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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Richtlinien

artiger Tendenz -- durch ein Finanzmanöver in ihren Besitz zu bekommen.
Nun ist die Bagdadbahn nicht mehr aufzuhalten, aber im Endpunkt kann sie
noch gesperrt werden: in Kuweit. Früher bis Bagdad, jetzt gar bis Basra
will England eine internationale Bagdadbahn laufen lassen, aber die letzten
hundert Kilometer Basra-Bagdad sollen englisch werden: so will es die eng¬
lische Türkensreundschaft. Es ist Sache der Türkei, ob sie auf ihr Recht und
auf ihre Staatshoheit in Kuweit am Persischen Golf verzichten will -- unter
dem Druck von England, das in der Bagdadbahn am Persischen Golf die Mög¬
lichkeit einer Gefährdung seiner Position in Persien und Indien befürchtet und
das deshalb einer solchen Angriffswaffe für den Fall, daß sie die Türkei
oder eine mit der Türkei verbündete Macht aggresiv verwenden möchte, in
Kuweit einen Gewehrverschluß vorsetzen will. Man kennt das Wort eines
Orientpolitikers: hundert Kilometer Bagdadbahn können den Wert von zwei
deutschen Dreadnoughts haben! *) Für die innerpolitische Bedeutung der Bagdad¬
bahn genügt es der Türkei, wenn sie in Bagdad oder Basra steht.

So wie England die nächste Nähe der Bagdadbahn an der persisch-indischen
Grenze neutralisieren will, so hat es auch -- auf der anderen Seite -- bisher
eine Annäherung der Hedschasbahn an das ägyptische Gebiet gehindert:
die von der Türkei beabsichtigte Abzweigung der Hedschasbahn von Maar an
die ägyptische ("englische") Sinaihalbinsel hinüber nach Akaba, eine Linie, die
England als strategische und kommerzielle Konkurrenz gegen den Suezkanal
empfunden und unter Abdul Hamid noch verboten hat. So richtig dieses Sultans
Ziele waren, so groß war im Grunde seine eigene Angst vor allen Reformen
und so schwach war sein Wille, sie durchzusetzen. Die jungtürkische Tatkraft hat
heute in den wenigen Jahren schon mehr geleistet und erreicht, als der alte
Sultan in langem Abwarten und nutzlosen Diplomatisieren. Die Türkei baut
sich aus und richtet sich ein, und England wird das auch in Ägypten spüren.
Durch Ägypten geht aber der Zentralnerv der englischen Weltherrschaft: Napoleon
schon hat England in Ägypten treffen wollen, um so auch das indische Regiment
Englands zu erschüttern. Lord Kitchener ist nach Ägypten gegangen und ver¬
mehrt und verstärkt die Garnisonen -- und reicht der Türkei die "freund¬
nachbarliche" Hand. Da die linke Hand aber nicht wissen soll, was die rechte
tut, so gibt die eine Hand -- die Zulassung des türkischen Waffentransportes
über die ägyptische Grenze nach Tripolis, und so nimmt die andere Hand --
das Vorrecht auf Kuweit drüben. Genau so wie das gleiche England die
Türkei in San Stefano geschützt und durch Cypern geschädigt hat -- zur gleichen
Zeit und mit der gleichen Handlung. England tut türkenfreundlich, wenn die
Türkei von England abhängig sein will und wenn England in Konstantinopel
regieren kann. Andernfalls strebte es nach dem mohammedanischen Prestige in
Mekka und rührte die Kalifatsaspiration in Arabien an. Die Geschichtserfahrung



") Das Bagdadbahnproblem in seinem ganzen Umfang habe ich in meinem Buch "T"^
aufsteigende Halbmond" dargestellt, "Hilfe"-Verlag, Berlin.
Türkische Richtlinien

artiger Tendenz — durch ein Finanzmanöver in ihren Besitz zu bekommen.
Nun ist die Bagdadbahn nicht mehr aufzuhalten, aber im Endpunkt kann sie
noch gesperrt werden: in Kuweit. Früher bis Bagdad, jetzt gar bis Basra
will England eine internationale Bagdadbahn laufen lassen, aber die letzten
hundert Kilometer Basra-Bagdad sollen englisch werden: so will es die eng¬
lische Türkensreundschaft. Es ist Sache der Türkei, ob sie auf ihr Recht und
auf ihre Staatshoheit in Kuweit am Persischen Golf verzichten will — unter
dem Druck von England, das in der Bagdadbahn am Persischen Golf die Mög¬
lichkeit einer Gefährdung seiner Position in Persien und Indien befürchtet und
das deshalb einer solchen Angriffswaffe für den Fall, daß sie die Türkei
oder eine mit der Türkei verbündete Macht aggresiv verwenden möchte, in
Kuweit einen Gewehrverschluß vorsetzen will. Man kennt das Wort eines
Orientpolitikers: hundert Kilometer Bagdadbahn können den Wert von zwei
deutschen Dreadnoughts haben! *) Für die innerpolitische Bedeutung der Bagdad¬
bahn genügt es der Türkei, wenn sie in Bagdad oder Basra steht.

So wie England die nächste Nähe der Bagdadbahn an der persisch-indischen
Grenze neutralisieren will, so hat es auch — auf der anderen Seite — bisher
eine Annäherung der Hedschasbahn an das ägyptische Gebiet gehindert:
die von der Türkei beabsichtigte Abzweigung der Hedschasbahn von Maar an
die ägyptische („englische") Sinaihalbinsel hinüber nach Akaba, eine Linie, die
England als strategische und kommerzielle Konkurrenz gegen den Suezkanal
empfunden und unter Abdul Hamid noch verboten hat. So richtig dieses Sultans
Ziele waren, so groß war im Grunde seine eigene Angst vor allen Reformen
und so schwach war sein Wille, sie durchzusetzen. Die jungtürkische Tatkraft hat
heute in den wenigen Jahren schon mehr geleistet und erreicht, als der alte
Sultan in langem Abwarten und nutzlosen Diplomatisieren. Die Türkei baut
sich aus und richtet sich ein, und England wird das auch in Ägypten spüren.
Durch Ägypten geht aber der Zentralnerv der englischen Weltherrschaft: Napoleon
schon hat England in Ägypten treffen wollen, um so auch das indische Regiment
Englands zu erschüttern. Lord Kitchener ist nach Ägypten gegangen und ver¬
mehrt und verstärkt die Garnisonen — und reicht der Türkei die „freund¬
nachbarliche" Hand. Da die linke Hand aber nicht wissen soll, was die rechte
tut, so gibt die eine Hand — die Zulassung des türkischen Waffentransportes
über die ägyptische Grenze nach Tripolis, und so nimmt die andere Hand —
das Vorrecht auf Kuweit drüben. Genau so wie das gleiche England die
Türkei in San Stefano geschützt und durch Cypern geschädigt hat — zur gleichen
Zeit und mit der gleichen Handlung. England tut türkenfreundlich, wenn die
Türkei von England abhängig sein will und wenn England in Konstantinopel
regieren kann. Andernfalls strebte es nach dem mohammedanischen Prestige in
Mekka und rührte die Kalifatsaspiration in Arabien an. Die Geschichtserfahrung



") Das Bagdadbahnproblem in seinem ganzen Umfang habe ich in meinem Buch „T»^
aufsteigende Halbmond" dargestellt, „Hilfe"-Verlag, Berlin.
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[0518] Türkische Richtlinien artiger Tendenz — durch ein Finanzmanöver in ihren Besitz zu bekommen. Nun ist die Bagdadbahn nicht mehr aufzuhalten, aber im Endpunkt kann sie noch gesperrt werden: in Kuweit. Früher bis Bagdad, jetzt gar bis Basra will England eine internationale Bagdadbahn laufen lassen, aber die letzten hundert Kilometer Basra-Bagdad sollen englisch werden: so will es die eng¬ lische Türkensreundschaft. Es ist Sache der Türkei, ob sie auf ihr Recht und auf ihre Staatshoheit in Kuweit am Persischen Golf verzichten will — unter dem Druck von England, das in der Bagdadbahn am Persischen Golf die Mög¬ lichkeit einer Gefährdung seiner Position in Persien und Indien befürchtet und das deshalb einer solchen Angriffswaffe für den Fall, daß sie die Türkei oder eine mit der Türkei verbündete Macht aggresiv verwenden möchte, in Kuweit einen Gewehrverschluß vorsetzen will. Man kennt das Wort eines Orientpolitikers: hundert Kilometer Bagdadbahn können den Wert von zwei deutschen Dreadnoughts haben! *) Für die innerpolitische Bedeutung der Bagdad¬ bahn genügt es der Türkei, wenn sie in Bagdad oder Basra steht. So wie England die nächste Nähe der Bagdadbahn an der persisch-indischen Grenze neutralisieren will, so hat es auch — auf der anderen Seite — bisher eine Annäherung der Hedschasbahn an das ägyptische Gebiet gehindert: die von der Türkei beabsichtigte Abzweigung der Hedschasbahn von Maar an die ägyptische („englische") Sinaihalbinsel hinüber nach Akaba, eine Linie, die England als strategische und kommerzielle Konkurrenz gegen den Suezkanal empfunden und unter Abdul Hamid noch verboten hat. So richtig dieses Sultans Ziele waren, so groß war im Grunde seine eigene Angst vor allen Reformen und so schwach war sein Wille, sie durchzusetzen. Die jungtürkische Tatkraft hat heute in den wenigen Jahren schon mehr geleistet und erreicht, als der alte Sultan in langem Abwarten und nutzlosen Diplomatisieren. Die Türkei baut sich aus und richtet sich ein, und England wird das auch in Ägypten spüren. Durch Ägypten geht aber der Zentralnerv der englischen Weltherrschaft: Napoleon schon hat England in Ägypten treffen wollen, um so auch das indische Regiment Englands zu erschüttern. Lord Kitchener ist nach Ägypten gegangen und ver¬ mehrt und verstärkt die Garnisonen — und reicht der Türkei die „freund¬ nachbarliche" Hand. Da die linke Hand aber nicht wissen soll, was die rechte tut, so gibt die eine Hand — die Zulassung des türkischen Waffentransportes über die ägyptische Grenze nach Tripolis, und so nimmt die andere Hand — das Vorrecht auf Kuweit drüben. Genau so wie das gleiche England die Türkei in San Stefano geschützt und durch Cypern geschädigt hat — zur gleichen Zeit und mit der gleichen Handlung. England tut türkenfreundlich, wenn die Türkei von England abhängig sein will und wenn England in Konstantinopel regieren kann. Andernfalls strebte es nach dem mohammedanischen Prestige in Mekka und rührte die Kalifatsaspiration in Arabien an. Die Geschichtserfahrung ") Das Bagdadbahnproblem in seinem ganzen Umfang habe ich in meinem Buch „T»^ aufsteigende Halbmond" dargestellt, „Hilfe"-Verlag, Berlin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/518>, abgerufen am 03.07.2024.