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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Wiesenzaun
Line Dürer-Novelle
Oon Franz Karl Ginzkcy
2.

Etliche Wochen später wurde eines Nachmittags an Herrn Dürers schönem,
stattlichem Hause am Tiergärtnertore schüchtern, aber beharrlich angeklopft.

Frau Agnes Dürerin, die sich gerade im Werkstättenraum zu ebener Erde
befand, öffnete behutsam ein Spältlein im Fenster und lugte hinaus. Da stand
ein hochgewachsenes junges Frauenzimmer draußen, Haupt und Schultern in
ein großes Tuch gehüllt, wie es ärmere Leute zu tragen pflegten.

Frau Agnes ging, das Tor zu öffnen, tat es aber nur eine Handbreite
ans und fragte die Fremde, was sie begehre.

Diese erwiderte bescheiden, doch mit ruhiger Sicherheit, sie wolle mit dem
Maler Herrn Albrecht Dürer sprechen.

Da tat die Dürerin das Thor etwas weiter auf und musterte den selt¬
samen Besuch vom Kopf bis zu den Füßen und wieder hinauf in das junge
blühende Antlitz. Dann ließ sie die Fremde schweigend über die Schwelle und
winkte ihr, zu folgen.

Herr Dürer saß in seinem stillen Zimmer, den Stift in der Hand, über
ein großes weißes Blatt gebeugt. Von der nahegelegenen Stadtmauer, die in
voller Sonne stand, erfüllte den Raum ein goldiger Widerschein.

Der Meister erhob sich etwas unwillig, als Frau Agnes mit der Fremden
hereintrat. Dann blickte er erstaunt bald auf sein Weib, bald in das Antlitz des
jungen Geschöpfes, das nunmehr den lockigen Kopf vom Tuche befreit hatte
und ihn mit den großen fragenden Augen schweigend ansah.

"Ihr seid dem Jörgen Graff sein Kind," hieß Dürer sie nach einer Pause
willkommen, "das freut mich, daß ich Euch wiederseh! Ihr merkt, ich hab'
Euch wohl erkannt I"

Das schöne Wesen lächelte erfreut, senkte den Blick zur Diele und sprach:

"Ich wußt' nit, wer Ihr seid, lieber Herr, als Ihr damals mit Herrn
Pirkheimer beim Vater wart. Und auch den Vater hat's gereut, daß ihm keiner
gesagt, welch großer und berühmter Mann in sein armes Haus gekommen. Er
hätt' sich sonsten mehr Gewalt getan und nit nur an sein eigen Leid gedacht!"




Der Wiesenzaun
Line Dürer-Novelle
Oon Franz Karl Ginzkcy
2.

Etliche Wochen später wurde eines Nachmittags an Herrn Dürers schönem,
stattlichem Hause am Tiergärtnertore schüchtern, aber beharrlich angeklopft.

Frau Agnes Dürerin, die sich gerade im Werkstättenraum zu ebener Erde
befand, öffnete behutsam ein Spältlein im Fenster und lugte hinaus. Da stand
ein hochgewachsenes junges Frauenzimmer draußen, Haupt und Schultern in
ein großes Tuch gehüllt, wie es ärmere Leute zu tragen pflegten.

Frau Agnes ging, das Tor zu öffnen, tat es aber nur eine Handbreite
ans und fragte die Fremde, was sie begehre.

Diese erwiderte bescheiden, doch mit ruhiger Sicherheit, sie wolle mit dem
Maler Herrn Albrecht Dürer sprechen.

Da tat die Dürerin das Thor etwas weiter auf und musterte den selt¬
samen Besuch vom Kopf bis zu den Füßen und wieder hinauf in das junge
blühende Antlitz. Dann ließ sie die Fremde schweigend über die Schwelle und
winkte ihr, zu folgen.

Herr Dürer saß in seinem stillen Zimmer, den Stift in der Hand, über
ein großes weißes Blatt gebeugt. Von der nahegelegenen Stadtmauer, die in
voller Sonne stand, erfüllte den Raum ein goldiger Widerschein.

Der Meister erhob sich etwas unwillig, als Frau Agnes mit der Fremden
hereintrat. Dann blickte er erstaunt bald auf sein Weib, bald in das Antlitz des
jungen Geschöpfes, das nunmehr den lockigen Kopf vom Tuche befreit hatte
und ihn mit den großen fragenden Augen schweigend ansah.

„Ihr seid dem Jörgen Graff sein Kind," hieß Dürer sie nach einer Pause
willkommen, „das freut mich, daß ich Euch wiederseh! Ihr merkt, ich hab'
Euch wohl erkannt I"

Das schöne Wesen lächelte erfreut, senkte den Blick zur Diele und sprach:

„Ich wußt' nit, wer Ihr seid, lieber Herr, als Ihr damals mit Herrn
Pirkheimer beim Vater wart. Und auch den Vater hat's gereut, daß ihm keiner
gesagt, welch großer und berühmter Mann in sein armes Haus gekommen. Er
hätt' sich sonsten mehr Gewalt getan und nit nur an sein eigen Leid gedacht!"


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[0236] [Abbildung] Der Wiesenzaun Line Dürer-Novelle Oon Franz Karl Ginzkcy 2. Etliche Wochen später wurde eines Nachmittags an Herrn Dürers schönem, stattlichem Hause am Tiergärtnertore schüchtern, aber beharrlich angeklopft. Frau Agnes Dürerin, die sich gerade im Werkstättenraum zu ebener Erde befand, öffnete behutsam ein Spältlein im Fenster und lugte hinaus. Da stand ein hochgewachsenes junges Frauenzimmer draußen, Haupt und Schultern in ein großes Tuch gehüllt, wie es ärmere Leute zu tragen pflegten. Frau Agnes ging, das Tor zu öffnen, tat es aber nur eine Handbreite ans und fragte die Fremde, was sie begehre. Diese erwiderte bescheiden, doch mit ruhiger Sicherheit, sie wolle mit dem Maler Herrn Albrecht Dürer sprechen. Da tat die Dürerin das Thor etwas weiter auf und musterte den selt¬ samen Besuch vom Kopf bis zu den Füßen und wieder hinauf in das junge blühende Antlitz. Dann ließ sie die Fremde schweigend über die Schwelle und winkte ihr, zu folgen. Herr Dürer saß in seinem stillen Zimmer, den Stift in der Hand, über ein großes weißes Blatt gebeugt. Von der nahegelegenen Stadtmauer, die in voller Sonne stand, erfüllte den Raum ein goldiger Widerschein. Der Meister erhob sich etwas unwillig, als Frau Agnes mit der Fremden hereintrat. Dann blickte er erstaunt bald auf sein Weib, bald in das Antlitz des jungen Geschöpfes, das nunmehr den lockigen Kopf vom Tuche befreit hatte und ihn mit den großen fragenden Augen schweigend ansah. „Ihr seid dem Jörgen Graff sein Kind," hieß Dürer sie nach einer Pause willkommen, „das freut mich, daß ich Euch wiederseh! Ihr merkt, ich hab' Euch wohl erkannt I" Das schöne Wesen lächelte erfreut, senkte den Blick zur Diele und sprach: „Ich wußt' nit, wer Ihr seid, lieber Herr, als Ihr damals mit Herrn Pirkheimer beim Vater wart. Und auch den Vater hat's gereut, daß ihm keiner gesagt, welch großer und berühmter Mann in sein armes Haus gekommen. Er hätt' sich sonsten mehr Gewalt getan und nit nur an sein eigen Leid gedacht!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/236>, abgerufen am 29.06.2024.