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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Hodler und sein Werk

Ferdinand Hodler und sein Werk
Dr. Richard Meszlöny von

ir gingen am Kai Lemar entlang. Fest und kurz, wie junger
Leute Schritte klangs auf dem Kiese. Ich mußte ihn beglück¬
wünschen zu diesem Takte im siebenundfünfzigsten Lebensjahre:
ein stämmiger Berner ist Ferdinand Hodler, der einen schweren
Männerkopf von warmer Schönheit mit solider Genfer Eleganz
auf dem Martin-Luther-Halse zu tragen versteht. ,Ma8 je 8uis plus jeune
que jÄMiÜ8," antwortete er auf mein Kompliment, "je commence, je vou8
as8nie. que je commence!" Ich dachte an Marignano, an den Tell, an
das Jenenser Bild, an die Nacht, den Tag, die Liebe, das Lied aus der Ferne
und manches andere, und wollte kaum glauben, daß es wirklich noch Wege
geben könne, die von diesen Höhen fort irgend anderswohin führen sollten.
Sein "je commence" hat Hodler ernst gemeint. Auf Gipfeln, auf denen er
sich ausgelebt, leidet's ihn nicht, und auf die Gefahr hin, erst ins Tal steigen
zu müssen, sucht er neue Wege zu neuem Lande. Das ist das größte Opfer,
das ein schwer berühmt gewordener wie Hodler seinem künstlerischen Ernste
bringen kann.

Die Ausstellung von hundert Hodlerwerken, die im vergangenen Winter
unsere Großstädte Berlin, Frankfurt a. M., München bereist hat, umfaßt alle
Stufen, die der Meister durchlaufen: nicht gar viel versprechende Niederungen
des Anfangs, die reifen vollendeten Hodlers, die ihn in den Mittelpunkt der
heutigen Malerei stellen und Ausblicke in eine Zukunft, die noch reiche Möglich¬
keiten birgt.

Daß man sich bei Hodler vor einer einseitig malerischen I'art pour I'art
Anschauung ebensosehr, wie vor literarischer Symbolik zu hüten habe, scheint
mir bei der Betrachtung seines Gesamtwerkes erst recht klar geworden zu sein.
Denn die Selbständigkeit der Farbengebung, wie die Energie seines linearen
Ausdrucks haben ihm sein dreigeteiltes Reich: das Weib, die Historie und die
Landschaft unterworfen.

Hodlers Arbeitsweise, die im bezeichnenden Gegensatze zu der seines eben¬
falls sehr bedeutenden Landsmannes Cuno Amiet steht, wird dem Mißverständnis
und dem Unverständnis stets Nahrung genug geben. Aus einer eruptiven
Bewegungsempfindung setzt Hodler zuerst das Bild auf die Fläche. Er kann
daran nicht mehr rühren, denn sein Können stünde sofort im schärfsten Wider¬
spruche gegen die naturgemäße Notwendigkeit seines linearen Ausdrucks. Er
stellt eben das Bild weg und malt oder zeichnet das Problem auf eine neue
Fläche nochmal und nochmal, oft sechs, oft zehnmal. Die Gestalten des Jenenser
Bildes, des Tages, der Liebe, der Nacht haben wir in groben Anfängen vor
uns, und staunenerregend ist die Steile seines Aufstiegs. Zuweilen übertrifft
eine Zeichnung ein späteres, bereits gemaltes Mittelstadium in ungeahntem


Ferdinand Hodler und sein Werk

Ferdinand Hodler und sein Werk
Dr. Richard Meszlöny von

ir gingen am Kai Lemar entlang. Fest und kurz, wie junger
Leute Schritte klangs auf dem Kiese. Ich mußte ihn beglück¬
wünschen zu diesem Takte im siebenundfünfzigsten Lebensjahre:
ein stämmiger Berner ist Ferdinand Hodler, der einen schweren
Männerkopf von warmer Schönheit mit solider Genfer Eleganz
auf dem Martin-Luther-Halse zu tragen versteht. ,Ma8 je 8uis plus jeune
que jÄMiÜ8," antwortete er auf mein Kompliment, „je commence, je vou8
as8nie. que je commence!" Ich dachte an Marignano, an den Tell, an
das Jenenser Bild, an die Nacht, den Tag, die Liebe, das Lied aus der Ferne
und manches andere, und wollte kaum glauben, daß es wirklich noch Wege
geben könne, die von diesen Höhen fort irgend anderswohin führen sollten.
Sein „je commence" hat Hodler ernst gemeint. Auf Gipfeln, auf denen er
sich ausgelebt, leidet's ihn nicht, und auf die Gefahr hin, erst ins Tal steigen
zu müssen, sucht er neue Wege zu neuem Lande. Das ist das größte Opfer,
das ein schwer berühmt gewordener wie Hodler seinem künstlerischen Ernste
bringen kann.

Die Ausstellung von hundert Hodlerwerken, die im vergangenen Winter
unsere Großstädte Berlin, Frankfurt a. M., München bereist hat, umfaßt alle
Stufen, die der Meister durchlaufen: nicht gar viel versprechende Niederungen
des Anfangs, die reifen vollendeten Hodlers, die ihn in den Mittelpunkt der
heutigen Malerei stellen und Ausblicke in eine Zukunft, die noch reiche Möglich¬
keiten birgt.

Daß man sich bei Hodler vor einer einseitig malerischen I'art pour I'art
Anschauung ebensosehr, wie vor literarischer Symbolik zu hüten habe, scheint
mir bei der Betrachtung seines Gesamtwerkes erst recht klar geworden zu sein.
Denn die Selbständigkeit der Farbengebung, wie die Energie seines linearen
Ausdrucks haben ihm sein dreigeteiltes Reich: das Weib, die Historie und die
Landschaft unterworfen.

Hodlers Arbeitsweise, die im bezeichnenden Gegensatze zu der seines eben¬
falls sehr bedeutenden Landsmannes Cuno Amiet steht, wird dem Mißverständnis
und dem Unverständnis stets Nahrung genug geben. Aus einer eruptiven
Bewegungsempfindung setzt Hodler zuerst das Bild auf die Fläche. Er kann
daran nicht mehr rühren, denn sein Können stünde sofort im schärfsten Wider¬
spruche gegen die naturgemäße Notwendigkeit seines linearen Ausdrucks. Er
stellt eben das Bild weg und malt oder zeichnet das Problem auf eine neue
Fläche nochmal und nochmal, oft sechs, oft zehnmal. Die Gestalten des Jenenser
Bildes, des Tages, der Liebe, der Nacht haben wir in groben Anfängen vor
uns, und staunenerregend ist die Steile seines Aufstiegs. Zuweilen übertrifft
eine Zeichnung ein späteres, bereits gemaltes Mittelstadium in ungeahntem


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[0450] Ferdinand Hodler und sein Werk Ferdinand Hodler und sein Werk Dr. Richard Meszlöny von ir gingen am Kai Lemar entlang. Fest und kurz, wie junger Leute Schritte klangs auf dem Kiese. Ich mußte ihn beglück¬ wünschen zu diesem Takte im siebenundfünfzigsten Lebensjahre: ein stämmiger Berner ist Ferdinand Hodler, der einen schweren Männerkopf von warmer Schönheit mit solider Genfer Eleganz auf dem Martin-Luther-Halse zu tragen versteht. ,Ma8 je 8uis plus jeune que jÄMiÜ8," antwortete er auf mein Kompliment, „je commence, je vou8 as8nie. que je commence!" Ich dachte an Marignano, an den Tell, an das Jenenser Bild, an die Nacht, den Tag, die Liebe, das Lied aus der Ferne und manches andere, und wollte kaum glauben, daß es wirklich noch Wege geben könne, die von diesen Höhen fort irgend anderswohin führen sollten. Sein „je commence" hat Hodler ernst gemeint. Auf Gipfeln, auf denen er sich ausgelebt, leidet's ihn nicht, und auf die Gefahr hin, erst ins Tal steigen zu müssen, sucht er neue Wege zu neuem Lande. Das ist das größte Opfer, das ein schwer berühmt gewordener wie Hodler seinem künstlerischen Ernste bringen kann. Die Ausstellung von hundert Hodlerwerken, die im vergangenen Winter unsere Großstädte Berlin, Frankfurt a. M., München bereist hat, umfaßt alle Stufen, die der Meister durchlaufen: nicht gar viel versprechende Niederungen des Anfangs, die reifen vollendeten Hodlers, die ihn in den Mittelpunkt der heutigen Malerei stellen und Ausblicke in eine Zukunft, die noch reiche Möglich¬ keiten birgt. Daß man sich bei Hodler vor einer einseitig malerischen I'art pour I'art Anschauung ebensosehr, wie vor literarischer Symbolik zu hüten habe, scheint mir bei der Betrachtung seines Gesamtwerkes erst recht klar geworden zu sein. Denn die Selbständigkeit der Farbengebung, wie die Energie seines linearen Ausdrucks haben ihm sein dreigeteiltes Reich: das Weib, die Historie und die Landschaft unterworfen. Hodlers Arbeitsweise, die im bezeichnenden Gegensatze zu der seines eben¬ falls sehr bedeutenden Landsmannes Cuno Amiet steht, wird dem Mißverständnis und dem Unverständnis stets Nahrung genug geben. Aus einer eruptiven Bewegungsempfindung setzt Hodler zuerst das Bild auf die Fläche. Er kann daran nicht mehr rühren, denn sein Können stünde sofort im schärfsten Wider¬ spruche gegen die naturgemäße Notwendigkeit seines linearen Ausdrucks. Er stellt eben das Bild weg und malt oder zeichnet das Problem auf eine neue Fläche nochmal und nochmal, oft sechs, oft zehnmal. Die Gestalten des Jenenser Bildes, des Tages, der Liebe, der Nacht haben wir in groben Anfängen vor uns, und staunenerregend ist die Steile seines Aufstiegs. Zuweilen übertrifft eine Zeichnung ein späteres, bereits gemaltes Mittelstadium in ungeahntem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/450>, abgerufen am 22.07.2024.