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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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wirtschaftliche Rüstung

wir immer unabhängiger werden, daß verhältnismäßig der Außenhandel einen
immer geringeren Anteil an unserer Volkswirtschaft habe, da diese innerlich
immer mehr erstarke. Die Lösung dieser merkwürdigen Erscheinung ist darin
zu finden, daß wir früher Fabrikate aus dem Auslande holten, heute fast nur
noch Rohprodukte einführen und den Produktionsprozeß von Anfang bis zu
Ende nach Deutschland selbst verlegt haben. Wir selbst liefern jetzt die Arbeit
und führen die Fabrikate aus; wir bezahlen in wachsendem Umfange fremden
Boden mit heimischer Arbeit, und nur so ist es uns möglich, auf einer ver¬
hältnismäßig kleinen Fläche unsere gewaltige Volkszahl zu ernähren.

Daß nun aber hierin schon eine Gefährdung unserer kriegerischen Leistungs¬
fähigkeit liege, kann bei näherem Zusehen nicht zugegeben werden. Für die
Ausrüstung des Heeres und seine und des Volkes Ernährung, wie sie
Feldmarschall Moltke im Auge hat, kann es unmöglich sehr darauf ankommen,
daß auch alle hierzu nötigen Rohprodukte im Inlande gewonnen werden. Unsere
kriegerische Schlagfertigkeit leidet nicht darunter, daß das Eisenerz, aus dem
unsere Kanonen und Gewehre gefertigt werden, in fremden Bergwerken
gewonnen wird, und daß das Schuhzeug, die Sättel oder Tornister unserer
Soldaten aus Häuten von Tieren gemacht werden, die sich in Amerika, Rußland
oder sonstwo getummelt haben. Diese Rohprodukte werden immer, auch wenn
einzelne Einfuhrquellen oder Einfuhrwege versperrt sind, auf anderem Wege
zu uns eindringen können, zumal sie nicht Kriegskonterbande sind. Ungemein
viel wichtiger ist, daß wir die Produktionsstätten und die gelernten Arbeitskräfte
im Inlande haben, und nicht, wie seinerzeit die amerikanischen Südstaaten,
genötigt sind, Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände von auswärts
einzuführen. Was aber die Erhaltung unseres Volkes während des Krieges
betrifft, so ist hinsichtlich der für die Bekleidung notwendigen Rohprodukte
(Baumwolle, Wolle, Häute) außerdem zu sagen, daß der Bedarf an ihnen
einer bedeutenden Einschränkung und Zusammenziehung fähig ist; denn Kleider
und Schuhzeug werden im täglichen Leben nicht unbedingt von heute auf morgen
gebraucht, sondern wenn sie knapp und teuer werden, kann ein neuer Einkauf
durch Ausbessern und Flicken noch sehr lange hingezogen werden.

Nicht so sehr viel anders verhält es sich mit den Rohprodukten, die unsere
Landwirtschaft für ihren Betrieb aus den: Auslande beziehen muß. Es sind
dies Futter- und Düngemittel im Werte von jährlich etwa V2 Milliarde Mark
in normalen Jahren (das dürre Jahr 1911 scheidet wegen unseres Kartoffel-
und Futtermittelausfalls von über einer Milliarde Mark Wert für unsere
Betrachtungen besser aus). Von Futtermitteln kommen hauptsächlich in Betracht:
Futtergetreide (Futtergerste und Mais), Futterrüben, Rauhfutter (Klee und Hell)
und Abfälle (Kleie, Schlempe, Zuckerrübenschnitzel, Ölkuchen). Es ist nun höchst
unwahrscheinlich, daß es einem oder auch mehreren Feinden Deutschlands je
gelingen würde, die Zufuhr dieser Futtermittel wesentlich zu beeinträchtigen.
Die zentrale Lage Deutschlands, die ja allerdings einerseits Angriffen von allen


wirtschaftliche Rüstung

wir immer unabhängiger werden, daß verhältnismäßig der Außenhandel einen
immer geringeren Anteil an unserer Volkswirtschaft habe, da diese innerlich
immer mehr erstarke. Die Lösung dieser merkwürdigen Erscheinung ist darin
zu finden, daß wir früher Fabrikate aus dem Auslande holten, heute fast nur
noch Rohprodukte einführen und den Produktionsprozeß von Anfang bis zu
Ende nach Deutschland selbst verlegt haben. Wir selbst liefern jetzt die Arbeit
und führen die Fabrikate aus; wir bezahlen in wachsendem Umfange fremden
Boden mit heimischer Arbeit, und nur so ist es uns möglich, auf einer ver¬
hältnismäßig kleinen Fläche unsere gewaltige Volkszahl zu ernähren.

Daß nun aber hierin schon eine Gefährdung unserer kriegerischen Leistungs¬
fähigkeit liege, kann bei näherem Zusehen nicht zugegeben werden. Für die
Ausrüstung des Heeres und seine und des Volkes Ernährung, wie sie
Feldmarschall Moltke im Auge hat, kann es unmöglich sehr darauf ankommen,
daß auch alle hierzu nötigen Rohprodukte im Inlande gewonnen werden. Unsere
kriegerische Schlagfertigkeit leidet nicht darunter, daß das Eisenerz, aus dem
unsere Kanonen und Gewehre gefertigt werden, in fremden Bergwerken
gewonnen wird, und daß das Schuhzeug, die Sättel oder Tornister unserer
Soldaten aus Häuten von Tieren gemacht werden, die sich in Amerika, Rußland
oder sonstwo getummelt haben. Diese Rohprodukte werden immer, auch wenn
einzelne Einfuhrquellen oder Einfuhrwege versperrt sind, auf anderem Wege
zu uns eindringen können, zumal sie nicht Kriegskonterbande sind. Ungemein
viel wichtiger ist, daß wir die Produktionsstätten und die gelernten Arbeitskräfte
im Inlande haben, und nicht, wie seinerzeit die amerikanischen Südstaaten,
genötigt sind, Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände von auswärts
einzuführen. Was aber die Erhaltung unseres Volkes während des Krieges
betrifft, so ist hinsichtlich der für die Bekleidung notwendigen Rohprodukte
(Baumwolle, Wolle, Häute) außerdem zu sagen, daß der Bedarf an ihnen
einer bedeutenden Einschränkung und Zusammenziehung fähig ist; denn Kleider
und Schuhzeug werden im täglichen Leben nicht unbedingt von heute auf morgen
gebraucht, sondern wenn sie knapp und teuer werden, kann ein neuer Einkauf
durch Ausbessern und Flicken noch sehr lange hingezogen werden.

Nicht so sehr viel anders verhält es sich mit den Rohprodukten, die unsere
Landwirtschaft für ihren Betrieb aus den: Auslande beziehen muß. Es sind
dies Futter- und Düngemittel im Werte von jährlich etwa V2 Milliarde Mark
in normalen Jahren (das dürre Jahr 1911 scheidet wegen unseres Kartoffel-
und Futtermittelausfalls von über einer Milliarde Mark Wert für unsere
Betrachtungen besser aus). Von Futtermitteln kommen hauptsächlich in Betracht:
Futtergetreide (Futtergerste und Mais), Futterrüben, Rauhfutter (Klee und Hell)
und Abfälle (Kleie, Schlempe, Zuckerrübenschnitzel, Ölkuchen). Es ist nun höchst
unwahrscheinlich, daß es einem oder auch mehreren Feinden Deutschlands je
gelingen würde, die Zufuhr dieser Futtermittel wesentlich zu beeinträchtigen.
Die zentrale Lage Deutschlands, die ja allerdings einerseits Angriffen von allen


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[0286] wirtschaftliche Rüstung wir immer unabhängiger werden, daß verhältnismäßig der Außenhandel einen immer geringeren Anteil an unserer Volkswirtschaft habe, da diese innerlich immer mehr erstarke. Die Lösung dieser merkwürdigen Erscheinung ist darin zu finden, daß wir früher Fabrikate aus dem Auslande holten, heute fast nur noch Rohprodukte einführen und den Produktionsprozeß von Anfang bis zu Ende nach Deutschland selbst verlegt haben. Wir selbst liefern jetzt die Arbeit und führen die Fabrikate aus; wir bezahlen in wachsendem Umfange fremden Boden mit heimischer Arbeit, und nur so ist es uns möglich, auf einer ver¬ hältnismäßig kleinen Fläche unsere gewaltige Volkszahl zu ernähren. Daß nun aber hierin schon eine Gefährdung unserer kriegerischen Leistungs¬ fähigkeit liege, kann bei näherem Zusehen nicht zugegeben werden. Für die Ausrüstung des Heeres und seine und des Volkes Ernährung, wie sie Feldmarschall Moltke im Auge hat, kann es unmöglich sehr darauf ankommen, daß auch alle hierzu nötigen Rohprodukte im Inlande gewonnen werden. Unsere kriegerische Schlagfertigkeit leidet nicht darunter, daß das Eisenerz, aus dem unsere Kanonen und Gewehre gefertigt werden, in fremden Bergwerken gewonnen wird, und daß das Schuhzeug, die Sättel oder Tornister unserer Soldaten aus Häuten von Tieren gemacht werden, die sich in Amerika, Rußland oder sonstwo getummelt haben. Diese Rohprodukte werden immer, auch wenn einzelne Einfuhrquellen oder Einfuhrwege versperrt sind, auf anderem Wege zu uns eindringen können, zumal sie nicht Kriegskonterbande sind. Ungemein viel wichtiger ist, daß wir die Produktionsstätten und die gelernten Arbeitskräfte im Inlande haben, und nicht, wie seinerzeit die amerikanischen Südstaaten, genötigt sind, Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände von auswärts einzuführen. Was aber die Erhaltung unseres Volkes während des Krieges betrifft, so ist hinsichtlich der für die Bekleidung notwendigen Rohprodukte (Baumwolle, Wolle, Häute) außerdem zu sagen, daß der Bedarf an ihnen einer bedeutenden Einschränkung und Zusammenziehung fähig ist; denn Kleider und Schuhzeug werden im täglichen Leben nicht unbedingt von heute auf morgen gebraucht, sondern wenn sie knapp und teuer werden, kann ein neuer Einkauf durch Ausbessern und Flicken noch sehr lange hingezogen werden. Nicht so sehr viel anders verhält es sich mit den Rohprodukten, die unsere Landwirtschaft für ihren Betrieb aus den: Auslande beziehen muß. Es sind dies Futter- und Düngemittel im Werte von jährlich etwa V2 Milliarde Mark in normalen Jahren (das dürre Jahr 1911 scheidet wegen unseres Kartoffel- und Futtermittelausfalls von über einer Milliarde Mark Wert für unsere Betrachtungen besser aus). Von Futtermitteln kommen hauptsächlich in Betracht: Futtergetreide (Futtergerste und Mais), Futterrüben, Rauhfutter (Klee und Hell) und Abfälle (Kleie, Schlempe, Zuckerrübenschnitzel, Ölkuchen). Es ist nun höchst unwahrscheinlich, daß es einem oder auch mehreren Feinden Deutschlands je gelingen würde, die Zufuhr dieser Futtermittel wesentlich zu beeinträchtigen. Die zentrale Lage Deutschlands, die ja allerdings einerseits Angriffen von allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/286>, abgerufen am 23.07.2024.