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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ver Iviesenzaun

Nun saß er oft an des Vaters Tisch und sprach mit ihm und schaute
dabei unverwandt nach ihr hinüber, mit heißen, bittenden und ihr so unerträg¬
lichen Blicken.

Unter solchen Gedanken hatte Felicitas den Vater in die Stube zurück¬
geführt und schlug nun Feuer, um das Öllämpchen anzuzünden und den Tisch
mit dem ärmlichen Abendbrot zu decken.

Bein: Aufflackern der Lampe gewahrte sie einen rätselhaften Schiinnrer in
der Ecke, den sie sich nicht zu erklären wußte. Sie ging darauf zu und sah,
aufrecht an die Wand gelehnt, des Vaters großes zweihändiges Landsknecht¬
schwert, das er bisher in einer Truhe mit Sorgfalt verwahrt gehalten.

Erschrocken fragte sie den Vater, warum er das Schwert herausgenommen
und wer ihm dabei behilflich gewesen.

Der Blinde aber erzählte ihr freudig erregt, der Scherlin habe das Schwert
auf seinen Wunsch hervorgeholt und er habe hierauf dem staunenden Gesellen
gezeigt, wie er einst als frummer Knecht sein treues Schwert geschwungen,
wobei aber die Stube allmählich zu eng geworden, so daß der Scherlin,
in Angst, einen Hieb zu erwischen, sich plötzlich unter den Tisch ver¬
krochen habe.

Der Blinde lachte, sich dessen erinnernd, gewaltig auf, Felicitas aber
meinte besorgt, sie wolle das Schwert aufs neue in die Truhe legen, denn die
blanke Klinge dort in der Ecke wolle ihr nicht gefallen.

Dagegen erhob nun der Vater heftigen Einspruch und verlangte, es müsse
sein Schwert, das zeitlebens sein bester Freund gewesen, von nun an stets bei
ihm in der Stube lehnen, denn anders vermöge er die Schrecken seiner Ein¬
samkeit nicht mehr zu ertragen.

Da gab Felicitas, um den Vater nicht abermals zu erregen, seufzend
nach, und der Blinde, seines Willens froh, begann in mächtigen Zügen ans
seinem Kruge zu trinken.

"Felicitas," sagte er dann, sich ans Fenster setzend, "es ist eine klare und
helle Nacht. Wie dichtgereiht die Sterne draußen am Himmel stehen, es ist
als wie ein einzig flammendes Licht!"

So pflegte er oft zu sprechen: als ob er alles noch sahe und seine Finsternis
verleugnen wolle.

Felicitas trat an seine Seite und sah in den Sternenhimmel hinauf.

"Sie steh'n in wunderlicher Ordnung," bestätigte sie, "die großen kühn,
wie funkelnde Steine auf dunklem Sammet, die kleinen in sanften munteren
Scharen, wie Blumen auf der Wiese vor dem Tore." Und nun mußte sie dem
Vater, der begierig nach den seltsamen Bildern der Sterne fragte, noch vieles
verkünden, ob sie wohl dieses gewahre und jenes, was er einst auf den nächt¬
lichen Lagerungen sich ersonnen und gemerkt.

Dann saßen sie wieder bei der Lampe nieder, und der Vater begehrte
uach seiner Laute. Felicitas brachte sie ihm, trug aber auch verstohlen das


Ver Iviesenzaun

Nun saß er oft an des Vaters Tisch und sprach mit ihm und schaute
dabei unverwandt nach ihr hinüber, mit heißen, bittenden und ihr so unerträg¬
lichen Blicken.

Unter solchen Gedanken hatte Felicitas den Vater in die Stube zurück¬
geführt und schlug nun Feuer, um das Öllämpchen anzuzünden und den Tisch
mit dem ärmlichen Abendbrot zu decken.

Bein: Aufflackern der Lampe gewahrte sie einen rätselhaften Schiinnrer in
der Ecke, den sie sich nicht zu erklären wußte. Sie ging darauf zu und sah,
aufrecht an die Wand gelehnt, des Vaters großes zweihändiges Landsknecht¬
schwert, das er bisher in einer Truhe mit Sorgfalt verwahrt gehalten.

Erschrocken fragte sie den Vater, warum er das Schwert herausgenommen
und wer ihm dabei behilflich gewesen.

Der Blinde aber erzählte ihr freudig erregt, der Scherlin habe das Schwert
auf seinen Wunsch hervorgeholt und er habe hierauf dem staunenden Gesellen
gezeigt, wie er einst als frummer Knecht sein treues Schwert geschwungen,
wobei aber die Stube allmählich zu eng geworden, so daß der Scherlin,
in Angst, einen Hieb zu erwischen, sich plötzlich unter den Tisch ver¬
krochen habe.

Der Blinde lachte, sich dessen erinnernd, gewaltig auf, Felicitas aber
meinte besorgt, sie wolle das Schwert aufs neue in die Truhe legen, denn die
blanke Klinge dort in der Ecke wolle ihr nicht gefallen.

Dagegen erhob nun der Vater heftigen Einspruch und verlangte, es müsse
sein Schwert, das zeitlebens sein bester Freund gewesen, von nun an stets bei
ihm in der Stube lehnen, denn anders vermöge er die Schrecken seiner Ein¬
samkeit nicht mehr zu ertragen.

Da gab Felicitas, um den Vater nicht abermals zu erregen, seufzend
nach, und der Blinde, seines Willens froh, begann in mächtigen Zügen ans
seinem Kruge zu trinken.

„Felicitas," sagte er dann, sich ans Fenster setzend, „es ist eine klare und
helle Nacht. Wie dichtgereiht die Sterne draußen am Himmel stehen, es ist
als wie ein einzig flammendes Licht!"

So pflegte er oft zu sprechen: als ob er alles noch sahe und seine Finsternis
verleugnen wolle.

Felicitas trat an seine Seite und sah in den Sternenhimmel hinauf.

„Sie steh'n in wunderlicher Ordnung," bestätigte sie, „die großen kühn,
wie funkelnde Steine auf dunklem Sammet, die kleinen in sanften munteren
Scharen, wie Blumen auf der Wiese vor dem Tore." Und nun mußte sie dem
Vater, der begierig nach den seltsamen Bildern der Sterne fragte, noch vieles
verkünden, ob sie wohl dieses gewahre und jenes, was er einst auf den nächt¬
lichen Lagerungen sich ersonnen und gemerkt.

Dann saßen sie wieder bei der Lampe nieder, und der Vater begehrte
uach seiner Laute. Felicitas brachte sie ihm, trug aber auch verstohlen das


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[0297] Ver Iviesenzaun Nun saß er oft an des Vaters Tisch und sprach mit ihm und schaute dabei unverwandt nach ihr hinüber, mit heißen, bittenden und ihr so unerträg¬ lichen Blicken. Unter solchen Gedanken hatte Felicitas den Vater in die Stube zurück¬ geführt und schlug nun Feuer, um das Öllämpchen anzuzünden und den Tisch mit dem ärmlichen Abendbrot zu decken. Bein: Aufflackern der Lampe gewahrte sie einen rätselhaften Schiinnrer in der Ecke, den sie sich nicht zu erklären wußte. Sie ging darauf zu und sah, aufrecht an die Wand gelehnt, des Vaters großes zweihändiges Landsknecht¬ schwert, das er bisher in einer Truhe mit Sorgfalt verwahrt gehalten. Erschrocken fragte sie den Vater, warum er das Schwert herausgenommen und wer ihm dabei behilflich gewesen. Der Blinde aber erzählte ihr freudig erregt, der Scherlin habe das Schwert auf seinen Wunsch hervorgeholt und er habe hierauf dem staunenden Gesellen gezeigt, wie er einst als frummer Knecht sein treues Schwert geschwungen, wobei aber die Stube allmählich zu eng geworden, so daß der Scherlin, in Angst, einen Hieb zu erwischen, sich plötzlich unter den Tisch ver¬ krochen habe. Der Blinde lachte, sich dessen erinnernd, gewaltig auf, Felicitas aber meinte besorgt, sie wolle das Schwert aufs neue in die Truhe legen, denn die blanke Klinge dort in der Ecke wolle ihr nicht gefallen. Dagegen erhob nun der Vater heftigen Einspruch und verlangte, es müsse sein Schwert, das zeitlebens sein bester Freund gewesen, von nun an stets bei ihm in der Stube lehnen, denn anders vermöge er die Schrecken seiner Ein¬ samkeit nicht mehr zu ertragen. Da gab Felicitas, um den Vater nicht abermals zu erregen, seufzend nach, und der Blinde, seines Willens froh, begann in mächtigen Zügen ans seinem Kruge zu trinken. „Felicitas," sagte er dann, sich ans Fenster setzend, „es ist eine klare und helle Nacht. Wie dichtgereiht die Sterne draußen am Himmel stehen, es ist als wie ein einzig flammendes Licht!" So pflegte er oft zu sprechen: als ob er alles noch sahe und seine Finsternis verleugnen wolle. Felicitas trat an seine Seite und sah in den Sternenhimmel hinauf. „Sie steh'n in wunderlicher Ordnung," bestätigte sie, „die großen kühn, wie funkelnde Steine auf dunklem Sammet, die kleinen in sanften munteren Scharen, wie Blumen auf der Wiese vor dem Tore." Und nun mußte sie dem Vater, der begierig nach den seltsamen Bildern der Sterne fragte, noch vieles verkünden, ob sie wohl dieses gewahre und jenes, was er einst auf den nächt¬ lichen Lagerungen sich ersonnen und gemerkt. Dann saßen sie wieder bei der Lampe nieder, und der Vater begehrte uach seiner Laute. Felicitas brachte sie ihm, trug aber auch verstohlen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/297>, abgerufen am 29.06.2024.