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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft

den Arbeitern des Geistes, einem jeden das Arbeitsgebiet zuzuweisen, auf dem
er am meisten leistet, aber man sucht vor allem auch zu erreichen, daß eine
Bearbeitung derselben Aufgabe durch verschiedene Forscher vermieden wird.
Denn dies würde Energievergeudung bedeuten. Es gestaltet sich mithin die
gesamte Geistesarbeit der Menschheit zu einem großen Betrieb, worin jeder
einzelne ein Bestimmtes zu leisten hat, keiner dasselbe tut wie der andere, alle
daran arbeiten, neue wissenschaftliche Ergebnisse der früheren anzureihen und
dadurch die Quantität des Gewußten zu mehren. Erreicht soll dies werden
durch Anschluß aller Geistesarbeiter an eine Zentrale, von wo aus die Ver¬
mittlung aller nachgesuchten Auskünfte, die Herstellung von Verbindungen
zwischen den Forschern, der Nachweis der besten Arbeitsmethoden und Arbeits¬
mittel in alle Welt hinaus geleitet werden soll. Da alle Ergebnisse geistiger
Tätigkeit grundsätzlich als gleichwertig betrachtet werden, so stellt sich das
erstrebte Ziel den Brückenleuten in der Form einer ungeheueren Bibliothek dar,
worin die Wissenschaft als Ganzes in unzähligen Monographien gleichen For¬
mates (auch auf die äußere Nivellierung aller Geistesprodukte wird großer Wert
gelegt!) magaziniert ist. Man wird in diesen Bänden, die allerdings erst
in Jahrtausenden vollzählig sein können, restlos alles von Menschen Gewußte
finden; von der Kunstübung der Singhalesen bis zum Wesen der Nebelflecke
und zu den Lebensgewohnheiten der Eingeweidewürmer wird dieses gigantische
Konversationslexikon schlechthin alles enthalten.

Die Verfasser des Planes nennen das, was sie aus der Gerstesarbeit im
ganzen gestalten wollen, einen Organismus. In Wahrheit ist es ein Mecha¬
nismus. Nach dem Prinzip der Arbeitsteilung sollen die Einzelnen sich dem
Ganzen mit weitestgehender Spezialisierung einordnen. Es kommt ihnen nicht
darauf an, ob der neue Gedanke Blüte und Frucht eines selbständigen Denkens
ist, sondern nur auf die Lieferung möglichst zahlreicher Fertigprodukte. Hat
das einzelne Rad in der großen Maschine seine Arbeit geleistet und ist es
verbraucht, so wird es durch ein frisches ersetzt. In der Spezialisierung der
Geistesarbeit, im Fabrikbetriebe, worin jeder "gelernte Arbeiter" eine Spezial-
arbeit übernommen hat, sich alle gegenseitig in die Hände arbeiten und so die
Entstehung zahlreicher Produkte fördern, suchen die Brückenleute den Fortschritt
der Menschheit. Es kommt nicht, wie manche glauben, darauf an, daß der
Mensch ein Ganzes aus sich macht, sondern daß er sich der "Organisation"
unterordnet, wo er dann eine Spezialarbeit schafft, einerlei ob er sich bewußt
ist, daß er damit ein Ganzes fördert; auch der Metalldreher in der Maschinen¬
fabrik braucht nicht zu wissen, wie seine Scheiben und Stäbe, die er jahraus
jahrein fertigt, im Ganzen der Maschine wirken. Kurz, es handelt sich um eine
Unterwerfung sämtlicher Subjekte unter die vage Vorstellung vom Fortschritt
der Wissenschaft, wie ihn diejenige Schule faßt, der die Brückenleute angehören.

Diese Organisatoren sehen vor sich eine ungemessene Zeit, in der sich die
Auffassung von der Wissenschaft und ihren: Werte nicht ändert. Sie beweisen


Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft

den Arbeitern des Geistes, einem jeden das Arbeitsgebiet zuzuweisen, auf dem
er am meisten leistet, aber man sucht vor allem auch zu erreichen, daß eine
Bearbeitung derselben Aufgabe durch verschiedene Forscher vermieden wird.
Denn dies würde Energievergeudung bedeuten. Es gestaltet sich mithin die
gesamte Geistesarbeit der Menschheit zu einem großen Betrieb, worin jeder
einzelne ein Bestimmtes zu leisten hat, keiner dasselbe tut wie der andere, alle
daran arbeiten, neue wissenschaftliche Ergebnisse der früheren anzureihen und
dadurch die Quantität des Gewußten zu mehren. Erreicht soll dies werden
durch Anschluß aller Geistesarbeiter an eine Zentrale, von wo aus die Ver¬
mittlung aller nachgesuchten Auskünfte, die Herstellung von Verbindungen
zwischen den Forschern, der Nachweis der besten Arbeitsmethoden und Arbeits¬
mittel in alle Welt hinaus geleitet werden soll. Da alle Ergebnisse geistiger
Tätigkeit grundsätzlich als gleichwertig betrachtet werden, so stellt sich das
erstrebte Ziel den Brückenleuten in der Form einer ungeheueren Bibliothek dar,
worin die Wissenschaft als Ganzes in unzähligen Monographien gleichen For¬
mates (auch auf die äußere Nivellierung aller Geistesprodukte wird großer Wert
gelegt!) magaziniert ist. Man wird in diesen Bänden, die allerdings erst
in Jahrtausenden vollzählig sein können, restlos alles von Menschen Gewußte
finden; von der Kunstübung der Singhalesen bis zum Wesen der Nebelflecke
und zu den Lebensgewohnheiten der Eingeweidewürmer wird dieses gigantische
Konversationslexikon schlechthin alles enthalten.

Die Verfasser des Planes nennen das, was sie aus der Gerstesarbeit im
ganzen gestalten wollen, einen Organismus. In Wahrheit ist es ein Mecha¬
nismus. Nach dem Prinzip der Arbeitsteilung sollen die Einzelnen sich dem
Ganzen mit weitestgehender Spezialisierung einordnen. Es kommt ihnen nicht
darauf an, ob der neue Gedanke Blüte und Frucht eines selbständigen Denkens
ist, sondern nur auf die Lieferung möglichst zahlreicher Fertigprodukte. Hat
das einzelne Rad in der großen Maschine seine Arbeit geleistet und ist es
verbraucht, so wird es durch ein frisches ersetzt. In der Spezialisierung der
Geistesarbeit, im Fabrikbetriebe, worin jeder „gelernte Arbeiter" eine Spezial-
arbeit übernommen hat, sich alle gegenseitig in die Hände arbeiten und so die
Entstehung zahlreicher Produkte fördern, suchen die Brückenleute den Fortschritt
der Menschheit. Es kommt nicht, wie manche glauben, darauf an, daß der
Mensch ein Ganzes aus sich macht, sondern daß er sich der „Organisation"
unterordnet, wo er dann eine Spezialarbeit schafft, einerlei ob er sich bewußt
ist, daß er damit ein Ganzes fördert; auch der Metalldreher in der Maschinen¬
fabrik braucht nicht zu wissen, wie seine Scheiben und Stäbe, die er jahraus
jahrein fertigt, im Ganzen der Maschine wirken. Kurz, es handelt sich um eine
Unterwerfung sämtlicher Subjekte unter die vage Vorstellung vom Fortschritt
der Wissenschaft, wie ihn diejenige Schule faßt, der die Brückenleute angehören.

Diese Organisatoren sehen vor sich eine ungemessene Zeit, in der sich die
Auffassung von der Wissenschaft und ihren: Werte nicht ändert. Sie beweisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/28>, abgerufen am 29.06.2024.