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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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venezianische Nacht

Gardinen an den beiden Fensterchen, das kühle Halbdunkel, der herbe Tama¬
rindensaft und die prachtvollen Zöpfe hinter dem Schenktisch ließen mich den
heißen Dunst der Archivräume und die verzwickten Schnörkelschriften der Perga¬
mente bald vergessen. Ich plauderte als einziger Gast mit der schönen Venezianerin
über das Viertelstündchen, das ich mir sonst gewährte, hinaus. Lange konnte
ich in dem Dämmer die Farbe ihrer Augen nicht herausfinden. Sie waren
groß und mandelförmig geschnitten und blitzten wie der fein geschliffene Kelch
auf dem Türmchen des Buffetto. Über ihre weichen Lippen sprudelten die Worte
so frisch und klar wie ein lauteres Schneebächlein, das durch blumige Alp¬
triften rieselt, und eine Stunde verging, ich wußte nicht wie.

Jeden Tag kehrte ich fortan bei der blonden nella ein, die ich als schlichtes
Kind der Markusstadt kennen lernte. Sie hauste mit einer häßlichen bogen-
nasigen Alten, deren Züge wie aus Erz gegossen schienen und die sie Mutter
nannte, obschon die beiden im Gesicht kein Strichlein und kein Tüpfelchen
gemein hatten. Im Benehmen der Tochter war bei aller Kindlichkeit eine
vornehme Grazie, etwas ungemein Sympathisches, das meine Blicke gefangen
nahm. In den Augen der Mutter, die sich uur selten zeigte, lag aber ein
grüner giftiger Glanz, so daß ich unwillkürlich vorbeischaute, wenn sie ein Wort
an mich richtete.

Ich bin im Grunde ein guter, einfältiger Kerl, buona pasta, wie die
Italiener sagen. Wenn ich mit einem unschuldigen Lämmchen scharmutziere, so
kommen mir immer Heiratsgedanken. Um die Schulbildung Nellas jedoch stand
es erbärmlich schlecht, wie man es bei einem Volkskinde Italiens nicht anders
erwarten durfte. Beim Lesen stockte sie häufig. Eine Zeitung hielt die Mutter
nicht und Bücher besaß sie keine. Die Stadt Venedig umfaßte in ihren kind¬
haften Vorstellungen die halbe Welt. Von dem, was zu beiden Seiten von
San Marco lag, jenseits des Lido und der Küste des Festlandes, hatte sie nur
eine verschleierte Vorstellung -- hier das Meer, dort Getreideäcker und Mais¬
felder und ganz in der Ferne die waldigen Alpen.

"Haben Sie in der Schweiz auch Berge, wie man sie vom Markusturm
aus erblickt?" fragte sie einmal mit Heller Sopranstimme, oder "gibt es in der
Schweiz auch ein Meer mit großen Schiffen?"

"Nein, Donzella mia," erwiderte ich. "Wir haben wohl hohe Berge
mit Schnee und Eis darauf auch im Sommer, aber kein großes schönes Meer
wie die Adria."

"Prrr!" schnurrte sie, öffnete die lachenden Augen und schüttelte den
schweren Haarschopf. "Eis und Schnee auch jetzt noch bei der Hitze! In der
Schweiz möchte ich nicht wohnen. Und Sie sind doch so fröhlich wie wir und
haben Feuer in den Augen."

Ich streichelte die schmale weiße Hand und rückte den Stuhl näher, indem
ich sagte: "Die Schweizer sind sonst die reinsten Eiszapfen. Auf den Bergen
zum Exempel befinden sich große Weiden, wo im Sommer die Herden grasen.


venezianische Nacht

Gardinen an den beiden Fensterchen, das kühle Halbdunkel, der herbe Tama¬
rindensaft und die prachtvollen Zöpfe hinter dem Schenktisch ließen mich den
heißen Dunst der Archivräume und die verzwickten Schnörkelschriften der Perga¬
mente bald vergessen. Ich plauderte als einziger Gast mit der schönen Venezianerin
über das Viertelstündchen, das ich mir sonst gewährte, hinaus. Lange konnte
ich in dem Dämmer die Farbe ihrer Augen nicht herausfinden. Sie waren
groß und mandelförmig geschnitten und blitzten wie der fein geschliffene Kelch
auf dem Türmchen des Buffetto. Über ihre weichen Lippen sprudelten die Worte
so frisch und klar wie ein lauteres Schneebächlein, das durch blumige Alp¬
triften rieselt, und eine Stunde verging, ich wußte nicht wie.

Jeden Tag kehrte ich fortan bei der blonden nella ein, die ich als schlichtes
Kind der Markusstadt kennen lernte. Sie hauste mit einer häßlichen bogen-
nasigen Alten, deren Züge wie aus Erz gegossen schienen und die sie Mutter
nannte, obschon die beiden im Gesicht kein Strichlein und kein Tüpfelchen
gemein hatten. Im Benehmen der Tochter war bei aller Kindlichkeit eine
vornehme Grazie, etwas ungemein Sympathisches, das meine Blicke gefangen
nahm. In den Augen der Mutter, die sich uur selten zeigte, lag aber ein
grüner giftiger Glanz, so daß ich unwillkürlich vorbeischaute, wenn sie ein Wort
an mich richtete.

Ich bin im Grunde ein guter, einfältiger Kerl, buona pasta, wie die
Italiener sagen. Wenn ich mit einem unschuldigen Lämmchen scharmutziere, so
kommen mir immer Heiratsgedanken. Um die Schulbildung Nellas jedoch stand
es erbärmlich schlecht, wie man es bei einem Volkskinde Italiens nicht anders
erwarten durfte. Beim Lesen stockte sie häufig. Eine Zeitung hielt die Mutter
nicht und Bücher besaß sie keine. Die Stadt Venedig umfaßte in ihren kind¬
haften Vorstellungen die halbe Welt. Von dem, was zu beiden Seiten von
San Marco lag, jenseits des Lido und der Küste des Festlandes, hatte sie nur
eine verschleierte Vorstellung — hier das Meer, dort Getreideäcker und Mais¬
felder und ganz in der Ferne die waldigen Alpen.

„Haben Sie in der Schweiz auch Berge, wie man sie vom Markusturm
aus erblickt?" fragte sie einmal mit Heller Sopranstimme, oder „gibt es in der
Schweiz auch ein Meer mit großen Schiffen?"

„Nein, Donzella mia," erwiderte ich. „Wir haben wohl hohe Berge
mit Schnee und Eis darauf auch im Sommer, aber kein großes schönes Meer
wie die Adria."

„Prrr!" schnurrte sie, öffnete die lachenden Augen und schüttelte den
schweren Haarschopf. „Eis und Schnee auch jetzt noch bei der Hitze! In der
Schweiz möchte ich nicht wohnen. Und Sie sind doch so fröhlich wie wir und
haben Feuer in den Augen."

Ich streichelte die schmale weiße Hand und rückte den Stuhl näher, indem
ich sagte: „Die Schweizer sind sonst die reinsten Eiszapfen. Auf den Bergen
zum Exempel befinden sich große Weiden, wo im Sommer die Herden grasen.


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[0542] venezianische Nacht Gardinen an den beiden Fensterchen, das kühle Halbdunkel, der herbe Tama¬ rindensaft und die prachtvollen Zöpfe hinter dem Schenktisch ließen mich den heißen Dunst der Archivräume und die verzwickten Schnörkelschriften der Perga¬ mente bald vergessen. Ich plauderte als einziger Gast mit der schönen Venezianerin über das Viertelstündchen, das ich mir sonst gewährte, hinaus. Lange konnte ich in dem Dämmer die Farbe ihrer Augen nicht herausfinden. Sie waren groß und mandelförmig geschnitten und blitzten wie der fein geschliffene Kelch auf dem Türmchen des Buffetto. Über ihre weichen Lippen sprudelten die Worte so frisch und klar wie ein lauteres Schneebächlein, das durch blumige Alp¬ triften rieselt, und eine Stunde verging, ich wußte nicht wie. Jeden Tag kehrte ich fortan bei der blonden nella ein, die ich als schlichtes Kind der Markusstadt kennen lernte. Sie hauste mit einer häßlichen bogen- nasigen Alten, deren Züge wie aus Erz gegossen schienen und die sie Mutter nannte, obschon die beiden im Gesicht kein Strichlein und kein Tüpfelchen gemein hatten. Im Benehmen der Tochter war bei aller Kindlichkeit eine vornehme Grazie, etwas ungemein Sympathisches, das meine Blicke gefangen nahm. In den Augen der Mutter, die sich uur selten zeigte, lag aber ein grüner giftiger Glanz, so daß ich unwillkürlich vorbeischaute, wenn sie ein Wort an mich richtete. Ich bin im Grunde ein guter, einfältiger Kerl, buona pasta, wie die Italiener sagen. Wenn ich mit einem unschuldigen Lämmchen scharmutziere, so kommen mir immer Heiratsgedanken. Um die Schulbildung Nellas jedoch stand es erbärmlich schlecht, wie man es bei einem Volkskinde Italiens nicht anders erwarten durfte. Beim Lesen stockte sie häufig. Eine Zeitung hielt die Mutter nicht und Bücher besaß sie keine. Die Stadt Venedig umfaßte in ihren kind¬ haften Vorstellungen die halbe Welt. Von dem, was zu beiden Seiten von San Marco lag, jenseits des Lido und der Küste des Festlandes, hatte sie nur eine verschleierte Vorstellung — hier das Meer, dort Getreideäcker und Mais¬ felder und ganz in der Ferne die waldigen Alpen. „Haben Sie in der Schweiz auch Berge, wie man sie vom Markusturm aus erblickt?" fragte sie einmal mit Heller Sopranstimme, oder „gibt es in der Schweiz auch ein Meer mit großen Schiffen?" „Nein, Donzella mia," erwiderte ich. „Wir haben wohl hohe Berge mit Schnee und Eis darauf auch im Sommer, aber kein großes schönes Meer wie die Adria." „Prrr!" schnurrte sie, öffnete die lachenden Augen und schüttelte den schweren Haarschopf. „Eis und Schnee auch jetzt noch bei der Hitze! In der Schweiz möchte ich nicht wohnen. Und Sie sind doch so fröhlich wie wir und haben Feuer in den Augen." Ich streichelte die schmale weiße Hand und rückte den Stuhl näher, indem ich sagte: „Die Schweizer sind sonst die reinsten Eiszapfen. Auf den Bergen zum Exempel befinden sich große Weiden, wo im Sommer die Herden grasen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/542>, abgerufen am 26.06.2024.