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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Richtlinien

in meinen Zukunftsträumen ein großes österreichisch-deutsches Reich sehen, mit
vielleicht zwei Haupttemporien. das eine Hamburg, das andere Konstantinopel,
mit Hufen an der Ost- und Nordsee, an? Adriatischen, Ägäischen und am
Schwarzen Meere, ein Reich, oder vielmehr einen Staatenbund, der seinen
Einfluß durch Kleinasien und Mesopotamien geltend machen sollte. Dieses
ununterbrochene Imperium, das von der Mündung der Elbe bis an die des
Euphrats reichen würde, wäre doch gewiß ein so stolzes Ziel, wie es eine große
Nation nur träumen und anstreben kann." Der Engländer erstrebt eine
Territorial- und Kolonialeinheit, wo Deutschland nur Interessengemeinschaft
will, unter Wahrung und Stärkung der türkischen Selbständigkeit.

Eine österreichisch-deutsche Einheitspolitik ist Voraussetzung und Not¬
wendigkeit. Durch Österreich wird auch Deutschland Nachbar der Türkei und
mit Deutschland garantiert auch Österreich die Selbständigkeit der Türkei. Darf
ich an das Wort Moltkes erinnern, das er gegenüber England, Rußland und
Frankreich geprägt hat: "Österreichs Schwert ist es, welches einst in die Wage
der Entscheidung geworfen werden wird. Alle Flotten der Welt können weder
die Teilung der Türkei vollziehen, noch sie verhindern; Österreichs Heere können
das eine vielleicht, das andere gewiß!" Die Türkei verspürt mehr und mehr
die Wahrheit und Sicherheit der österreichischen Entscheidung allen Balkan¬
rivalen und allen Feindschaften gegenüber. Zwar spukt in manchen Köpfen
türkischer Staatsmänner noch ein starkes Mißtrauen gegen Österreich und gegen
seine angeblichen Absichten zum Vormarsch nach Saloniki, und die Ährenthalsche
Taktik (mit Bosnien und auch in Albanien) hat nicht gerade großes Vertrauen
erweckt. Aber schon das Programm des Grafen Berchtold hat wieder beruhigend
gewirkt, und ebenso die Berliner Besprechung zwischen Berchtold und Kiderlen-
Wächter. Die österreichische Politik bleibt in Gemeinschaft mit Deutschland
ehrlich konservativ für die Türkei. Österreich kann es seit dem Tripoliskriege
uoch aufrichtiger mit der Türkei meinen: seitdem der italienische Balkan-
konkurrent in der europäischen Türkei ausgeschaltet und für Generationen in
Tripolis festgelegt ist. Österreich selbst hat von einer wirtschaftlich erstarkenden
Türkei als Nachbarstaat größere Vorteile als durch die Vergewaltigung schwie¬
riger, nach Nasse und Religion gemischter Volksschichten, deren Einverleibung
die ohnehin nicht geringen Verdauungsstörungen der k. k. Monarchie noch
erhöhen würde. Darum hält Österreich, wie die Türkei im Innern von
Mazedonien, von außen her die Ruhe fest und verjagt zu Beginn des
Tripoliskrieges selbst den italienischen Herzog der Abruzzen von der
albanischen Küste.

Damit verschwindet auch -- wie gesagt -- aus dem österreichisch, italie¬
nischen Bundesverhältnis und weiterhin aus dem Dreibunde auf lange hinaus
die irritierende Rivalität zwischen Österreich und Italien in der Balkanpolitik.
Tripolis entlastet den Balkan für Österreich und für die Türkei, wie für Italien.
Nun ist kein Wort der Kritik zu scharf, das sich gegen Italiens Draufgängertum


Grenzvoten II 1912 ^
Türkische Richtlinien

in meinen Zukunftsträumen ein großes österreichisch-deutsches Reich sehen, mit
vielleicht zwei Haupttemporien. das eine Hamburg, das andere Konstantinopel,
mit Hufen an der Ost- und Nordsee, an? Adriatischen, Ägäischen und am
Schwarzen Meere, ein Reich, oder vielmehr einen Staatenbund, der seinen
Einfluß durch Kleinasien und Mesopotamien geltend machen sollte. Dieses
ununterbrochene Imperium, das von der Mündung der Elbe bis an die des
Euphrats reichen würde, wäre doch gewiß ein so stolzes Ziel, wie es eine große
Nation nur träumen und anstreben kann." Der Engländer erstrebt eine
Territorial- und Kolonialeinheit, wo Deutschland nur Interessengemeinschaft
will, unter Wahrung und Stärkung der türkischen Selbständigkeit.

Eine österreichisch-deutsche Einheitspolitik ist Voraussetzung und Not¬
wendigkeit. Durch Österreich wird auch Deutschland Nachbar der Türkei und
mit Deutschland garantiert auch Österreich die Selbständigkeit der Türkei. Darf
ich an das Wort Moltkes erinnern, das er gegenüber England, Rußland und
Frankreich geprägt hat: „Österreichs Schwert ist es, welches einst in die Wage
der Entscheidung geworfen werden wird. Alle Flotten der Welt können weder
die Teilung der Türkei vollziehen, noch sie verhindern; Österreichs Heere können
das eine vielleicht, das andere gewiß!" Die Türkei verspürt mehr und mehr
die Wahrheit und Sicherheit der österreichischen Entscheidung allen Balkan¬
rivalen und allen Feindschaften gegenüber. Zwar spukt in manchen Köpfen
türkischer Staatsmänner noch ein starkes Mißtrauen gegen Österreich und gegen
seine angeblichen Absichten zum Vormarsch nach Saloniki, und die Ährenthalsche
Taktik (mit Bosnien und auch in Albanien) hat nicht gerade großes Vertrauen
erweckt. Aber schon das Programm des Grafen Berchtold hat wieder beruhigend
gewirkt, und ebenso die Berliner Besprechung zwischen Berchtold und Kiderlen-
Wächter. Die österreichische Politik bleibt in Gemeinschaft mit Deutschland
ehrlich konservativ für die Türkei. Österreich kann es seit dem Tripoliskriege
uoch aufrichtiger mit der Türkei meinen: seitdem der italienische Balkan-
konkurrent in der europäischen Türkei ausgeschaltet und für Generationen in
Tripolis festgelegt ist. Österreich selbst hat von einer wirtschaftlich erstarkenden
Türkei als Nachbarstaat größere Vorteile als durch die Vergewaltigung schwie¬
riger, nach Nasse und Religion gemischter Volksschichten, deren Einverleibung
die ohnehin nicht geringen Verdauungsstörungen der k. k. Monarchie noch
erhöhen würde. Darum hält Österreich, wie die Türkei im Innern von
Mazedonien, von außen her die Ruhe fest und verjagt zu Beginn des
Tripoliskrieges selbst den italienischen Herzog der Abruzzen von der
albanischen Küste.

Damit verschwindet auch — wie gesagt — aus dem österreichisch, italie¬
nischen Bundesverhältnis und weiterhin aus dem Dreibunde auf lange hinaus
die irritierende Rivalität zwischen Österreich und Italien in der Balkanpolitik.
Tripolis entlastet den Balkan für Österreich und für die Türkei, wie für Italien.
Nun ist kein Wort der Kritik zu scharf, das sich gegen Italiens Draufgängertum


Grenzvoten II 1912 ^
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[0521] Türkische Richtlinien in meinen Zukunftsträumen ein großes österreichisch-deutsches Reich sehen, mit vielleicht zwei Haupttemporien. das eine Hamburg, das andere Konstantinopel, mit Hufen an der Ost- und Nordsee, an? Adriatischen, Ägäischen und am Schwarzen Meere, ein Reich, oder vielmehr einen Staatenbund, der seinen Einfluß durch Kleinasien und Mesopotamien geltend machen sollte. Dieses ununterbrochene Imperium, das von der Mündung der Elbe bis an die des Euphrats reichen würde, wäre doch gewiß ein so stolzes Ziel, wie es eine große Nation nur träumen und anstreben kann." Der Engländer erstrebt eine Territorial- und Kolonialeinheit, wo Deutschland nur Interessengemeinschaft will, unter Wahrung und Stärkung der türkischen Selbständigkeit. Eine österreichisch-deutsche Einheitspolitik ist Voraussetzung und Not¬ wendigkeit. Durch Österreich wird auch Deutschland Nachbar der Türkei und mit Deutschland garantiert auch Österreich die Selbständigkeit der Türkei. Darf ich an das Wort Moltkes erinnern, das er gegenüber England, Rußland und Frankreich geprägt hat: „Österreichs Schwert ist es, welches einst in die Wage der Entscheidung geworfen werden wird. Alle Flotten der Welt können weder die Teilung der Türkei vollziehen, noch sie verhindern; Österreichs Heere können das eine vielleicht, das andere gewiß!" Die Türkei verspürt mehr und mehr die Wahrheit und Sicherheit der österreichischen Entscheidung allen Balkan¬ rivalen und allen Feindschaften gegenüber. Zwar spukt in manchen Köpfen türkischer Staatsmänner noch ein starkes Mißtrauen gegen Österreich und gegen seine angeblichen Absichten zum Vormarsch nach Saloniki, und die Ährenthalsche Taktik (mit Bosnien und auch in Albanien) hat nicht gerade großes Vertrauen erweckt. Aber schon das Programm des Grafen Berchtold hat wieder beruhigend gewirkt, und ebenso die Berliner Besprechung zwischen Berchtold und Kiderlen- Wächter. Die österreichische Politik bleibt in Gemeinschaft mit Deutschland ehrlich konservativ für die Türkei. Österreich kann es seit dem Tripoliskriege uoch aufrichtiger mit der Türkei meinen: seitdem der italienische Balkan- konkurrent in der europäischen Türkei ausgeschaltet und für Generationen in Tripolis festgelegt ist. Österreich selbst hat von einer wirtschaftlich erstarkenden Türkei als Nachbarstaat größere Vorteile als durch die Vergewaltigung schwie¬ riger, nach Nasse und Religion gemischter Volksschichten, deren Einverleibung die ohnehin nicht geringen Verdauungsstörungen der k. k. Monarchie noch erhöhen würde. Darum hält Österreich, wie die Türkei im Innern von Mazedonien, von außen her die Ruhe fest und verjagt zu Beginn des Tripoliskrieges selbst den italienischen Herzog der Abruzzen von der albanischen Küste. Damit verschwindet auch — wie gesagt — aus dem österreichisch, italie¬ nischen Bundesverhältnis und weiterhin aus dem Dreibunde auf lange hinaus die irritierende Rivalität zwischen Österreich und Italien in der Balkanpolitik. Tripolis entlastet den Balkan für Österreich und für die Türkei, wie für Italien. Nun ist kein Wort der Kritik zu scharf, das sich gegen Italiens Draufgängertum Grenzvoten II 1912 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/521>, abgerufen am 29.06.2024.