zum Kusse.
Als ich draußen zurückschaute, stand sie auf dem Sockel, doch nicht blaß wie
gestern, sondern mit purpurrotem Wangen. Es dämmerte schon in dem Gäßchen,
aber das korngelbe Haar schimmerte noch golden und leuchtete wie der ver¬
glimmende Schein der Abendsonne. Sie winkte mit der Hand und rief "felice molte".

(Schluß folgt)




Grenzboten II 191208
Venezianische Nacht

Als sie die Mutter bemerkte, schwieg sie. Die Alte zog den Vorhang, verjagte
mit einem Lappen das Fliegmgeschmeiß und schlürfte dann selber zur Tür hinaus.

nella sah blaß und müde ans, Die Goldkrone wölbte sich über der weißen
Stirne.

„Du hast wohl schlecht geschlafen, Bunda," redete ich sie an und zog sie
auf den Stuhl an meine Seite.

„Ich bin froh, daß du da bist," sagte sie traurig. „Ich habe die Nacht
zwischen Wachen und Weinen zugebracht. Die Mutter hat mir vor dem Zubette-
gehen gesagt, daß der Marchese mich zur Frau verlange. Du weißt schon — nur
so für eine Woche. Und da hat sie mir ein goldenes Ketilein um den Hals
gehängt — vom Signor Marchese, der mich liebe und mich grüßen lasse. Ich
habe die Kette in eine Ecke geschleudert, und dann hat die Mutter geschwiegen."

Der Zorn gegen den Schurken stieg mir zu Kopfe. Sollte sozusagen am
hellen Tage ein frevles Spiel mit dieser Unschuld getrieben werden. Und die
Mutter könnte um ein paar lumpige Hundertmarkscheine ihr eigenes Kind opfern!
Der Gedanke war entsetzlich.

nella verstand meine Aufregung. „Fürchte nur nichts für mich," fagte
sie mit gedämpfter Stimme. „Vorläufig ist die Gefahr nicht groß. Wenn er
sich unterstehen sollte, mich zu zwingen, so wird er mich nur tot in sein Hans
schleppen." Das sagte sie in ruhiger Ergebung. Aber das Kleid auf ihrer
Brust straffte sich und ein leises Wogen verriet, daß sie das Bangen auch nicht
mehr los werden konnte.

Ich stand auf und rief in voller Entrüstung: „Ich gehe noch heute auf die Polizei."

„O, wo denkst du hin, das wäre für uns — für meine Mutter ganz sicher
der Ruin. Schon einmal — nein, ich habe mir die Zukunft überlegt. Nächsten
Montag reise ich zu einer Freundin nach Padua. Dort bin ich in sicherer Hut
und dann komme ich nie mehr zurück. Morgen jedoch, da ist der elfte. Da
wollen wir zusammen gondeln. Die Garreggiante schwimmt schon auf dem
Wasser. Du kommst doch?"

„Um wie viel Uhr?"

„So zwischen acht und neun."

„Sagen wir um neun. Wo wollen wir uns treffen?"

Sie wies nach der Giuoecca. „Dort wo die Zattere in den großen
Kanal mündet."

„Und wenn du nicht dort bist —"

„Dann bin ich tot!" rief sie lächelnd und bot mir den Mund zum Kusse.
Als ich draußen zurückschaute, stand sie auf dem Sockel, doch nicht blaß wie
gestern, sondern mit purpurrotem Wangen. Es dämmerte schon in dem Gäßchen,
aber das korngelbe Haar schimmerte noch golden und leuchtete wie der ver¬
glimmende Schein der Abendsonne. Sie winkte mit der Hand und rief „felice molte".

(Schluß folgt)




Grenzboten II 191208
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[0545] Venezianische Nacht Als sie die Mutter bemerkte, schwieg sie. Die Alte zog den Vorhang, verjagte mit einem Lappen das Fliegmgeschmeiß und schlürfte dann selber zur Tür hinaus. nella sah blaß und müde ans, Die Goldkrone wölbte sich über der weißen Stirne. „Du hast wohl schlecht geschlafen, Bunda," redete ich sie an und zog sie auf den Stuhl an meine Seite. „Ich bin froh, daß du da bist," sagte sie traurig. „Ich habe die Nacht zwischen Wachen und Weinen zugebracht. Die Mutter hat mir vor dem Zubette- gehen gesagt, daß der Marchese mich zur Frau verlange. Du weißt schon — nur so für eine Woche. Und da hat sie mir ein goldenes Ketilein um den Hals gehängt — vom Signor Marchese, der mich liebe und mich grüßen lasse. Ich habe die Kette in eine Ecke geschleudert, und dann hat die Mutter geschwiegen." Der Zorn gegen den Schurken stieg mir zu Kopfe. Sollte sozusagen am hellen Tage ein frevles Spiel mit dieser Unschuld getrieben werden. Und die Mutter könnte um ein paar lumpige Hundertmarkscheine ihr eigenes Kind opfern! Der Gedanke war entsetzlich. nella verstand meine Aufregung. „Fürchte nur nichts für mich," fagte sie mit gedämpfter Stimme. „Vorläufig ist die Gefahr nicht groß. Wenn er sich unterstehen sollte, mich zu zwingen, so wird er mich nur tot in sein Hans schleppen." Das sagte sie in ruhiger Ergebung. Aber das Kleid auf ihrer Brust straffte sich und ein leises Wogen verriet, daß sie das Bangen auch nicht mehr los werden konnte. Ich stand auf und rief in voller Entrüstung: „Ich gehe noch heute auf die Polizei." „O, wo denkst du hin, das wäre für uns — für meine Mutter ganz sicher der Ruin. Schon einmal — nein, ich habe mir die Zukunft überlegt. Nächsten Montag reise ich zu einer Freundin nach Padua. Dort bin ich in sicherer Hut und dann komme ich nie mehr zurück. Morgen jedoch, da ist der elfte. Da wollen wir zusammen gondeln. Die Garreggiante schwimmt schon auf dem Wasser. Du kommst doch?" „Um wie viel Uhr?" „So zwischen acht und neun." „Sagen wir um neun. Wo wollen wir uns treffen?" Sie wies nach der Giuoecca. „Dort wo die Zattere in den großen Kanal mündet." „Und wenn du nicht dort bist —" „Dann bin ich tot!" rief sie lächelnd und bot mir den Mund zum Kusse. Als ich draußen zurückschaute, stand sie auf dem Sockel, doch nicht blaß wie gestern, sondern mit purpurrotem Wangen. Es dämmerte schon in dem Gäßchen, aber das korngelbe Haar schimmerte noch golden und leuchtete wie der ver¬ glimmende Schein der Abendsonne. Sie winkte mit der Hand und rief „felice molte". (Schluß folgt) Grenzboten II 191208

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/545>, abgerufen am 22.07.2024.