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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Von alten Liedern

sind weit weniger erfreulich, aber immer noch annehmbar im Vergleich zu einigen
seiner weltlichen Gedichte.

So verwachsen war unser Volk mit seinen Liedern, Sie klangen so hinein
in all sein Mühen und Freuen, daß es nicht erstaunlich ist, wenn auch der
Aberglaube sich sein Teil von ihnen nahm. Merkwürdige Kunde haben wir
darüber. Da ist das uralte Lied: "Mytten wir im Leben Spuk mit dem todt
umbfangen". Im Mittelalter entstanden, war es bis ins dreizehnte Jahr¬
hundert hinein ein allgemeines Volkslied. Man sang es in schweren, angst¬
vollen Zeiten, bei Pestgefahr, Meeresnot, Krieg usw. Und ganz allmählich
erwuchs ihm eine finstere Bedeutung, es wurde zur Waffe -- das Volk legte
ihm die Wirkung bei, daß es den Gegner töte, wenn man ihn damit "ansinge".
Und im Jahre 1310 mußte das Provinzialkollegium in Köln einen Erlaß ver¬
öffentlichen, der das Absingen dieses Liedes "ohne Erlaubnis gegen irgend¬
welche Personen" verbot*).

Zu allen Zeiten sollte wieder im Hause gesungen werden, aber um Weih¬
nachten herum vor allem. Weihnachten ist selbst für unsere Stadtkinder ein
Fest, an dem sie gern wieder zu Kindern werden -- und wie wurde in unserer
Kinderzeit das "um Weihnachten herum" so herrlich lange ausgedehnt!

Wenn am 1. Advent in der Schummerstunde das erste Licht angesteckt
wird, auf einem Brettchen vor der Ecke, wo das Krippenbild hängt und wo
schon frühe Tannenzweige duften -- wenn Tag für Tag ein Licht dazu kommt,
bis der Tag erfüllet ist, und Tag für Tag die alten lieben Lieder in der licht-
durchfunkelten Dämmerung erklingen -- das ist Weihnachten, das alles und
nicht nur der eine unsagbar schöne Abend, über dein doch die leise Wehmut
liegt, daß er nun "gleich vorbei" ist. Unser liebes deutsches Weihnachten ist
uralt, und zu ihm gehören die alten Lieder, die wir ein bißchen vergessen haben
und die sich doch nicht vergessen lassen wollen.

Da ist das alte Dreikönigslied, das hat seinen eigenen Zauber! Freilich,
der Schnee müßte dazu knirschen, und am langen Stock muß der Stern leuchten --
je prachtvoller, je besser -- und der König Kaspar muß sehr grauenhaft schwarz
gemalt sein -- aber auch so -- auch so:

Das Lied von den si. Drey Königen

Gott so wollen wir loben und ehrn
die heiligen drei König mi jrem Stern. Sie zogen für Herodis Haus,
Herodes sah zum Fenster heraus,
"Jr lieben Herrn, wo wollt jr hin?"
"Gen Bethlehem steht unser Sinn. Sie ritten daher in schneller Eil
in dreizehen tagen vier hundert weil. Da ist geborn ohn alles leid
ein kindlein von einer reinen meid." Sie kamen in Herodis Land,
Herodes was jn unbekannt.


"prolübemus item, ne in -Uiqua LLLlesmrum nobis sudjecwrum. impreeationes
iiant nee cleLsntetur jVieclia vns contra sliciuss personas, nisi als nostrÄ liceiNiÄ speculi
oum nostra intersit cliscutere, quanclo sint tala ksciemw," (SLiiimnss, Lvneilis,
(Zermam'ac IV. 124.)
Von alten Liedern

sind weit weniger erfreulich, aber immer noch annehmbar im Vergleich zu einigen
seiner weltlichen Gedichte.

So verwachsen war unser Volk mit seinen Liedern, Sie klangen so hinein
in all sein Mühen und Freuen, daß es nicht erstaunlich ist, wenn auch der
Aberglaube sich sein Teil von ihnen nahm. Merkwürdige Kunde haben wir
darüber. Da ist das uralte Lied: „Mytten wir im Leben Spuk mit dem todt
umbfangen". Im Mittelalter entstanden, war es bis ins dreizehnte Jahr¬
hundert hinein ein allgemeines Volkslied. Man sang es in schweren, angst¬
vollen Zeiten, bei Pestgefahr, Meeresnot, Krieg usw. Und ganz allmählich
erwuchs ihm eine finstere Bedeutung, es wurde zur Waffe — das Volk legte
ihm die Wirkung bei, daß es den Gegner töte, wenn man ihn damit „ansinge".
Und im Jahre 1310 mußte das Provinzialkollegium in Köln einen Erlaß ver¬
öffentlichen, der das Absingen dieses Liedes „ohne Erlaubnis gegen irgend¬
welche Personen" verbot*).

Zu allen Zeiten sollte wieder im Hause gesungen werden, aber um Weih¬
nachten herum vor allem. Weihnachten ist selbst für unsere Stadtkinder ein
Fest, an dem sie gern wieder zu Kindern werden — und wie wurde in unserer
Kinderzeit das „um Weihnachten herum" so herrlich lange ausgedehnt!

Wenn am 1. Advent in der Schummerstunde das erste Licht angesteckt
wird, auf einem Brettchen vor der Ecke, wo das Krippenbild hängt und wo
schon frühe Tannenzweige duften — wenn Tag für Tag ein Licht dazu kommt,
bis der Tag erfüllet ist, und Tag für Tag die alten lieben Lieder in der licht-
durchfunkelten Dämmerung erklingen — das ist Weihnachten, das alles und
nicht nur der eine unsagbar schöne Abend, über dein doch die leise Wehmut
liegt, daß er nun „gleich vorbei" ist. Unser liebes deutsches Weihnachten ist
uralt, und zu ihm gehören die alten Lieder, die wir ein bißchen vergessen haben
und die sich doch nicht vergessen lassen wollen.

Da ist das alte Dreikönigslied, das hat seinen eigenen Zauber! Freilich,
der Schnee müßte dazu knirschen, und am langen Stock muß der Stern leuchten —
je prachtvoller, je besser — und der König Kaspar muß sehr grauenhaft schwarz
gemalt sein — aber auch so — auch so:

Das Lied von den si. Drey Königen

Gott so wollen wir loben und ehrn
die heiligen drei König mi jrem Stern. Sie zogen für Herodis Haus,
Herodes sah zum Fenster heraus,
„Jr lieben Herrn, wo wollt jr hin?"
„Gen Bethlehem steht unser Sinn. Sie ritten daher in schneller Eil
in dreizehen tagen vier hundert weil. Da ist geborn ohn alles leid
ein kindlein von einer reinen meid." Sie kamen in Herodis Land,
Herodes was jn unbekannt.


„prolübemus item, ne in -Uiqua LLLlesmrum nobis sudjecwrum. impreeationes
iiant nee cleLsntetur jVieclia vns contra sliciuss personas, nisi als nostrÄ liceiNiÄ speculi
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[0041] Von alten Liedern sind weit weniger erfreulich, aber immer noch annehmbar im Vergleich zu einigen seiner weltlichen Gedichte. So verwachsen war unser Volk mit seinen Liedern, Sie klangen so hinein in all sein Mühen und Freuen, daß es nicht erstaunlich ist, wenn auch der Aberglaube sich sein Teil von ihnen nahm. Merkwürdige Kunde haben wir darüber. Da ist das uralte Lied: „Mytten wir im Leben Spuk mit dem todt umbfangen". Im Mittelalter entstanden, war es bis ins dreizehnte Jahr¬ hundert hinein ein allgemeines Volkslied. Man sang es in schweren, angst¬ vollen Zeiten, bei Pestgefahr, Meeresnot, Krieg usw. Und ganz allmählich erwuchs ihm eine finstere Bedeutung, es wurde zur Waffe — das Volk legte ihm die Wirkung bei, daß es den Gegner töte, wenn man ihn damit „ansinge". Und im Jahre 1310 mußte das Provinzialkollegium in Köln einen Erlaß ver¬ öffentlichen, der das Absingen dieses Liedes „ohne Erlaubnis gegen irgend¬ welche Personen" verbot*). Zu allen Zeiten sollte wieder im Hause gesungen werden, aber um Weih¬ nachten herum vor allem. Weihnachten ist selbst für unsere Stadtkinder ein Fest, an dem sie gern wieder zu Kindern werden — und wie wurde in unserer Kinderzeit das „um Weihnachten herum" so herrlich lange ausgedehnt! Wenn am 1. Advent in der Schummerstunde das erste Licht angesteckt wird, auf einem Brettchen vor der Ecke, wo das Krippenbild hängt und wo schon frühe Tannenzweige duften — wenn Tag für Tag ein Licht dazu kommt, bis der Tag erfüllet ist, und Tag für Tag die alten lieben Lieder in der licht- durchfunkelten Dämmerung erklingen — das ist Weihnachten, das alles und nicht nur der eine unsagbar schöne Abend, über dein doch die leise Wehmut liegt, daß er nun „gleich vorbei" ist. Unser liebes deutsches Weihnachten ist uralt, und zu ihm gehören die alten Lieder, die wir ein bißchen vergessen haben und die sich doch nicht vergessen lassen wollen. Da ist das alte Dreikönigslied, das hat seinen eigenen Zauber! Freilich, der Schnee müßte dazu knirschen, und am langen Stock muß der Stern leuchten — je prachtvoller, je besser — und der König Kaspar muß sehr grauenhaft schwarz gemalt sein — aber auch so — auch so: Das Lied von den si. Drey Königen Gott so wollen wir loben und ehrn die heiligen drei König mi jrem Stern. Sie zogen für Herodis Haus, Herodes sah zum Fenster heraus, „Jr lieben Herrn, wo wollt jr hin?" „Gen Bethlehem steht unser Sinn. Sie ritten daher in schneller Eil in dreizehen tagen vier hundert weil. Da ist geborn ohn alles leid ein kindlein von einer reinen meid." Sie kamen in Herodis Land, Herodes was jn unbekannt. „prolübemus item, ne in -Uiqua LLLlesmrum nobis sudjecwrum. impreeationes iiant nee cleLsntetur jVieclia vns contra sliciuss personas, nisi als nostrÄ liceiNiÄ speculi oum nostra intersit cliscutere, quanclo sint tala ksciemw," (SLiiimnss, Lvneilis, (Zermam'ac IV. 124.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/41>, abgerufen am 22.07.2024.