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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

ein in der Germania (Ur. 272 vom 27. November 1909) erschienener Auf¬
sehen erregender Artikel "Klarheit und Wahrheit" die Antwort brachte, an die
sich dann weitere Auseinandersetzungen knüpften.

Zu besonders lebhaften Debatten führte eine im Jahre 1910 erschienene
Broschüre des Kaplans Schonen "Köln eine innere Gefahr für den deutschen
Katholizismus", die zwar seitens des Abg. Roeren eine Empfehlung erhielt, im
übrigen aber, wie gesagt, fast von der gesamten Zentrumspresse abgelehnt wurde.
In dieser Broschüre sollte ursprünglich auch ein seitens des Herrn Kardinal¬
fürstbischofs Dr. Kopp an Frl. von Schalscha-Ehrenfeld in Berlin, die Vor¬
sitzende des Vereins erwerbstätiger Frauen und Mädchen, unterm 12. Januar
1910 gerichteter Privatbrief, der auch auf den erwähnten Hochland-Artikel Pro¬
fessor Spahns Bezug nahm, veröffentlicht werden. Dies unterblieb zwar auf
Intervention der von dem Verleger des Buches, Dr. Dietzsch, verständigten
Dr. Fleischer und Assessor von Scwigny; aber dennoch erschien der Brief, der
bekanntlich die Wendung von einer "Verseuchung des Westens" enthielt, bald
darauf im Berliner Tageblatt, von wo er dann seinen Lauf durch die gesamte
Presse nahm und hier endlose Debatten hervorrief.

Inzwischen hatte die Kandidatur spähn in Warburg-Höxter einen neuen
Streitfall hervorgerufen. Anläßlich des Augsburger Katholikentages veröffent¬
lichten vierzehn Zentrumsabgeordnete, darunter die Abgeordneten Erzberger und
Graf Oppersdorff, einen offenen Brief an Prof. Dr. M. Spahn, in dem sie
ihn unter Hinweis auf Einzelheiten seiner publizistischen Tätigkeit aufforderten,
von seiner Kandidatur zurückzutreten. Professor spähn hielt aber an seiner
Kandidatur fest, wurde gewählt und nachher auch in die Zentrumsfraktion auf¬
genommen. Eine von Graf Oppersdorff verfaßte, zunächst vertraulich versandte,
später auch im Buchhandel erschienene Broschüre "Ist Martin Spahn Zentrums¬
mann?" vermochte diese Aufnahme nicht zu hindern. Im übrigen beschäftigte
die Angelegenheit noch längere Zeit die Öffentlichkeit.

Viel Staub wirbelte alsdann eine am 25. September 1910 in Dortmund
gehaltene Rede des Verlegers der Tremonia, Lambert Lensing, gegen die
"Marodeure im eigenen Lager" auf, die einen "Notschrei" an die bischöfliche
Behörde in Breslau enthielt. Ein Teil der Zentrumspresse, vor allem die
Kölnische Volkszeitung, nahm hierbei scharf für Herrn Lensing, ein anderer, so
besonders die Germania und das Deutsche Volksblatt, gegen diesen Stellung.
Abg. Erzberger veröffentlichte in seiner Korrespondenz einen Brief des Abg.
Graf Oppersdorff.gegen Herrn Lensing und den ebenfalls in Dortmund als
Redner aufgetretenen Grafen Penschina. Auch in dieser ganzen Polemik, wie
im Falle spähn, ist das konfessionelle Moment der leitende Faden. Im Falle
Spahn haben wir -- neben anderen Punkten -- vor allem die Anzweiflung
der orthodox katholischen Gesinnung Professor Spahns, wogegen letzterer sich
zur Wehre setzt. Im Dortmunder Falle haben wir auf der einen Seite die
übermäßig scharfe Sprache Lensings, die nur aus der Befürchtung einer


Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

ein in der Germania (Ur. 272 vom 27. November 1909) erschienener Auf¬
sehen erregender Artikel „Klarheit und Wahrheit" die Antwort brachte, an die
sich dann weitere Auseinandersetzungen knüpften.

Zu besonders lebhaften Debatten führte eine im Jahre 1910 erschienene
Broschüre des Kaplans Schonen „Köln eine innere Gefahr für den deutschen
Katholizismus", die zwar seitens des Abg. Roeren eine Empfehlung erhielt, im
übrigen aber, wie gesagt, fast von der gesamten Zentrumspresse abgelehnt wurde.
In dieser Broschüre sollte ursprünglich auch ein seitens des Herrn Kardinal¬
fürstbischofs Dr. Kopp an Frl. von Schalscha-Ehrenfeld in Berlin, die Vor¬
sitzende des Vereins erwerbstätiger Frauen und Mädchen, unterm 12. Januar
1910 gerichteter Privatbrief, der auch auf den erwähnten Hochland-Artikel Pro¬
fessor Spahns Bezug nahm, veröffentlicht werden. Dies unterblieb zwar auf
Intervention der von dem Verleger des Buches, Dr. Dietzsch, verständigten
Dr. Fleischer und Assessor von Scwigny; aber dennoch erschien der Brief, der
bekanntlich die Wendung von einer „Verseuchung des Westens" enthielt, bald
darauf im Berliner Tageblatt, von wo er dann seinen Lauf durch die gesamte
Presse nahm und hier endlose Debatten hervorrief.

Inzwischen hatte die Kandidatur spähn in Warburg-Höxter einen neuen
Streitfall hervorgerufen. Anläßlich des Augsburger Katholikentages veröffent¬
lichten vierzehn Zentrumsabgeordnete, darunter die Abgeordneten Erzberger und
Graf Oppersdorff, einen offenen Brief an Prof. Dr. M. Spahn, in dem sie
ihn unter Hinweis auf Einzelheiten seiner publizistischen Tätigkeit aufforderten,
von seiner Kandidatur zurückzutreten. Professor spähn hielt aber an seiner
Kandidatur fest, wurde gewählt und nachher auch in die Zentrumsfraktion auf¬
genommen. Eine von Graf Oppersdorff verfaßte, zunächst vertraulich versandte,
später auch im Buchhandel erschienene Broschüre „Ist Martin Spahn Zentrums¬
mann?" vermochte diese Aufnahme nicht zu hindern. Im übrigen beschäftigte
die Angelegenheit noch längere Zeit die Öffentlichkeit.

Viel Staub wirbelte alsdann eine am 25. September 1910 in Dortmund
gehaltene Rede des Verlegers der Tremonia, Lambert Lensing, gegen die
„Marodeure im eigenen Lager" auf, die einen „Notschrei" an die bischöfliche
Behörde in Breslau enthielt. Ein Teil der Zentrumspresse, vor allem die
Kölnische Volkszeitung, nahm hierbei scharf für Herrn Lensing, ein anderer, so
besonders die Germania und das Deutsche Volksblatt, gegen diesen Stellung.
Abg. Erzberger veröffentlichte in seiner Korrespondenz einen Brief des Abg.
Graf Oppersdorff.gegen Herrn Lensing und den ebenfalls in Dortmund als
Redner aufgetretenen Grafen Penschina. Auch in dieser ganzen Polemik, wie
im Falle spähn, ist das konfessionelle Moment der leitende Faden. Im Falle
Spahn haben wir — neben anderen Punkten — vor allem die Anzweiflung
der orthodox katholischen Gesinnung Professor Spahns, wogegen letzterer sich
zur Wehre setzt. Im Dortmunder Falle haben wir auf der einen Seite die
übermäßig scharfe Sprache Lensings, die nur aus der Befürchtung einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/533>, abgerufen am 23.07.2024.