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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft

gar nicht so fern, wenn man ein klein wenig Subjektivität nicht scheut. Kekule
von Stradonitz selbst hat (in der Zeitschrift für Bücherfreunde, neue Folge I, 1 von
1909) auf das Verfahren des Freiherrn von Fechenbach hingewiesen, der sich in
seinem Schlosse Laudenbach am Main eine "Politische Registratur" von Zeitungs¬
äußerungen angelegt hat; näheres darüber hatte O. Pfülf schon 1902 (in den
Stimmen aus Maria-Laach, Band 63) der Öffentlichkeit unterbreitet. Es
handelte sich um die fortlaufende Durcharbeitung der wichtigen Preßstimmen
und ihre Verteilung unter gewisse Rubriken, z. B. Politik, Wirtschafts-, Sozial-,
Firan-, Handels-, Kolonialpolitik, Parteiwesen, auswärtige Staaten usw., deren
jede wieder in viele Unterabteilungen zerfällt; bei neu auftauchenden Fragen
wurde jederzeit eine neue Sammelmappe angelegt. Von Fechenbachs Methode
wußten die meisten Bearbeiter der Zeitungsmuseumsfrage nichts, und Kekule
möchte ihr nicht den Wert eines Musters zuschreiben. Freilich, in der Ent¬
scheidung, was wichtig und was unwichtig sei, steckt ein gutes Stück Subjektivität;
die politische Überzeugung, die Weltanschauung des Sammlers spielt hier mit.
Und doch, meine ich. sollten wir -- zwar nicht die Methode Fechenbachs im
einzelnen kopieren --, aber das Prinzip einer sofortigen Scheidung des Auf¬
zubewahrenden von der übrigen Masse und das Prinzip der Austeilung auf
Rubriken für die Zeitungssammlung fruchtbar machen. Nur so sichern wir die
Möglichkeit einer unmittelbaren Benutzung des Materials dem Historiker wie
dem Politiker. Und was der Freiherr von Fechenbach in täglich zwei- bis zehn¬
stündiger Arbeit geleistet hat. das müßte ein unterrichteter und einsichtiger Mann
mit bibliothekarischer und archivalischer Fachbildung, unterstützt von einigen
Hilfsarbeitern für die Einzelgebiete, auch leisten können. Auch Kekule hat sich
ja dem Gedanken nicht verschließen können, daß eine "Registratur der Zeitungs¬
ausschnitte" (es brauchen aber nicht immer nur Ausschnitte zu sein!) ganz andere
Benutzungsmöglichkeiten bietet als die bloßen Reihen der Vierteljahrsbände.
Nun wohl, so schaffe man zunächst diese Registratur und lege das Hauptgewicht
auf die Übersichtlichkeit und Fruchtbarkeit der Einrichtung, nicht auf die Voll¬
ständigkeit der Zeitungsreihen. Die Massen der Artikel, die vom Tage für den
Tag geschrieben werden, lasse man doch ruhig untergehen. Proben für spätere
Liebhaber dieser Literaturgattung werden sich ohne Zweifel ohnehin erhalten,
und mehr als Proben braucht man nicht, denn hier ist nicht der Inhalt des
einzelnen Artikels, sondern der Typus für unsere Kultur bezeichnend. Auch die
Hoffnung, aus dem Annoncenmaterial unserer Tageszeitungen Dissertationen
über die Psychologie der Reklame und über die Statistik der Heiratsannonce
zu gewinnen, wird selbst bei dieser beschränkten Aufbewahrung noch nicht
verloren sein.

Nun könnte noch ein anderes Verfahren angewendet werden, um die in
den Zeitungen enthaltene wertvolle Geistesarbeit für die Dauer nutzbar zu
machen. Vor mir liegt die "Denkschrift betreffend die Schaffung eines
deutschen Zeitungsarchivs", die im Sommer 1911 erschien. Auch hier


Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft

gar nicht so fern, wenn man ein klein wenig Subjektivität nicht scheut. Kekule
von Stradonitz selbst hat (in der Zeitschrift für Bücherfreunde, neue Folge I, 1 von
1909) auf das Verfahren des Freiherrn von Fechenbach hingewiesen, der sich in
seinem Schlosse Laudenbach am Main eine „Politische Registratur" von Zeitungs¬
äußerungen angelegt hat; näheres darüber hatte O. Pfülf schon 1902 (in den
Stimmen aus Maria-Laach, Band 63) der Öffentlichkeit unterbreitet. Es
handelte sich um die fortlaufende Durcharbeitung der wichtigen Preßstimmen
und ihre Verteilung unter gewisse Rubriken, z. B. Politik, Wirtschafts-, Sozial-,
Firan-, Handels-, Kolonialpolitik, Parteiwesen, auswärtige Staaten usw., deren
jede wieder in viele Unterabteilungen zerfällt; bei neu auftauchenden Fragen
wurde jederzeit eine neue Sammelmappe angelegt. Von Fechenbachs Methode
wußten die meisten Bearbeiter der Zeitungsmuseumsfrage nichts, und Kekule
möchte ihr nicht den Wert eines Musters zuschreiben. Freilich, in der Ent¬
scheidung, was wichtig und was unwichtig sei, steckt ein gutes Stück Subjektivität;
die politische Überzeugung, die Weltanschauung des Sammlers spielt hier mit.
Und doch, meine ich. sollten wir — zwar nicht die Methode Fechenbachs im
einzelnen kopieren —, aber das Prinzip einer sofortigen Scheidung des Auf¬
zubewahrenden von der übrigen Masse und das Prinzip der Austeilung auf
Rubriken für die Zeitungssammlung fruchtbar machen. Nur so sichern wir die
Möglichkeit einer unmittelbaren Benutzung des Materials dem Historiker wie
dem Politiker. Und was der Freiherr von Fechenbach in täglich zwei- bis zehn¬
stündiger Arbeit geleistet hat. das müßte ein unterrichteter und einsichtiger Mann
mit bibliothekarischer und archivalischer Fachbildung, unterstützt von einigen
Hilfsarbeitern für die Einzelgebiete, auch leisten können. Auch Kekule hat sich
ja dem Gedanken nicht verschließen können, daß eine „Registratur der Zeitungs¬
ausschnitte" (es brauchen aber nicht immer nur Ausschnitte zu sein!) ganz andere
Benutzungsmöglichkeiten bietet als die bloßen Reihen der Vierteljahrsbände.
Nun wohl, so schaffe man zunächst diese Registratur und lege das Hauptgewicht
auf die Übersichtlichkeit und Fruchtbarkeit der Einrichtung, nicht auf die Voll¬
ständigkeit der Zeitungsreihen. Die Massen der Artikel, die vom Tage für den
Tag geschrieben werden, lasse man doch ruhig untergehen. Proben für spätere
Liebhaber dieser Literaturgattung werden sich ohne Zweifel ohnehin erhalten,
und mehr als Proben braucht man nicht, denn hier ist nicht der Inhalt des
einzelnen Artikels, sondern der Typus für unsere Kultur bezeichnend. Auch die
Hoffnung, aus dem Annoncenmaterial unserer Tageszeitungen Dissertationen
über die Psychologie der Reklame und über die Statistik der Heiratsannonce
zu gewinnen, wird selbst bei dieser beschränkten Aufbewahrung noch nicht
verloren sein.

Nun könnte noch ein anderes Verfahren angewendet werden, um die in
den Zeitungen enthaltene wertvolle Geistesarbeit für die Dauer nutzbar zu
machen. Vor mir liegt die „Denkschrift betreffend die Schaffung eines
deutschen Zeitungsarchivs", die im Sommer 1911 erschien. Auch hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/26>, abgerufen am 29.06.2024.