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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

Dagegen machte sich der Gewerkschaftsstreit auch bei diesen Erörterungen
insofern unangenehm bemerkbar, als er in großen Kreisen eine mehr oder minder
große gegenseitige Gereiztheit und vor allem gegenseitiges Mißtrauen geschaffen
hatte. Die Folge davon war. daß bei der Erörterung solcher Fragen, die mit
der Gewerkschaftsbewegung an und für sich nichts zu tun hatten, gefürchtet
wurde, die Stellungnahme in ersteren könne doch auf die Beurteilung der
Gewerkschaftsfrage von Einfluß sein. Ja auf feiten der Anhänger der christ¬
lichen Gewerkschaftsbewegung innerhalb des Zentrums wurde vielfach die Be¬
fürchtung gehegt, die Kreise, die für eine stärkere Betonung des religiösen
Moments in der Öffentlichkeit eintraten, wollten auch die christlichen Gewerk¬
schaften bekämpfen und überdies gar noch das Zentrum zu einer konfessionellen
Partei umgestalten. Umgekehrt machte sich auf der anderen Seite der Argwohn
geltend, den Verteidigern der christlichen Gewerkschaftsidee sei es nicht nur um
die Verteidigung dieser, oder um die infolge der Angriffe aus anderen Partei¬
lagern notwendige Verteidigung des allerseits anerkannten politischen, nicht
konfessionellen Charakters der Zentrumspartei zu tun, sondern ihr Streben gehe
auf eine Zurückdrängung des religiösen Momentes im öffentlichen Leben über¬
haupt. Dazu trat die Furcht, es könne durch das gehäufte, ohne anscheinend
hinreichenden Anlaß immer wiederholte Betonen des nicht konfessionellen Charakters
der Zentrumspartei das Bewußtsein der katholischen Zentrumswählerschaft Schaden
leiden, daß das Zentrum als die politische Organisation der deutschen Katholiken
vor allem seine Wurzeln im katholischen Volke habe, und daß es daher auch
berufen sei. der katholischen Weltanschauung bei der Behandlung der einschlägigen
Fragen, soweit Verfassung und Parteiprogramm dies zulassen, den gebührenden
Einfluß einzuräumen.

So geschah es. daß oft an und für sich harmlose und belanglose Äuße¬
rungen durch die Deutungen der anderen Seite eine ganz verfängliche Aus¬
legung erhielten, was dann wieder neuen Anlaß zu oft scharfen Polemiken gab.
Dazu kam der Umstand, daß der katholische Volksverein, also eine ausgesprochene
konfessionelle Organisation, sich von Anfang an ausschließlich für die inter¬
konfessionelle christliche Gewerkschaftsbewegung betätigte. Das machte ihn in
manchen auf feiten der Berliner Arbeiterbewegung stehenden katholischen Kreisen
unbeliebt, und statt Förderung fand er dort eine sehr kühle Aufnahme, so daß
als weitere Folge des Gewerkschaftsstreitcs die Tatsache zu verzeichnen war, daß
ein von Windthorst ins Leben gerufener, für das ganze katholische Volk bestimmter
Verein gerade in jenen katholischen Kreisen auf Widerstand stieß, die nirgendwo
das katholische Moment ausgeschaltet wissen wollen.

Unter allen Zentrumsblättern war keines, das sich so entschieden und nach¬
drücklich der christlichen Gewerkschaften annahm, und weiter so andauernd und
energisch, in so konsequenter Weise für den politischen, nicht konfessionellen
Charakter der Zentrumspartei eintrat, wie die Kölnische Volkszeitung, meist in
geschickter Weise, mitunter aber auch weniger glücklich und hier und da direkt


Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

Dagegen machte sich der Gewerkschaftsstreit auch bei diesen Erörterungen
insofern unangenehm bemerkbar, als er in großen Kreisen eine mehr oder minder
große gegenseitige Gereiztheit und vor allem gegenseitiges Mißtrauen geschaffen
hatte. Die Folge davon war. daß bei der Erörterung solcher Fragen, die mit
der Gewerkschaftsbewegung an und für sich nichts zu tun hatten, gefürchtet
wurde, die Stellungnahme in ersteren könne doch auf die Beurteilung der
Gewerkschaftsfrage von Einfluß sein. Ja auf feiten der Anhänger der christ¬
lichen Gewerkschaftsbewegung innerhalb des Zentrums wurde vielfach die Be¬
fürchtung gehegt, die Kreise, die für eine stärkere Betonung des religiösen
Moments in der Öffentlichkeit eintraten, wollten auch die christlichen Gewerk¬
schaften bekämpfen und überdies gar noch das Zentrum zu einer konfessionellen
Partei umgestalten. Umgekehrt machte sich auf der anderen Seite der Argwohn
geltend, den Verteidigern der christlichen Gewerkschaftsidee sei es nicht nur um
die Verteidigung dieser, oder um die infolge der Angriffe aus anderen Partei¬
lagern notwendige Verteidigung des allerseits anerkannten politischen, nicht
konfessionellen Charakters der Zentrumspartei zu tun, sondern ihr Streben gehe
auf eine Zurückdrängung des religiösen Momentes im öffentlichen Leben über¬
haupt. Dazu trat die Furcht, es könne durch das gehäufte, ohne anscheinend
hinreichenden Anlaß immer wiederholte Betonen des nicht konfessionellen Charakters
der Zentrumspartei das Bewußtsein der katholischen Zentrumswählerschaft Schaden
leiden, daß das Zentrum als die politische Organisation der deutschen Katholiken
vor allem seine Wurzeln im katholischen Volke habe, und daß es daher auch
berufen sei. der katholischen Weltanschauung bei der Behandlung der einschlägigen
Fragen, soweit Verfassung und Parteiprogramm dies zulassen, den gebührenden
Einfluß einzuräumen.

So geschah es. daß oft an und für sich harmlose und belanglose Äuße¬
rungen durch die Deutungen der anderen Seite eine ganz verfängliche Aus¬
legung erhielten, was dann wieder neuen Anlaß zu oft scharfen Polemiken gab.
Dazu kam der Umstand, daß der katholische Volksverein, also eine ausgesprochene
konfessionelle Organisation, sich von Anfang an ausschließlich für die inter¬
konfessionelle christliche Gewerkschaftsbewegung betätigte. Das machte ihn in
manchen auf feiten der Berliner Arbeiterbewegung stehenden katholischen Kreisen
unbeliebt, und statt Förderung fand er dort eine sehr kühle Aufnahme, so daß
als weitere Folge des Gewerkschaftsstreitcs die Tatsache zu verzeichnen war, daß
ein von Windthorst ins Leben gerufener, für das ganze katholische Volk bestimmter
Verein gerade in jenen katholischen Kreisen auf Widerstand stieß, die nirgendwo
das katholische Moment ausgeschaltet wissen wollen.

Unter allen Zentrumsblättern war keines, das sich so entschieden und nach¬
drücklich der christlichen Gewerkschaften annahm, und weiter so andauernd und
energisch, in so konsequenter Weise für den politischen, nicht konfessionellen
Charakter der Zentrumspartei eintrat, wie die Kölnische Volkszeitung, meist in
geschickter Weise, mitunter aber auch weniger glücklich und hier und da direkt


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[0527] Strömungen innerhalb der Zentrumspartei Dagegen machte sich der Gewerkschaftsstreit auch bei diesen Erörterungen insofern unangenehm bemerkbar, als er in großen Kreisen eine mehr oder minder große gegenseitige Gereiztheit und vor allem gegenseitiges Mißtrauen geschaffen hatte. Die Folge davon war. daß bei der Erörterung solcher Fragen, die mit der Gewerkschaftsbewegung an und für sich nichts zu tun hatten, gefürchtet wurde, die Stellungnahme in ersteren könne doch auf die Beurteilung der Gewerkschaftsfrage von Einfluß sein. Ja auf feiten der Anhänger der christ¬ lichen Gewerkschaftsbewegung innerhalb des Zentrums wurde vielfach die Be¬ fürchtung gehegt, die Kreise, die für eine stärkere Betonung des religiösen Moments in der Öffentlichkeit eintraten, wollten auch die christlichen Gewerk¬ schaften bekämpfen und überdies gar noch das Zentrum zu einer konfessionellen Partei umgestalten. Umgekehrt machte sich auf der anderen Seite der Argwohn geltend, den Verteidigern der christlichen Gewerkschaftsidee sei es nicht nur um die Verteidigung dieser, oder um die infolge der Angriffe aus anderen Partei¬ lagern notwendige Verteidigung des allerseits anerkannten politischen, nicht konfessionellen Charakters der Zentrumspartei zu tun, sondern ihr Streben gehe auf eine Zurückdrängung des religiösen Momentes im öffentlichen Leben über¬ haupt. Dazu trat die Furcht, es könne durch das gehäufte, ohne anscheinend hinreichenden Anlaß immer wiederholte Betonen des nicht konfessionellen Charakters der Zentrumspartei das Bewußtsein der katholischen Zentrumswählerschaft Schaden leiden, daß das Zentrum als die politische Organisation der deutschen Katholiken vor allem seine Wurzeln im katholischen Volke habe, und daß es daher auch berufen sei. der katholischen Weltanschauung bei der Behandlung der einschlägigen Fragen, soweit Verfassung und Parteiprogramm dies zulassen, den gebührenden Einfluß einzuräumen. So geschah es. daß oft an und für sich harmlose und belanglose Äuße¬ rungen durch die Deutungen der anderen Seite eine ganz verfängliche Aus¬ legung erhielten, was dann wieder neuen Anlaß zu oft scharfen Polemiken gab. Dazu kam der Umstand, daß der katholische Volksverein, also eine ausgesprochene konfessionelle Organisation, sich von Anfang an ausschließlich für die inter¬ konfessionelle christliche Gewerkschaftsbewegung betätigte. Das machte ihn in manchen auf feiten der Berliner Arbeiterbewegung stehenden katholischen Kreisen unbeliebt, und statt Förderung fand er dort eine sehr kühle Aufnahme, so daß als weitere Folge des Gewerkschaftsstreitcs die Tatsache zu verzeichnen war, daß ein von Windthorst ins Leben gerufener, für das ganze katholische Volk bestimmter Verein gerade in jenen katholischen Kreisen auf Widerstand stieß, die nirgendwo das katholische Moment ausgeschaltet wissen wollen. Unter allen Zentrumsblättern war keines, das sich so entschieden und nach¬ drücklich der christlichen Gewerkschaften annahm, und weiter so andauernd und energisch, in so konsequenter Weise für den politischen, nicht konfessionellen Charakter der Zentrumspartei eintrat, wie die Kölnische Volkszeitung, meist in geschickter Weise, mitunter aber auch weniger glücklich und hier und da direkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/527>, abgerufen am 29.06.2024.