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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft

Wäre es nicht gewissenhafter und schließlich auch klüger, wir versuchten
wieder zu deutschen Arbeitern zu kommen, selbst wenn sie teurer wären? Aber
sie sind nicht einmal teurer. Wohl auf den Kopf berechnet erscheinen sie teurer,
genau wie der nordamerikanische Arbeiter, der englische und der deutsche Industrie¬
arbeiter teuer erscheinen; aber auf das Produkt berechnet sind sie billiger, genau
so wie die Arbeit der eben genannten hochbezahlten Industriearbeiter auf das
Produkt berechnet billiger ist, als die billigste Arbeit des Weltmarkts, die des
italienischen, japanischen oder indischen Arbeiters, welche nur 20 Pfg. den Tag kostet.
Ihre Arbeit ist fruchtbarer, weil sie intelligenter und gewissenhafter ist. Würden
nicht auch die deutschen Landwirte besser tun, ihr kostbares Vieh und ihre wertvollen
Maschinen lieber deutschen Nachbarssöhnen anzuvertrauen, als dem Fremden, --
vor allem solchen, die schon im Elternhause als Kinder durch eine kleine Vieh"
wirtschaft gelernt haben, was treue Arbeit ist? Die Treue in der Arbeit ist ein
Element von größter wirtschaftlicher Kraft. Darum liegt es im Interesse aller
deutschen Arbeitgeber, auch der großen Fabrikherren, daß es möglichst viel kleine
Eigentümer gäbe, deren Kinder zu Hause von Jugend auf Treue in der Arbeit
und nicht den Mietlingsgeist gelernt haben. Besonders aber müssen das die
deutschen Landwirte wünschen. Darum meine ich, sollten sie alles daran setzen,
solchen Arbeiternachwuchs wiederum zu erhalten und dazu das Werk der inneren
Kolonisation recht kräftig anfassen.

Aber aus der inneren Kolonisation kann niemals etwas werden, wenn der
Strom der ausländischen Arbeiter nicht unterbunden oder doch wenigstens ein¬
gedämmt wird.

Nun können die Landwirte einreden: es ist leicht die ausländischen Arbeiter
auszusperren, aber schwer den deutschen Arbeiter zu halten. Darin haben sie
recht. Eine Abwehr der Ausländer ohne gleichzeitige innere Kolonisation ist
unmöglich. Eins nicht ohne das andere. Darum verlangen wir eine gewaltige
innere Kolonisation zugunsten deutscher Landwirte. Auch ist das Leben oder
Sterben des arbeitenden deutschen Landvolkes nicht etwa nur eine Sache der
Landwirte. Es geht die ganze deutsche Nation etwas an. Ein Volk ist wie
ein Wald. Es wächst empor aus seinen Wurzeln: aus seinen untersten Ständen.
Seine höchsten Stämme freilich, seinen Adel, hebt es hinauf in die Sturmschicht
der redenden Geschichte und in das helle Tageslicht der Hochkultur. Aber seine
Dauer in die Zukunft, seine Lebenskraft, feine Ewigkeit, -- denn ein Volk
braucht nicht zu sterben, so wenig wie ein Wald --, die hat es in seinen
untersten Ständen. Verdorren seine untersten Stände, seine Wurzeln, so stirbt
der Wald. Die alten Stämme freilich stehen noch eine Weile aufrecht,
vielleicht ein Jahrhundert oder länger. Aber es wird licht um die alten Riesen,
die alten Familien, und einmal fallen auch sie und vermodern an der Erde.
Dann ist der Wald gestorben. So ist in allen Kulturländern des Mittelmeeres
der Wald gestorben, und keine Klugheit der Menschen vermag ihn wieder
anzupflanzen. Auch das Ende eines Volkes und einer nationalen Kultur kann


Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft

Wäre es nicht gewissenhafter und schließlich auch klüger, wir versuchten
wieder zu deutschen Arbeitern zu kommen, selbst wenn sie teurer wären? Aber
sie sind nicht einmal teurer. Wohl auf den Kopf berechnet erscheinen sie teurer,
genau wie der nordamerikanische Arbeiter, der englische und der deutsche Industrie¬
arbeiter teuer erscheinen; aber auf das Produkt berechnet sind sie billiger, genau
so wie die Arbeit der eben genannten hochbezahlten Industriearbeiter auf das
Produkt berechnet billiger ist, als die billigste Arbeit des Weltmarkts, die des
italienischen, japanischen oder indischen Arbeiters, welche nur 20 Pfg. den Tag kostet.
Ihre Arbeit ist fruchtbarer, weil sie intelligenter und gewissenhafter ist. Würden
nicht auch die deutschen Landwirte besser tun, ihr kostbares Vieh und ihre wertvollen
Maschinen lieber deutschen Nachbarssöhnen anzuvertrauen, als dem Fremden, —
vor allem solchen, die schon im Elternhause als Kinder durch eine kleine Vieh»
wirtschaft gelernt haben, was treue Arbeit ist? Die Treue in der Arbeit ist ein
Element von größter wirtschaftlicher Kraft. Darum liegt es im Interesse aller
deutschen Arbeitgeber, auch der großen Fabrikherren, daß es möglichst viel kleine
Eigentümer gäbe, deren Kinder zu Hause von Jugend auf Treue in der Arbeit
und nicht den Mietlingsgeist gelernt haben. Besonders aber müssen das die
deutschen Landwirte wünschen. Darum meine ich, sollten sie alles daran setzen,
solchen Arbeiternachwuchs wiederum zu erhalten und dazu das Werk der inneren
Kolonisation recht kräftig anfassen.

Aber aus der inneren Kolonisation kann niemals etwas werden, wenn der
Strom der ausländischen Arbeiter nicht unterbunden oder doch wenigstens ein¬
gedämmt wird.

Nun können die Landwirte einreden: es ist leicht die ausländischen Arbeiter
auszusperren, aber schwer den deutschen Arbeiter zu halten. Darin haben sie
recht. Eine Abwehr der Ausländer ohne gleichzeitige innere Kolonisation ist
unmöglich. Eins nicht ohne das andere. Darum verlangen wir eine gewaltige
innere Kolonisation zugunsten deutscher Landwirte. Auch ist das Leben oder
Sterben des arbeitenden deutschen Landvolkes nicht etwa nur eine Sache der
Landwirte. Es geht die ganze deutsche Nation etwas an. Ein Volk ist wie
ein Wald. Es wächst empor aus seinen Wurzeln: aus seinen untersten Ständen.
Seine höchsten Stämme freilich, seinen Adel, hebt es hinauf in die Sturmschicht
der redenden Geschichte und in das helle Tageslicht der Hochkultur. Aber seine
Dauer in die Zukunft, seine Lebenskraft, feine Ewigkeit, — denn ein Volk
braucht nicht zu sterben, so wenig wie ein Wald —, die hat es in seinen
untersten Ständen. Verdorren seine untersten Stände, seine Wurzeln, so stirbt
der Wald. Die alten Stämme freilich stehen noch eine Weile aufrecht,
vielleicht ein Jahrhundert oder länger. Aber es wird licht um die alten Riesen,
die alten Familien, und einmal fallen auch sie und vermodern an der Erde.
Dann ist der Wald gestorben. So ist in allen Kulturländern des Mittelmeeres
der Wald gestorben, und keine Klugheit der Menschen vermag ihn wieder
anzupflanzen. Auch das Ende eines Volkes und einer nationalen Kultur kann


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[0421] Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft Wäre es nicht gewissenhafter und schließlich auch klüger, wir versuchten wieder zu deutschen Arbeitern zu kommen, selbst wenn sie teurer wären? Aber sie sind nicht einmal teurer. Wohl auf den Kopf berechnet erscheinen sie teurer, genau wie der nordamerikanische Arbeiter, der englische und der deutsche Industrie¬ arbeiter teuer erscheinen; aber auf das Produkt berechnet sind sie billiger, genau so wie die Arbeit der eben genannten hochbezahlten Industriearbeiter auf das Produkt berechnet billiger ist, als die billigste Arbeit des Weltmarkts, die des italienischen, japanischen oder indischen Arbeiters, welche nur 20 Pfg. den Tag kostet. Ihre Arbeit ist fruchtbarer, weil sie intelligenter und gewissenhafter ist. Würden nicht auch die deutschen Landwirte besser tun, ihr kostbares Vieh und ihre wertvollen Maschinen lieber deutschen Nachbarssöhnen anzuvertrauen, als dem Fremden, — vor allem solchen, die schon im Elternhause als Kinder durch eine kleine Vieh» wirtschaft gelernt haben, was treue Arbeit ist? Die Treue in der Arbeit ist ein Element von größter wirtschaftlicher Kraft. Darum liegt es im Interesse aller deutschen Arbeitgeber, auch der großen Fabrikherren, daß es möglichst viel kleine Eigentümer gäbe, deren Kinder zu Hause von Jugend auf Treue in der Arbeit und nicht den Mietlingsgeist gelernt haben. Besonders aber müssen das die deutschen Landwirte wünschen. Darum meine ich, sollten sie alles daran setzen, solchen Arbeiternachwuchs wiederum zu erhalten und dazu das Werk der inneren Kolonisation recht kräftig anfassen. Aber aus der inneren Kolonisation kann niemals etwas werden, wenn der Strom der ausländischen Arbeiter nicht unterbunden oder doch wenigstens ein¬ gedämmt wird. Nun können die Landwirte einreden: es ist leicht die ausländischen Arbeiter auszusperren, aber schwer den deutschen Arbeiter zu halten. Darin haben sie recht. Eine Abwehr der Ausländer ohne gleichzeitige innere Kolonisation ist unmöglich. Eins nicht ohne das andere. Darum verlangen wir eine gewaltige innere Kolonisation zugunsten deutscher Landwirte. Auch ist das Leben oder Sterben des arbeitenden deutschen Landvolkes nicht etwa nur eine Sache der Landwirte. Es geht die ganze deutsche Nation etwas an. Ein Volk ist wie ein Wald. Es wächst empor aus seinen Wurzeln: aus seinen untersten Ständen. Seine höchsten Stämme freilich, seinen Adel, hebt es hinauf in die Sturmschicht der redenden Geschichte und in das helle Tageslicht der Hochkultur. Aber seine Dauer in die Zukunft, seine Lebenskraft, feine Ewigkeit, — denn ein Volk braucht nicht zu sterben, so wenig wie ein Wald —, die hat es in seinen untersten Ständen. Verdorren seine untersten Stände, seine Wurzeln, so stirbt der Wald. Die alten Stämme freilich stehen noch eine Weile aufrecht, vielleicht ein Jahrhundert oder länger. Aber es wird licht um die alten Riesen, die alten Familien, und einmal fallen auch sie und vermodern an der Erde. Dann ist der Wald gestorben. So ist in allen Kulturländern des Mittelmeeres der Wald gestorben, und keine Klugheit der Menschen vermag ihn wieder anzupflanzen. Auch das Ende eines Volkes und einer nationalen Kultur kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/421>, abgerufen am 01.07.2024.