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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

bis dahin ganz Unerhörtes, scharfe Angriffe katholischer Blätter gegen katholische
Geistliche, ja selbst gegen Bischöfe, das unwürdige Ausspielen einzelner Bischöfe
gegeneinander, und so manche andere häßliche Nebenerscheinung. Der in Wort
und Schrift, in der Tagespresse und in besonderen Broschüren geführte Kampf
der Katholiken und Zentrumsanhänger untereinander nahm dabei vielfach überaus
heftige Formen an. Und die Länge des Streites machte ihn nicht gelinder; sie
führte nur zu einer schärferen Betonung der einander gegenüberstehenden
Prinzipien. Im letzten Jahre sind die Auseinandersetzungen im allgemeinen
ruhiger geworden, ohne daß aber eine Annäherung der prinzipiellen Standpunkte
stattgefunden hätte. Der preußische Episkopat hat dazu durch seine Beschlüsse
auf der Bischofskonferenz in Fulda am 14. Dezember 1910, die in der Rhein.-
Westfülischen Zeitung veröffentlicht wurden (Ur. 448 vom 14. April 1912),
eine bemerkenswerte, der Versöhnung dienende Stellung genommen.

Der Streit um die gewerkschaftliche Organisation hat zuerst die Einigkeit
innerhalb der deutschen Katholiken nachhaltig gestört. Sein Werk ist es auch,
daß man sich daran gewöhnt hat, von "Richtungen" zu sprechen und den Kampf
dieser Richtungen gegeneinander als etwas Gegebenes hinzunehmen. Die Zentrums¬
partei hat es offiziell vermieden, in dem Streite Stellung zu nehmen. In der
Fraktion und den Parteiorganisationen sitzen Vertreter beider Richtungen neben¬
einander. Vom Parteistandpunkte aus ist es niemandem verwehrt, sich zu der
einen oder anderen Richtung zu bekennen, wie es auch jedem Katholiken nach
den autoritativen Äußerungen der kompetenten kirchlichen Behörden freisteht, der
einen oder anderen Organisation beizutreten.

Dementsprechend nehmen auch einzelne größere Zentrumsorgane den beiden
gewerkschaftlichen Richtungen gegenüber eine durchaus neutrale Haltung ein, so
die Germania, Schles. Volksztg., Saarbr. Volksztg.; andere stehen ausgesprochen
auf feiten der christlichen Gewerkschaften, so vor allem die Köln. Volksztg. und
die Blätter des Ruhrreviers; wieder andere bekennen sich als Anhänger des
Berliner Verbandes, so die Neunkirchener Ztg. und die Oberschles. Volksstimme.

Der Streit in der Gewerkschaftsfrage, bei der die eine Richtung das kon¬
fessionelle Moment ausgeschaltet, die andere berücksichtigt wissen wollte, führte
von selbst dazu, daß überhaupt die Frage der Religion und Konfession, ihr
Zusammenhang mit allen Fragen des öffentlichen Lebens mehr in die Erörterung
gezogen wurde. Auch hier gingen die Meinungen auseinander, je nachdem die
einen der Religion einen größeren, die anderen einen geringeren Einfluß auf
das öffentliche Leben eingeräumt wissen wollten. Das geschah, ganz abgesehen
von der Stellungnahme der einzelnen, im Gewerkschaftsstreit. Im Gegenteil,
gerade diejenigen, die sich sür eine innigere Verbindung von Politik und Religion
aussprachen, standen vielfach der Berliner Arbeiterbewegung ablehnend gegen¬
über, trotzdem ihre Bestrebungen gerade auf Berliner Seite lebhafte Förderung
fanden. Man hatte es hier also mit ganz verschiedenen Strömungen zu tun,
die sich teils berührten, teils ihre eigenen Wege gingen.


Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

bis dahin ganz Unerhörtes, scharfe Angriffe katholischer Blätter gegen katholische
Geistliche, ja selbst gegen Bischöfe, das unwürdige Ausspielen einzelner Bischöfe
gegeneinander, und so manche andere häßliche Nebenerscheinung. Der in Wort
und Schrift, in der Tagespresse und in besonderen Broschüren geführte Kampf
der Katholiken und Zentrumsanhänger untereinander nahm dabei vielfach überaus
heftige Formen an. Und die Länge des Streites machte ihn nicht gelinder; sie
führte nur zu einer schärferen Betonung der einander gegenüberstehenden
Prinzipien. Im letzten Jahre sind die Auseinandersetzungen im allgemeinen
ruhiger geworden, ohne daß aber eine Annäherung der prinzipiellen Standpunkte
stattgefunden hätte. Der preußische Episkopat hat dazu durch seine Beschlüsse
auf der Bischofskonferenz in Fulda am 14. Dezember 1910, die in der Rhein.-
Westfülischen Zeitung veröffentlicht wurden (Ur. 448 vom 14. April 1912),
eine bemerkenswerte, der Versöhnung dienende Stellung genommen.

Der Streit um die gewerkschaftliche Organisation hat zuerst die Einigkeit
innerhalb der deutschen Katholiken nachhaltig gestört. Sein Werk ist es auch,
daß man sich daran gewöhnt hat, von „Richtungen" zu sprechen und den Kampf
dieser Richtungen gegeneinander als etwas Gegebenes hinzunehmen. Die Zentrums¬
partei hat es offiziell vermieden, in dem Streite Stellung zu nehmen. In der
Fraktion und den Parteiorganisationen sitzen Vertreter beider Richtungen neben¬
einander. Vom Parteistandpunkte aus ist es niemandem verwehrt, sich zu der
einen oder anderen Richtung zu bekennen, wie es auch jedem Katholiken nach
den autoritativen Äußerungen der kompetenten kirchlichen Behörden freisteht, der
einen oder anderen Organisation beizutreten.

Dementsprechend nehmen auch einzelne größere Zentrumsorgane den beiden
gewerkschaftlichen Richtungen gegenüber eine durchaus neutrale Haltung ein, so
die Germania, Schles. Volksztg., Saarbr. Volksztg.; andere stehen ausgesprochen
auf feiten der christlichen Gewerkschaften, so vor allem die Köln. Volksztg. und
die Blätter des Ruhrreviers; wieder andere bekennen sich als Anhänger des
Berliner Verbandes, so die Neunkirchener Ztg. und die Oberschles. Volksstimme.

Der Streit in der Gewerkschaftsfrage, bei der die eine Richtung das kon¬
fessionelle Moment ausgeschaltet, die andere berücksichtigt wissen wollte, führte
von selbst dazu, daß überhaupt die Frage der Religion und Konfession, ihr
Zusammenhang mit allen Fragen des öffentlichen Lebens mehr in die Erörterung
gezogen wurde. Auch hier gingen die Meinungen auseinander, je nachdem die
einen der Religion einen größeren, die anderen einen geringeren Einfluß auf
das öffentliche Leben eingeräumt wissen wollten. Das geschah, ganz abgesehen
von der Stellungnahme der einzelnen, im Gewerkschaftsstreit. Im Gegenteil,
gerade diejenigen, die sich sür eine innigere Verbindung von Politik und Religion
aussprachen, standen vielfach der Berliner Arbeiterbewegung ablehnend gegen¬
über, trotzdem ihre Bestrebungen gerade auf Berliner Seite lebhafte Förderung
fanden. Man hatte es hier also mit ganz verschiedenen Strömungen zu tun,
die sich teils berührten, teils ihre eigenen Wege gingen.


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[0526] Strömungen innerhalb der Zentrumspartei bis dahin ganz Unerhörtes, scharfe Angriffe katholischer Blätter gegen katholische Geistliche, ja selbst gegen Bischöfe, das unwürdige Ausspielen einzelner Bischöfe gegeneinander, und so manche andere häßliche Nebenerscheinung. Der in Wort und Schrift, in der Tagespresse und in besonderen Broschüren geführte Kampf der Katholiken und Zentrumsanhänger untereinander nahm dabei vielfach überaus heftige Formen an. Und die Länge des Streites machte ihn nicht gelinder; sie führte nur zu einer schärferen Betonung der einander gegenüberstehenden Prinzipien. Im letzten Jahre sind die Auseinandersetzungen im allgemeinen ruhiger geworden, ohne daß aber eine Annäherung der prinzipiellen Standpunkte stattgefunden hätte. Der preußische Episkopat hat dazu durch seine Beschlüsse auf der Bischofskonferenz in Fulda am 14. Dezember 1910, die in der Rhein.- Westfülischen Zeitung veröffentlicht wurden (Ur. 448 vom 14. April 1912), eine bemerkenswerte, der Versöhnung dienende Stellung genommen. Der Streit um die gewerkschaftliche Organisation hat zuerst die Einigkeit innerhalb der deutschen Katholiken nachhaltig gestört. Sein Werk ist es auch, daß man sich daran gewöhnt hat, von „Richtungen" zu sprechen und den Kampf dieser Richtungen gegeneinander als etwas Gegebenes hinzunehmen. Die Zentrums¬ partei hat es offiziell vermieden, in dem Streite Stellung zu nehmen. In der Fraktion und den Parteiorganisationen sitzen Vertreter beider Richtungen neben¬ einander. Vom Parteistandpunkte aus ist es niemandem verwehrt, sich zu der einen oder anderen Richtung zu bekennen, wie es auch jedem Katholiken nach den autoritativen Äußerungen der kompetenten kirchlichen Behörden freisteht, der einen oder anderen Organisation beizutreten. Dementsprechend nehmen auch einzelne größere Zentrumsorgane den beiden gewerkschaftlichen Richtungen gegenüber eine durchaus neutrale Haltung ein, so die Germania, Schles. Volksztg., Saarbr. Volksztg.; andere stehen ausgesprochen auf feiten der christlichen Gewerkschaften, so vor allem die Köln. Volksztg. und die Blätter des Ruhrreviers; wieder andere bekennen sich als Anhänger des Berliner Verbandes, so die Neunkirchener Ztg. und die Oberschles. Volksstimme. Der Streit in der Gewerkschaftsfrage, bei der die eine Richtung das kon¬ fessionelle Moment ausgeschaltet, die andere berücksichtigt wissen wollte, führte von selbst dazu, daß überhaupt die Frage der Religion und Konfession, ihr Zusammenhang mit allen Fragen des öffentlichen Lebens mehr in die Erörterung gezogen wurde. Auch hier gingen die Meinungen auseinander, je nachdem die einen der Religion einen größeren, die anderen einen geringeren Einfluß auf das öffentliche Leben eingeräumt wissen wollten. Das geschah, ganz abgesehen von der Stellungnahme der einzelnen, im Gewerkschaftsstreit. Im Gegenteil, gerade diejenigen, die sich sür eine innigere Verbindung von Politik und Religion aussprachen, standen vielfach der Berliner Arbeiterbewegung ablehnend gegen¬ über, trotzdem ihre Bestrebungen gerade auf Berliner Seite lebhafte Förderung fanden. Man hatte es hier also mit ganz verschiedenen Strömungen zu tun, die sich teils berührten, teils ihre eigenen Wege gingen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/526>, abgerufen am 26.06.2024.