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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Schicksalsstnnde der deutschen Landwirtschaft

Arbeiter, damit er frei werde von den sozialistischen Irrlehren, der Politik des
unfruchtbaren Hasses, Neides, Klassenkampfes und der verwüstenden Streiks.
Nachdem nunmehr dreißig Jahre lang die deutschen Arbeiter versuchten, ihre
Lebenslage auf keinem anderen Wege zu bessern als auf dem Wege des
Klassenkampfes und der Streiks, wollen wir doch einmal die deutschen
Arbeiter fragen, ob sie wirklich glauben, daß der Arbeitslohn heute nur um
einen Groschen niedriger stehen würde ohne diese unendlichen Opfer sauer
ersparter Arbeitergroschen. Um keinen Pfennig würde er niedriger stehen, denn
der Ausgleich zwischen Kapitalgewinn und Arbeitslohn folgt anderen lautloseren
Gesetzen, als den wütigen Befehlen kurzsichtiger Streikführer. Wohl aber ist
die Konkurrenz ausländischer, kulturloser Arbeiter von großer Bedeutung für die
Höhe des Arbeitslohnes. Unter dem Druck der Unterbietung stehen auch die
hochbezahlten Arbeiter der Industrie, wenn sie ihn auch noch nicht fühlen und
erkennen. Darum wäre die vernünftigste Parole auch für deutsche Arbeiter¬
führer: Schutz der deutschen Arbeit gegen die Unterbietung des Auslandes.
Mit dieser Parole könnte man eine gewaltige Sprengwirkung ausüben in den
Reihen der internationalen Sozialdemokratie, und die Massen der deutschen
Arbeiter zurückführen zu einer Politik des Friedenhaltens mit dem Kapital und
zu einer Politik wirklicher nationaler Wohlfahrt und wirklicher Erhöhung des
Arbeitslohnes.

Alle deutschen Vaterlandsfreunde aber, denen in erster Linie gelegen ist an
der Zufriedenheit und sittlichen Gesundheit des Volkes, sie alle sollten um
dieser Zufriedenheit willen die Notwendigkeit der inneren Kolonisation einsehen
und sollten alles daransetzen, um demjenigen deutschen Manne, der eingesehen
hat, was der eigene Herd wert ist, zu eigenem Besitz zu verhelfen auf dem
Wege der inneren Kolonisation.




Nun könnte man aber einwenden: Ja ist es denn überhaupt noch möglich
und erreichbar, den großen Menschenbedarf an auswärtigen Arbeitskräften, den
wir zurzeit haben, diese neunhunderttausend Köpfe aus dem deutschen Volke selber
zu gewinnen. Demgegenüber möchte ich mit aller Zuversicht behaupten: ja, das
ist möglich. Die Vermehrungsfähigkeit eines Volkes ist ungemein beeinflußbar.
Das deutsche Volk hat trotz seines großen jährlichen Zuwachses noch nicht diejenige
VermehrungZziffer, die das englische Volk fertig bringt, angesichts der großen
Arbeitsgelegenheit, die dem Engländer überall auf dem Erdenrund winkt.
Noch viel weniger erreicht das deutsche Volk diejenige relative Vermehrungs-
Ziffer, welche die kolonialen Völker der Neuzeit, das nordamerikanische, das
australische*) und das Burenvolk, -- ungerechnet die Zuwanderung selbst¬
verständlich -- erreicht haben. Warum haben diese Völker die stärkere Ver-



') Australien ist freilich zu einem fast rein großstädtischen Volkskörper geworden und hat
darum eine rapide sinkende Vermehrungskraft.
Die Schicksalsstnnde der deutschen Landwirtschaft

Arbeiter, damit er frei werde von den sozialistischen Irrlehren, der Politik des
unfruchtbaren Hasses, Neides, Klassenkampfes und der verwüstenden Streiks.
Nachdem nunmehr dreißig Jahre lang die deutschen Arbeiter versuchten, ihre
Lebenslage auf keinem anderen Wege zu bessern als auf dem Wege des
Klassenkampfes und der Streiks, wollen wir doch einmal die deutschen
Arbeiter fragen, ob sie wirklich glauben, daß der Arbeitslohn heute nur um
einen Groschen niedriger stehen würde ohne diese unendlichen Opfer sauer
ersparter Arbeitergroschen. Um keinen Pfennig würde er niedriger stehen, denn
der Ausgleich zwischen Kapitalgewinn und Arbeitslohn folgt anderen lautloseren
Gesetzen, als den wütigen Befehlen kurzsichtiger Streikführer. Wohl aber ist
die Konkurrenz ausländischer, kulturloser Arbeiter von großer Bedeutung für die
Höhe des Arbeitslohnes. Unter dem Druck der Unterbietung stehen auch die
hochbezahlten Arbeiter der Industrie, wenn sie ihn auch noch nicht fühlen und
erkennen. Darum wäre die vernünftigste Parole auch für deutsche Arbeiter¬
führer: Schutz der deutschen Arbeit gegen die Unterbietung des Auslandes.
Mit dieser Parole könnte man eine gewaltige Sprengwirkung ausüben in den
Reihen der internationalen Sozialdemokratie, und die Massen der deutschen
Arbeiter zurückführen zu einer Politik des Friedenhaltens mit dem Kapital und
zu einer Politik wirklicher nationaler Wohlfahrt und wirklicher Erhöhung des
Arbeitslohnes.

Alle deutschen Vaterlandsfreunde aber, denen in erster Linie gelegen ist an
der Zufriedenheit und sittlichen Gesundheit des Volkes, sie alle sollten um
dieser Zufriedenheit willen die Notwendigkeit der inneren Kolonisation einsehen
und sollten alles daransetzen, um demjenigen deutschen Manne, der eingesehen
hat, was der eigene Herd wert ist, zu eigenem Besitz zu verhelfen auf dem
Wege der inneren Kolonisation.




Nun könnte man aber einwenden: Ja ist es denn überhaupt noch möglich
und erreichbar, den großen Menschenbedarf an auswärtigen Arbeitskräften, den
wir zurzeit haben, diese neunhunderttausend Köpfe aus dem deutschen Volke selber
zu gewinnen. Demgegenüber möchte ich mit aller Zuversicht behaupten: ja, das
ist möglich. Die Vermehrungsfähigkeit eines Volkes ist ungemein beeinflußbar.
Das deutsche Volk hat trotz seines großen jährlichen Zuwachses noch nicht diejenige
VermehrungZziffer, die das englische Volk fertig bringt, angesichts der großen
Arbeitsgelegenheit, die dem Engländer überall auf dem Erdenrund winkt.
Noch viel weniger erreicht das deutsche Volk diejenige relative Vermehrungs-
Ziffer, welche die kolonialen Völker der Neuzeit, das nordamerikanische, das
australische*) und das Burenvolk, — ungerechnet die Zuwanderung selbst¬
verständlich — erreicht haben. Warum haben diese Völker die stärkere Ver-



') Australien ist freilich zu einem fast rein großstädtischen Volkskörper geworden und hat
darum eine rapide sinkende Vermehrungskraft.
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[0423] Die Schicksalsstnnde der deutschen Landwirtschaft Arbeiter, damit er frei werde von den sozialistischen Irrlehren, der Politik des unfruchtbaren Hasses, Neides, Klassenkampfes und der verwüstenden Streiks. Nachdem nunmehr dreißig Jahre lang die deutschen Arbeiter versuchten, ihre Lebenslage auf keinem anderen Wege zu bessern als auf dem Wege des Klassenkampfes und der Streiks, wollen wir doch einmal die deutschen Arbeiter fragen, ob sie wirklich glauben, daß der Arbeitslohn heute nur um einen Groschen niedriger stehen würde ohne diese unendlichen Opfer sauer ersparter Arbeitergroschen. Um keinen Pfennig würde er niedriger stehen, denn der Ausgleich zwischen Kapitalgewinn und Arbeitslohn folgt anderen lautloseren Gesetzen, als den wütigen Befehlen kurzsichtiger Streikführer. Wohl aber ist die Konkurrenz ausländischer, kulturloser Arbeiter von großer Bedeutung für die Höhe des Arbeitslohnes. Unter dem Druck der Unterbietung stehen auch die hochbezahlten Arbeiter der Industrie, wenn sie ihn auch noch nicht fühlen und erkennen. Darum wäre die vernünftigste Parole auch für deutsche Arbeiter¬ führer: Schutz der deutschen Arbeit gegen die Unterbietung des Auslandes. Mit dieser Parole könnte man eine gewaltige Sprengwirkung ausüben in den Reihen der internationalen Sozialdemokratie, und die Massen der deutschen Arbeiter zurückführen zu einer Politik des Friedenhaltens mit dem Kapital und zu einer Politik wirklicher nationaler Wohlfahrt und wirklicher Erhöhung des Arbeitslohnes. Alle deutschen Vaterlandsfreunde aber, denen in erster Linie gelegen ist an der Zufriedenheit und sittlichen Gesundheit des Volkes, sie alle sollten um dieser Zufriedenheit willen die Notwendigkeit der inneren Kolonisation einsehen und sollten alles daransetzen, um demjenigen deutschen Manne, der eingesehen hat, was der eigene Herd wert ist, zu eigenem Besitz zu verhelfen auf dem Wege der inneren Kolonisation. Nun könnte man aber einwenden: Ja ist es denn überhaupt noch möglich und erreichbar, den großen Menschenbedarf an auswärtigen Arbeitskräften, den wir zurzeit haben, diese neunhunderttausend Köpfe aus dem deutschen Volke selber zu gewinnen. Demgegenüber möchte ich mit aller Zuversicht behaupten: ja, das ist möglich. Die Vermehrungsfähigkeit eines Volkes ist ungemein beeinflußbar. Das deutsche Volk hat trotz seines großen jährlichen Zuwachses noch nicht diejenige VermehrungZziffer, die das englische Volk fertig bringt, angesichts der großen Arbeitsgelegenheit, die dem Engländer überall auf dem Erdenrund winkt. Noch viel weniger erreicht das deutsche Volk diejenige relative Vermehrungs- Ziffer, welche die kolonialen Völker der Neuzeit, das nordamerikanische, das australische*) und das Burenvolk, — ungerechnet die Zuwanderung selbst¬ verständlich — erreicht haben. Warum haben diese Völker die stärkere Ver- ') Australien ist freilich zu einem fast rein großstädtischen Volkskörper geworden und hat darum eine rapide sinkende Vermehrungskraft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/423>, abgerufen am 03.07.2024.