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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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venezianische Nacht

Da sitzt am Abend der junge Hirte mit der Sennerin in der gleichen Stube,
raucht einen sündhaft schlechte:? Knaster und sagt alle Pfeifenlängen ein Wort
zu der Dirne. Und wenn es stockdunkel ist im Gemach, so wünscht er gute
Nacht und sie schlüpft in die Nebenkammer und schläft so sicher und ruhig, als
ob die Erzengel bei der Tür Wache ständen."

"Chö-ass," machte sie, stützte das Kinn in die Hand und schwieg. Ich
rückte wieder um eine Spanne näher und legte den Arm um ihren Hals.
"Weißt nella, die Älplerinnen sind keine zierlichen Markustäubchen wie du
eines bist. Die haben dicke rote Backen und ein winziges Schneckenzöpfchen,
und wenn einer sie anrührt, so fauchen sie wie die Katzen. Wenn aber am
frühen Morgen über den Bergen die Sonne emporsteigt und jedem Felskopf
eine goldene Krone aufsetzt und die Wildbachorgeln das Morgenlied anstimmen,
so vergißt man die hausbackene Sprödigkeit der Sennerinnen, corpo ti Banco,
so großartig ist es auf den Bergen."

"Aber lange nicht so schön wie eine venezianische Nacht," wandte sie ein.
"Die kennen Sie wohl nicht?"

"O doch, in den Städten haben wir auch venezianische Nächte. Man sitzt
an großen Festtagen im Gärtchen, hängt einige Papierlaternen aus, raucht eine
feinere Sorte Tabak und trinkt fünf, sechs Flaschen Pils dazu. Das nennen
wir bei uns venezianische Nacht."

"Ohne Gondeln und das leuchtende Meer und ohne den Mond, der sich
im Wasser badet? Nein, was seid ihr für komische Leute. Am elften, da ist
das große Fest, da werden Sie staunen! Sie machen doch auch mit? Da fährt
ja die ganze Stadt in der Gondel I"

"Natürlich," rief ich aus. Ich hatte meine Sinne schon längst auf dieses
sonderbare Volksfest gerichtet. "Da sitzt man wie ein Gott im Stern der Gondel
und preßt das Liebchen in den Arm."

"Da werden Sie halt das Ihrige auch mitnehmen," sagte sie kokett und
beugte den Kopf zur Seite.

"Wenn sie nicht nella heißt," gelobte ich stürmisch, "so pfeife ich auf die
ganze Herrlichkeit mit der Giudecca und den Lagunen. Kommst mit, Colombina?"

"Aber die Mutter -- sie darf es nicht wissen. Ja, ich komme."

In ihren Augen sprühte es feuerheiß. Ein freudiges Lächeln ließ die
schneeweißen Zähne schimmern, dann flog ein Schatten über das reizende Gesicht.
Sie erhob sich rasch und starrte in jähem Schreck nach der Tür, unter der ein
hagerer Mensch mit schwarzen stechenden Augen erschien. Der vornehme Gast
musterte zuerst das Mädchen, dann mich mit einem Blick, in dem Hohn und
Verachtung lag. Ich war im Begriffe aufzubrechen, aber diesem blassen Fremd¬
ling zum Trotz blieb ich und bestellte noch einen Likör.

"Und mir bringst du nichts, Damigella?" ertönte die heisere Stimme des
unliebsamen Gastes. Er hatte sich ans andere Tischchen gesetzt, schlug jetzt die
Beine übereinander, zog die Handschuhe lässig von der schmalen Hand und


venezianische Nacht

Da sitzt am Abend der junge Hirte mit der Sennerin in der gleichen Stube,
raucht einen sündhaft schlechte:? Knaster und sagt alle Pfeifenlängen ein Wort
zu der Dirne. Und wenn es stockdunkel ist im Gemach, so wünscht er gute
Nacht und sie schlüpft in die Nebenkammer und schläft so sicher und ruhig, als
ob die Erzengel bei der Tür Wache ständen."

„Chö-ass," machte sie, stützte das Kinn in die Hand und schwieg. Ich
rückte wieder um eine Spanne näher und legte den Arm um ihren Hals.
„Weißt nella, die Älplerinnen sind keine zierlichen Markustäubchen wie du
eines bist. Die haben dicke rote Backen und ein winziges Schneckenzöpfchen,
und wenn einer sie anrührt, so fauchen sie wie die Katzen. Wenn aber am
frühen Morgen über den Bergen die Sonne emporsteigt und jedem Felskopf
eine goldene Krone aufsetzt und die Wildbachorgeln das Morgenlied anstimmen,
so vergißt man die hausbackene Sprödigkeit der Sennerinnen, corpo ti Banco,
so großartig ist es auf den Bergen."

„Aber lange nicht so schön wie eine venezianische Nacht," wandte sie ein.
„Die kennen Sie wohl nicht?"

„O doch, in den Städten haben wir auch venezianische Nächte. Man sitzt
an großen Festtagen im Gärtchen, hängt einige Papierlaternen aus, raucht eine
feinere Sorte Tabak und trinkt fünf, sechs Flaschen Pils dazu. Das nennen
wir bei uns venezianische Nacht."

„Ohne Gondeln und das leuchtende Meer und ohne den Mond, der sich
im Wasser badet? Nein, was seid ihr für komische Leute. Am elften, da ist
das große Fest, da werden Sie staunen! Sie machen doch auch mit? Da fährt
ja die ganze Stadt in der Gondel I"

„Natürlich," rief ich aus. Ich hatte meine Sinne schon längst auf dieses
sonderbare Volksfest gerichtet. „Da sitzt man wie ein Gott im Stern der Gondel
und preßt das Liebchen in den Arm."

„Da werden Sie halt das Ihrige auch mitnehmen," sagte sie kokett und
beugte den Kopf zur Seite.

„Wenn sie nicht nella heißt," gelobte ich stürmisch, „so pfeife ich auf die
ganze Herrlichkeit mit der Giudecca und den Lagunen. Kommst mit, Colombina?"

„Aber die Mutter — sie darf es nicht wissen. Ja, ich komme."

In ihren Augen sprühte es feuerheiß. Ein freudiges Lächeln ließ die
schneeweißen Zähne schimmern, dann flog ein Schatten über das reizende Gesicht.
Sie erhob sich rasch und starrte in jähem Schreck nach der Tür, unter der ein
hagerer Mensch mit schwarzen stechenden Augen erschien. Der vornehme Gast
musterte zuerst das Mädchen, dann mich mit einem Blick, in dem Hohn und
Verachtung lag. Ich war im Begriffe aufzubrechen, aber diesem blassen Fremd¬
ling zum Trotz blieb ich und bestellte noch einen Likör.

„Und mir bringst du nichts, Damigella?" ertönte die heisere Stimme des
unliebsamen Gastes. Er hatte sich ans andere Tischchen gesetzt, schlug jetzt die
Beine übereinander, zog die Handschuhe lässig von der schmalen Hand und


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[0543] venezianische Nacht Da sitzt am Abend der junge Hirte mit der Sennerin in der gleichen Stube, raucht einen sündhaft schlechte:? Knaster und sagt alle Pfeifenlängen ein Wort zu der Dirne. Und wenn es stockdunkel ist im Gemach, so wünscht er gute Nacht und sie schlüpft in die Nebenkammer und schläft so sicher und ruhig, als ob die Erzengel bei der Tür Wache ständen." „Chö-ass," machte sie, stützte das Kinn in die Hand und schwieg. Ich rückte wieder um eine Spanne näher und legte den Arm um ihren Hals. „Weißt nella, die Älplerinnen sind keine zierlichen Markustäubchen wie du eines bist. Die haben dicke rote Backen und ein winziges Schneckenzöpfchen, und wenn einer sie anrührt, so fauchen sie wie die Katzen. Wenn aber am frühen Morgen über den Bergen die Sonne emporsteigt und jedem Felskopf eine goldene Krone aufsetzt und die Wildbachorgeln das Morgenlied anstimmen, so vergißt man die hausbackene Sprödigkeit der Sennerinnen, corpo ti Banco, so großartig ist es auf den Bergen." „Aber lange nicht so schön wie eine venezianische Nacht," wandte sie ein. „Die kennen Sie wohl nicht?" „O doch, in den Städten haben wir auch venezianische Nächte. Man sitzt an großen Festtagen im Gärtchen, hängt einige Papierlaternen aus, raucht eine feinere Sorte Tabak und trinkt fünf, sechs Flaschen Pils dazu. Das nennen wir bei uns venezianische Nacht." „Ohne Gondeln und das leuchtende Meer und ohne den Mond, der sich im Wasser badet? Nein, was seid ihr für komische Leute. Am elften, da ist das große Fest, da werden Sie staunen! Sie machen doch auch mit? Da fährt ja die ganze Stadt in der Gondel I" „Natürlich," rief ich aus. Ich hatte meine Sinne schon längst auf dieses sonderbare Volksfest gerichtet. „Da sitzt man wie ein Gott im Stern der Gondel und preßt das Liebchen in den Arm." „Da werden Sie halt das Ihrige auch mitnehmen," sagte sie kokett und beugte den Kopf zur Seite. „Wenn sie nicht nella heißt," gelobte ich stürmisch, „so pfeife ich auf die ganze Herrlichkeit mit der Giudecca und den Lagunen. Kommst mit, Colombina?" „Aber die Mutter — sie darf es nicht wissen. Ja, ich komme." In ihren Augen sprühte es feuerheiß. Ein freudiges Lächeln ließ die schneeweißen Zähne schimmern, dann flog ein Schatten über das reizende Gesicht. Sie erhob sich rasch und starrte in jähem Schreck nach der Tür, unter der ein hagerer Mensch mit schwarzen stechenden Augen erschien. Der vornehme Gast musterte zuerst das Mädchen, dann mich mit einem Blick, in dem Hohn und Verachtung lag. Ich war im Begriffe aufzubrechen, aber diesem blassen Fremd¬ ling zum Trotz blieb ich und bestellte noch einen Likör. „Und mir bringst du nichts, Damigella?" ertönte die heisere Stimme des unliebsamen Gastes. Er hatte sich ans andere Tischchen gesetzt, schlug jetzt die Beine übereinander, zog die Handschuhe lässig von der schmalen Hand und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/543>, abgerufen am 28.09.2024.