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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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August Strindberg

der Scheidung und die Geschichte dieser beispiellos unglücklichen Ehe. Ihre
Vorgeschichte aber steht im ersten Teil der Biographie: Nur ein Jüngling, der
nie den Einfluß einer feinfühligen Frau kennen gelernt hatte, konnte sich über
das wahre Wesen der Erwählten täuschen. Er nahm die sinnliche Schönheit
als Manifestation der inneren und erwartete, als sich schon zu Beginn des
Verhältnisses vieles offenbarte, was ganz und gar von der Erde war, die
höchste Veredelung dieser Frauenpsyche von der Mütterlichkeit. Aber sie -- wie
ihre Nachfolgerinnen -- war nicht geschaffen, das Ideal eines von weiblicher
Vollkommenheit träumenden Dichters zu materialisieren -- seinem fanatischen
"Alles oder Nichts!" auch nur entfernt Genüge zu tun. So hat denn eins
das andere tiefer und tiefer hinabgezogen in eine Hölle von Seelenqual. "Ich
mußte meinen Leichnam waschen, bevor er für immer in den Sarg gelegt
wurde," schreibt Strindberg im Nachwort. Bekanntlich lag das in französischer
Sprache geschriebene Manuskript fünf Jahre versiegelt bei einem Verwandten,
ehe sich der Verfasser zur Herausgabe entschloß, "um unerhörten Angriffen
entgegenzutreten", wie er sagt. Wie gewaltsam aber die Krise war, die dem
endlichen Entschluß zur Trennung folgte, lehren die Bekenntnisse des "Inferno",
eine Höllenwanderung grausiger wie jene des Florentiners, weil hier ein gebrochener
Geist wachen Auges in den Abgrund menschlichen Fühlens steigt und mit den
Schemen des Wahnsinns Zwiesprache hält.

In das erste Jahr von Strindbergs Ehe fällt das Erscheinen des Werks,
das ihn mit einem Schlage zum berühmten Manne machte, des Zeitromans
"Das rote Zimmer". Es ist eine unbarmherzige Satire auf die Korruption in
Beamtenschaft und Presse, aus der damals, wie Strindberg selbst berichtet, noch
mehr Porträts herausgefunden wurden, als wirklich darinnen waren. Die scharf
umrissene Charakterzeichnung ist viel bewundert worden, doch haftet der Roman,
gleich den späteren ähnlichen Genres, zu sehr am Lokalen, um für den diesen
Verhältnissen Fernstehenden von bleibendem Interesse zu sein.

Inzwischen aber wächst, aus dem Gift der leidvollen Strindbergschen Ehe
und dem Zynismus unlauterer Verhältnisse in jüngeren Jahren geboren, der
Frauentypus heran, dessen dämonisches Wirken den Knoten Schürze in manchem
Drama der naturalistischen Periode und später noch, bis ans Ende: Das Weib
als Verderberin, das flüchtige Züge der Weichheit und Güte nur als lockenden
Schmuck trägt, nicht aus innerem Bedürfnis, Liebe und Leben zu spenden.
Vielmehr löst sich all ihr Trachten in eine Gier nach Macht, zu deren Befriedigung
ihr jedes, auch das niedrigste Mittel, recht ist. Verwandte Züge scheinen von
diesen so gearteten Geschöpfen zu "Hedda Gabler" hinüber zu leiten, nur daß
Ibsen das Abnorme des Zerstörungstriebes immer noch menschlich erklären will.
Frauen hingegen wie die Laura im "Vater" oder die Mutter im "Scheiter¬
haufen" erscheinen wie Verkörperungen des absolut Bösen. Etwas Gespenster¬
haftes umschwebt sie. Sie scheinen nicht von dieser Welt, vielmehr als Botinnen
des Abgrunds vom Fürsten der Finsternis entsandt, zu martern und zu zer->


August Strindberg

der Scheidung und die Geschichte dieser beispiellos unglücklichen Ehe. Ihre
Vorgeschichte aber steht im ersten Teil der Biographie: Nur ein Jüngling, der
nie den Einfluß einer feinfühligen Frau kennen gelernt hatte, konnte sich über
das wahre Wesen der Erwählten täuschen. Er nahm die sinnliche Schönheit
als Manifestation der inneren und erwartete, als sich schon zu Beginn des
Verhältnisses vieles offenbarte, was ganz und gar von der Erde war, die
höchste Veredelung dieser Frauenpsyche von der Mütterlichkeit. Aber sie — wie
ihre Nachfolgerinnen — war nicht geschaffen, das Ideal eines von weiblicher
Vollkommenheit träumenden Dichters zu materialisieren — seinem fanatischen
„Alles oder Nichts!" auch nur entfernt Genüge zu tun. So hat denn eins
das andere tiefer und tiefer hinabgezogen in eine Hölle von Seelenqual. „Ich
mußte meinen Leichnam waschen, bevor er für immer in den Sarg gelegt
wurde," schreibt Strindberg im Nachwort. Bekanntlich lag das in französischer
Sprache geschriebene Manuskript fünf Jahre versiegelt bei einem Verwandten,
ehe sich der Verfasser zur Herausgabe entschloß, „um unerhörten Angriffen
entgegenzutreten", wie er sagt. Wie gewaltsam aber die Krise war, die dem
endlichen Entschluß zur Trennung folgte, lehren die Bekenntnisse des „Inferno",
eine Höllenwanderung grausiger wie jene des Florentiners, weil hier ein gebrochener
Geist wachen Auges in den Abgrund menschlichen Fühlens steigt und mit den
Schemen des Wahnsinns Zwiesprache hält.

In das erste Jahr von Strindbergs Ehe fällt das Erscheinen des Werks,
das ihn mit einem Schlage zum berühmten Manne machte, des Zeitromans
„Das rote Zimmer". Es ist eine unbarmherzige Satire auf die Korruption in
Beamtenschaft und Presse, aus der damals, wie Strindberg selbst berichtet, noch
mehr Porträts herausgefunden wurden, als wirklich darinnen waren. Die scharf
umrissene Charakterzeichnung ist viel bewundert worden, doch haftet der Roman,
gleich den späteren ähnlichen Genres, zu sehr am Lokalen, um für den diesen
Verhältnissen Fernstehenden von bleibendem Interesse zu sein.

Inzwischen aber wächst, aus dem Gift der leidvollen Strindbergschen Ehe
und dem Zynismus unlauterer Verhältnisse in jüngeren Jahren geboren, der
Frauentypus heran, dessen dämonisches Wirken den Knoten Schürze in manchem
Drama der naturalistischen Periode und später noch, bis ans Ende: Das Weib
als Verderberin, das flüchtige Züge der Weichheit und Güte nur als lockenden
Schmuck trägt, nicht aus innerem Bedürfnis, Liebe und Leben zu spenden.
Vielmehr löst sich all ihr Trachten in eine Gier nach Macht, zu deren Befriedigung
ihr jedes, auch das niedrigste Mittel, recht ist. Verwandte Züge scheinen von
diesen so gearteten Geschöpfen zu „Hedda Gabler" hinüber zu leiten, nur daß
Ibsen das Abnorme des Zerstörungstriebes immer noch menschlich erklären will.
Frauen hingegen wie die Laura im „Vater" oder die Mutter im „Scheiter¬
haufen" erscheinen wie Verkörperungen des absolut Bösen. Etwas Gespenster¬
haftes umschwebt sie. Sie scheinen nicht von dieser Welt, vielmehr als Botinnen
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[0394] August Strindberg der Scheidung und die Geschichte dieser beispiellos unglücklichen Ehe. Ihre Vorgeschichte aber steht im ersten Teil der Biographie: Nur ein Jüngling, der nie den Einfluß einer feinfühligen Frau kennen gelernt hatte, konnte sich über das wahre Wesen der Erwählten täuschen. Er nahm die sinnliche Schönheit als Manifestation der inneren und erwartete, als sich schon zu Beginn des Verhältnisses vieles offenbarte, was ganz und gar von der Erde war, die höchste Veredelung dieser Frauenpsyche von der Mütterlichkeit. Aber sie — wie ihre Nachfolgerinnen — war nicht geschaffen, das Ideal eines von weiblicher Vollkommenheit träumenden Dichters zu materialisieren — seinem fanatischen „Alles oder Nichts!" auch nur entfernt Genüge zu tun. So hat denn eins das andere tiefer und tiefer hinabgezogen in eine Hölle von Seelenqual. „Ich mußte meinen Leichnam waschen, bevor er für immer in den Sarg gelegt wurde," schreibt Strindberg im Nachwort. Bekanntlich lag das in französischer Sprache geschriebene Manuskript fünf Jahre versiegelt bei einem Verwandten, ehe sich der Verfasser zur Herausgabe entschloß, „um unerhörten Angriffen entgegenzutreten", wie er sagt. Wie gewaltsam aber die Krise war, die dem endlichen Entschluß zur Trennung folgte, lehren die Bekenntnisse des „Inferno", eine Höllenwanderung grausiger wie jene des Florentiners, weil hier ein gebrochener Geist wachen Auges in den Abgrund menschlichen Fühlens steigt und mit den Schemen des Wahnsinns Zwiesprache hält. In das erste Jahr von Strindbergs Ehe fällt das Erscheinen des Werks, das ihn mit einem Schlage zum berühmten Manne machte, des Zeitromans „Das rote Zimmer". Es ist eine unbarmherzige Satire auf die Korruption in Beamtenschaft und Presse, aus der damals, wie Strindberg selbst berichtet, noch mehr Porträts herausgefunden wurden, als wirklich darinnen waren. Die scharf umrissene Charakterzeichnung ist viel bewundert worden, doch haftet der Roman, gleich den späteren ähnlichen Genres, zu sehr am Lokalen, um für den diesen Verhältnissen Fernstehenden von bleibendem Interesse zu sein. Inzwischen aber wächst, aus dem Gift der leidvollen Strindbergschen Ehe und dem Zynismus unlauterer Verhältnisse in jüngeren Jahren geboren, der Frauentypus heran, dessen dämonisches Wirken den Knoten Schürze in manchem Drama der naturalistischen Periode und später noch, bis ans Ende: Das Weib als Verderberin, das flüchtige Züge der Weichheit und Güte nur als lockenden Schmuck trägt, nicht aus innerem Bedürfnis, Liebe und Leben zu spenden. Vielmehr löst sich all ihr Trachten in eine Gier nach Macht, zu deren Befriedigung ihr jedes, auch das niedrigste Mittel, recht ist. Verwandte Züge scheinen von diesen so gearteten Geschöpfen zu „Hedda Gabler" hinüber zu leiten, nur daß Ibsen das Abnorme des Zerstörungstriebes immer noch menschlich erklären will. Frauen hingegen wie die Laura im „Vater" oder die Mutter im „Scheiter¬ haufen" erscheinen wie Verkörperungen des absolut Bösen. Etwas Gespenster¬ haftes umschwebt sie. Sie scheinen nicht von dieser Welt, vielmehr als Botinnen des Abgrunds vom Fürsten der Finsternis entsandt, zu martern und zu zer->

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/394>, abgerufen am 29.06.2024.